Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
Скачать книгу

      Draußen im Korridor aber kam es ein-, zweimal röchelnd aus seiner Brust, daß er den Knopf seines Leinenkragens lösen mußte, weil er ihm zu eng wurde.

      »Es war der letzte Versuch,« stöhnte er. »Vom Hoffen zum Fehlschlagen, von der dann erreichten ersten Staffel in den Abgrund zurückgeschleudert – das macht die Nerven kaput. O Dolores!«

      Und wieder schloß er den Knopf, denn die Selbstbeherrschung war sein oberstes Lebensprinzip.

      »Ich hab's ehrlich gemeint – was kann ich dafür, wenn es nicht angenommen wurde?« sagte er im Weiterschreiten zu sich selbst.

      »Ehrlich, wirklich ehrlich, denn ich bin kein Zulukafferhäuptling und kein Schusterle, dem's nur um das Abschlachten zu thun ist. Also jetzt Geduld, Geduld! Damit hat Napoleon die Welt unterjocht, und mit ihm sage ich: Tout le monde vient à celui qui sait attendre.«

      O du stolze Frau Ruß, der das bloße Brot der Duldung in diesem Hause stets so hart und bitter war, dich hätte der Schlag getroffen, wenn du geahnt hättest, daß nach dem fehlgeschlagenen Versuch deines Gatten, sich zum Generaldirektor des Falkenhofs zu machen, dieser den »Scherz« der Lehnsherrin mit dem Bureauvorsteherposten für bitteren Ernst genommen hatte! »Denn,« so hatte er gerechnet, »wer das Kleine nicht ehrt, ist des Großen nicht wert,« und einmal im Nest, wäre der unbequeme Engels schon herauszudrücken, und der lockende Posten, der das Einkommen jeder Professur weit überschritt, dann dennoch sein gewesen. Denn darin machen's die Menschen nicht besser als die Tiere – es drückt einer den anderen fort, wenn er dessen Nest für das wärmere und bessere hält. »Nur die Lumpe sind bescheiden,« sagte Altmeister Goethe, und der hat das Leben doch sicher verstanden.

      Daß dem Doktor Ruß nichts daran lag, den Falkenhof und mithin die Fleischtöpfe Ägyptens zu verlassen, um in einer Welt, der er fremd geworden, ein Brot zu suchen, dessen Sicherheit und Güte er durchaus nicht gewiß war, war ihm am Ende nicht zu verargen. Es schreibt sich am täglich kostenlos gedeckten Tisch, der unter dem Regimente der neuen Lehnsherrin bedeutend besser geworden war, leichter hin und wieder ein geistreich-ästhetisches Essay, als beim ängstlich eingeteilten Brot ums liebe Leben, und wenn Doktor Ruß auch zu denen gehörte, welche selbst in der Einsamkeit nicht rückwärts schreiten, weil sie den Drang zur Fortbildung in sich tragen, so wußte er doch sehr genau, daß die Zeit manche Lücken in seinem Wissen verursacht hatte, und daß es ihm blutsauer werden würde, in der Welt einigermaßen anständig fortzukommen. Andererseits aber hatte Dolores auch keinen Grund, die Familie Ruß dauernd als notwendiges Übel unter ihrem Dach zu behalten, denn wenn sein Wissen sie auch anregte und seine Person ihr nicht gerade unsympathisch war, so konnte sie an Frau Ruß doch keine Spur von Sympathie verschwenden, und im Gegenteil war ihr deren Gegenwart so antipathisch, daß sie ihr, wo nur thunlich, gern auswich. Die kalten, hellen, harten Fischaugen dieser Frau schafften ihr ein Unbehagen, das sie nicht überwinden konnte, und wenn sie sich auch gelobt hatte, späterhin wieder eine Einladung an das Ehepaar aus verwandtschaftlichen Rücksichten ergehen zu lassen, so hatte sie sich doch darauf gefreut, der Frau nicht mehr zu begegnen. Und nun wollten sie noch bis zum Herbst bleiben – mehr als ein Vierteljahr vielleicht? Dolores hatte zwar über diese gezwungene Gastfreundschaft geseufzt, sich aber fest vorgenommen, sich zu bezwingen und beiden den Aufenthalt im Falkenhof, so lange sie ihre Gäste waren, so angenehm als möglich zu gestalten und ihnen zu beweisen, daß sie hierin nicht in die Fußstapfen ihres seligen Onkels trat, der dem geduldeten Paare das Gnadenbrot gab. Sie nahm also mit ihnen ein gemeinschaftliches, spätes Mittagbrot und oft das zweite, das Gabelfrühstück ein, ohne sich gegebenenfalls in dieser Hinsicht Zwang aufzulegen. Im übrigen wurde die Bedienung des Paares bedeutend besser. – Dolores hatte, als Doktor Ruß sie droben in ihrem Turmboudoir verlassen hatte, mechanisch eine Streichholzbüchse ergriffen und die Fragmente der im Scherz ausgestellten Urkunde im Kamin entzündet. Sie wußte selbst nicht, weshalb sie es that, aber es kommt ja oftmals vor, daß die Hände etwas vornehmen, wovon der mit anderem beschäftigte Geist keine Ahnung hat. Und wie sie sich so vor den Kamin kauerte und zusah, wie die Flamme die einzelnen Papierstücke zu verzehren begann, da fiel ihr mit einem Mal der erste Teil des seltsamen Traumes ein, daß ihr neulich nachts geträumt, wie Doktor Ruß ihr das große Blatt Papier gereicht, wie sie es zerrissen und dann verbrannt. »Das ist seltsam,« dachte sie, und dann erinnerte sie sich daran, wie ihr weiter geträumt, daß Doktor Ruß durch den Kamin verschwunden sei. »Und das ist der Unsinn dabei,« sagte sie vor sich hin, doch stand sie trotzdem auf und begann den Mantel des Kamins genau zu untersuchen, hier drückend, dort zu schieben versuchend, aber ohne Erfolg. Nun überlegte sie, welcher Raum wohl an den Turm stoßen mochte, und da sie den nördlichen Flügel noch nicht betreten, so beschloß sie sofort, eine Expedition in denselben zu unternehmen – vielleicht, daß sich die seit geraumen Zeiten unbewohnten Räume irgendwie ausstatten und als Fortsetzung ihrer eigenen Zimmerflucht mit derselben verbinden ließen. Da einmal gefaßte Entschlüsse bei Dolores stets zur raschen Ausführung kamen, so läutete sie Ramo, dem sie alsbald ihren Wunsch mitteilte, und der wiederum seinerseits mit dem notwendigen Schlüsselbunde erschien, eigentlich mit nur zwei notwendigen Schlüsseln, indem er Dolores respektvoll mitteilte, Mamsell Köhler sei sehr froh, die Expedition nicht mitmachen zu müssen, da es im nördlichen Flügel umgehe, denn sie habe, auch in letzter Zeit, deutlich bei später Arbeit in den zur ebenen Erde liegenden Vorratsräumen eben dieses Flügels gehört, wie leise Schritte durch die unbewohnten Räume gegangen waren.

      »Ratten,« schloß Ramo bedeutungsvoll.

      »Natürlich,« nickte Dolores, »der guten Mamsell Köhler ist's ja gar nicht wohl, wenn sie sich nicht vor irgend einem Gespenst fürchten kann.«

      Ramo öffnete, voranschreitend, die eiserne Thür, welche dicht neben dem Turmzimmerausgange den nördlichen Flügel beinahe hermetisch von der übrigen Außenwelt abschloß. Es bot sich ihren Augen nun vor allem ein eichengetäfelter Korridor, dessen Fenster nach dem Hofe herausgingen, wie die der anderen Korridore des Falkenhofs. Die Thüren, welche in die Zimmer selbst führten, waren aber alle fest verschlossen und widerstanden jedem Öffnungsversuche. Am Ende des Korridors endlich schloß der zweite der von Mamsell Köhler bezeichneten Schlüssel eine schmale, einfache Thür auf, und diese, in den nördlichen Turm führend, gestattete den Eintritt in den verlassenen Flügel, dessen weite und hohe Räume es sicher nicht verdient hatten, von den Herren vom Falkenhof so stiefmütterlich behandelt zu werden. Daran aber war die Überfülle an Raum schuld, welche dies feudale Schloß barg, und – –

      »Aber Ramo, sind das nicht die Zimmer, in denen meine Eltern wohnten?« fragte Dolores erstaunt beim Weiterdringen, während Ramo vorausging, die meist ganz verschlossenen Fensterläden zu öffnen.

      »Ja, Herrin,« erwiderte der alte Diener mit einem Seufzer, in welchen Dolores einstimmte. Denn wohl waren diese Zimmer groß und teilweise sogar mit wertvollen alten Möbeln ausgestattet, aber sie entbehrten des Sonnenlichts, und eine beklemmende Moderluft lag in den Räumen, in denen die Stille des Todes herrschte.

      »Arme Mutter,« dachte Dolores wehmütig, »und sie hatten keinen anderen Raum hier für dich, als diese gruftartige Zimmerflucht, in der du, des Südens sonnengewohnte Tochter, jahrelang dahinsiechen und welken mußtest – – – –«

      Sie waren jetzt in einem Gemach angelangt, das, vollkommen eingerichtet mit schweren, geschnitzten, schwarzen Eichenmöbeln, nur diesen einen Eingang zu haben schien, und durch dessen letztes Fenster ein schräger Sonnenstreifen hineinfiel, direkt auf einen tiefen gepolsterten Sessel, welcher in der Fensternische stand.

      »Hier hat die Herrin immer gesessen und auf die Sonne gewartet, und die Sonne dann solange auf ihr Gesicht scheinen lassen, bis sie wieder fortging,« erklärte Ramo bewegt und deutete auf den Sessel am Fenster.

      Da wurde es Dolores recht schwer ums Herz, und auch sie setzte sich an den Platz, auf dem ihre Mutter die vielgeliebte Sonne erwartet hatte, welche ihr nur einen so kurzen und spärlichen Besuch machte zur Sommerszeit, während sie im Winter diese verlorene Ecke gar nicht erreichte.

      »Stößt dies Zimmer nicht an meinen Turm?« fragte Dolores nach einer Pause, und als Ramo bejahte, sprach sie die Absicht aus, die Verbindungswand durchbrechen zu lassen, um wenigstens diesen Raum mit dem von ihr bewohnten Flügel zu verbinden. Doch statt