Er mußte doch an Mikita schreiben, daß er verhindert sei, Isa zu begleiten.
Er setzte sich hin und schrieb eine Rohrpostkarte.
Wie schön es nun wäre, Jemand mit der Karte schicken zu können! Jetzt mußte er selbst auf die Post laufen!
Er trat auf die Straße. Es stieß ihn, zu ihr zu gehen, sie nur noch einmal zu sehen, sich an ihrer Nähe zu reiben –ja, nur noch einmal sie atmen zu können.
Aber das durfte er nicht. Er werde sich doch noch bezwingen können?!
Ja, bezwingen! Grade so bezwingen, wie einer seiner Freunde, dessen größtes Verlangen es war, einmal Rom zu sehen. Und er fuhr nach Rom, aber eine Meile vor Rom hatte er sich gesagt, daß der Mensch sich müsse bezwingen können, und kehrte um. Als er in die Heimat zurückkehrte, wurde er verrückt.
Ja, das kommt Alles von der lächerlichen Idee, daß man sich bezwingen könne, und grade das in sich, was das Stärkste ist, weil es von Ewigkeit her da ist.
Und er dachte an Heines Worte – wie war es doch? Könnt ich mich bezwingen, wärs schön; könnt ich es nicht, wärs noch schöner. Ja so ungefähr.
Aber der zynische Hintergedanke war ihm peinlich. Er hatte das Gefühl, als hätte er Isa beschmutzt.
Warum denn? In welcher Beziehung sollte Isa zu diesem Hintergedanken stehen.
Und er ging und grübelte über die geheimen Assoziationen, die sich irgendwo im Verborgenen vollziehen und dann plötzlich ohne jeden Zusammenhang ins Gehirn treten.
Ja, scheinbar zusammenhanglos. Das tückische Unbekannte weiß ganz genau, was es zusammenkoppelt.
Es machte ihm Freude, an diesem sonderbaren Rebus herumzurätseln.
Selbstverständlich tat er es nur, um keinen anderen Gedanken auftauchen zu lassen – Schön war doch die Enge des Bewußtseins ...
Aber der Gedanke an Mikita brach doch hervor.
Er wollte nicht an ihn denken.
Es war, als bekäme er jedesmal einen Herzkrampf. Das Blut staute sich auf Augenblicke zu Herzen. Das tat unsagbar weh.
Warum sollte Mikita Rechte auf einen Menschen haben, ausschließliche Rechte, so eine Art Monopol?
Er schämte sich plötzlich, empfand aber deutlich ein heißes Gefühl von – – ja wirklich, es war ein deutliches Haß- nein – Unmutsgefühl ...
Mikitas wegen durfte er nicht gehen! Mikitas wegen?! Er lachte höhnisch. Erik Falk hält sich für den Unüberwindlichen! Mit einer gewissen prästabilierten Harmonie müsse er jeden Mann zum Hahnrei machen, jede Verlobte eines Andren müsse sich mit zwingender Gewalt in ihn verlieben.
Das war doch unendlich lächerlich!
Wenn er sich noch sagen würde: Du, geh nicht hin, du wirst dich nur verlieben, wo du auf keine Gegenliebe hoffen darfst, da sie doch ...
Er stockte.
Er hatte ein so lächerlich sicheres Gefühl, daß sie ihm näher stand als Mikita, er fühlte so deutlich –ja, Mikita schien es ja auch zu fühlen, daß Isa ...
Nein, nein!
Aber das Eine, das könne er doch mit gutem Gewissen tun: ihr wenigstens räumlich nahe zu sein, nur über die Straße weg – in dem Restaurant, dort werde er sich hinsetzen und sich ganz mechanisch betrinken, um sich einfach unfähig zu machen, zu Isa zu gehen.
Ja, das müsse, das werde er tun.
Vor dem Hause, in dem Isa wohnte, blieb er stehen.
Nun war es zu spät geworden! Nun konnte er nicht mehr rechtzeitig Mikita benachrichtigen.
Was wollte er tun?
Herrgott, er müsse am Ende doch hinaufgehen.
Sein Herz klopfte heftig, als er die Treppen hinaufging.
Er klingelte.
Nun erschrak er heftig. Es war ihm, als müsse das Klingeln das ganze Haus in Aufruhr bringen.
Flieh! Flieh! schrie es in ihm.
Die Tür wurde aufgemacht. Isa stand im Korridor.
Er sah in ihren Augen eine heiße Freude aufleuchten und sich über das ganze Gesicht gießen.
Sie drückte ihm herzlich die Hand, sehr herzlich. Wollte sie damit etwas sagen?
– Sie wissen schon, daß Mikita erst später nachkommen kann?
– Ja, er war heute bei mir.
– Da müssen Sie mich hinbegleiten. Es ist Ihnen doch nicht unangenehm?
– Für Sie tu ich Alles! Es kam so patzig heraus.
Sie wurden Beide verlegen. Ja, er mußte wachen, daß er sich nicht wieder vergesse.
Wie kam es nur so plötzlich, ohne daß er es hindern konnte?
Sie setzten sich hin, sahen sich in die Augen und lächelten. Er fühlte, daß sie auch unruhig war.
Er zwang sich und wurde sehr aufgeräumt.
– Nun, wie hat es Ihnen gestern gefallen?
– Es war ein sehr interessanter Abend.
– Iltis ist ein merkwürdiger Mensch, nicht wahr?
Sie lächelte.
– Nein, nein; ich meine es im vollen Ernste. Ich nehme den Mann absolut ernst ...
Isa sah ihn zweifelnd an.
– Ja, Iltis sei direkt ein dilettantisches Genie. Er wisse Alles, er habe Alles untersucht, Alles gelesen. Sein Gehirn arbeite absolut folgerichtig, nur komme es zu so sonderbaren Schlüssen, die immer seine ganze Arbeit zerstörten. So habe er sich neulich mit dem Problem abgequält, auf welcher Stufe der Entwicklung er die Kinder plazieren solle. Das gab natürlich viel Kopfzerbrechen. Zuerst: ein Vergleich mit den Weibern. Alle Kinder seien Larven von Weibern, oder vielmehr, das Weib sei ein in der Entwicklung zurückgebliebenes Kind. Kinder und Weiber haben runde Formen und zarte Knochen. Kinder und Weiber verstehen nicht logisch zu denken, und seien nicht im Stande, ihr Gemüt mit dem Gehirn zu bemeistern.
Nun kamen aber Schwierigkeiten in den weiteren Vergleich. Die Kinder sind rein und unschuldig, die Weiber sind boshaft, verlogen, kokett, die reinen Dienerinnen des Teufels.
Der Vergleich stimmte also nur formell.
Falk wurde immer lebhafter.
– Aber eines Tages – es war wieder einmal ein früher Morgen, und in solchen Fällen mußte ich gewöhnlich Iltis nach Hause begleiten.
Plötzlich bleibt Iltis an einer Brücke stehen und verliert sich ganz und gar in den Anblick der Schwäne, die in einem großen Schwarm unter der Brücke auftauchen.
Iltis gerät in eine fabelhafte Aufregung.
– Erik, siehst Du?
– Ja, ich sehe.
– Was siehst Du?
– Schwäne.
– Nicht wahr??
– Ja ...
Iltis dreht sich nervös um.
In dem Augenblick kam die Semmelfrau von Jericho ...
Falk lachte nervös auf.
– Wunderbar, diese Semmelfrau von Jericho! Sie kennen den prachtvollen Lilienkron nicht?
– Nein. Isa sah Falk erstaunt an.
Also der Lilienkron hat ein Gedicht geschrieben: die Kreuzigung, – nein: »Rabbi Jeschua«. In dem Zuge ...
– Aber was war mit Iltis?
– Ja, gleich, gleich ... Also in dem Zuge,