– Gute Nacht, Mikita!
– Good-bye, Fräulein Isa, Good-bye!
Nun brüllte er in sein Atelier hinein mit kräftiger und selbstverständlich falscher Intonation:
Venant des noces belles,
Au jardin, des amours ...
VII.
– Nein, nein, mein Kind, laß es Dir gesagt sein, daß alle Gelehrten Dummköpfe sind.
Iltis saß unter einer Gruppe von jungen Leuten und predigte ihnen seine Weltweisheit.
Merkwürdig, daß er seine fünfundvierzig Jahre noch nicht vorgebracht hatte.
Falk konnte ihm die zynische Bemerkung von gestern nicht vergessen.
Er hatte schon den ganzen Abend Acht gegeben, um eine Gelegenheit zu erhaschen, Iltis ein wenig bloßzustellen.
– Alle! Ich kenne wenigstens keinen vernünftigen. Seht nur: das ist bezeichnend für die Herren Professoren. Ich war einmal mit einem Privatdozenten der Geologie zusammen. Er wollte Vermessungen machen. Die Meßnadel wollte aber gar nicht in Ruhe kommen.
Aha! sagt der kluge Privatdozent; ich habe einen Magneten in der Tasche. – Gut, wirf ihn weg, sagte ich. Der Magnet flog weit weg. Aber die Meßnadel war noch immer unruhig. – Du hast wohl ein Taschenmesser bei Dir? Ja, richtig, der kluge Mann hatte ein Taschenmesser. Weit flog das Taschenmesser weg. Aber die Meßnadel war wie verhext. Du stehst wohl auf einer Eisenerzschicht, erlaubte ich mir schüchtern zu bemerken. Kannst Du die Schicht nicht wegschmeißen? Nein, das konnte der kluge Mann nicht.
Ja, so werden Vermessungen gemacht und natürlich auf die Resultate hin weiß Gott welche Theorien aufgebaut.
– Aber ist das auch sicher, daß das Eisenerz die Ursache war? fragte Falk.
Iltis sah ihn erstaunt an.
– Natürlich!
– Nun weißt Du, mit den Ursachen ist das eine heikle Geschichte. Man kann doch kaum jemals eine Ursache angeben, ohne daß sie nicht falsch wäre. Kannst Du mir, um auf dein beliebtes Thema zu kommen, Ursachen für die Inferiorität der Weiber angeben?
– Du brauchst ja nur ein physiologisches Lehrbuch aufzuschlagen.
– Die Atmung? Nun, diese Beweise sind doch einfach lächerlich. Kinder beiderlei Geschlechtes atmen bis zum zehnten Lebensjahre mit dem Bauche, und ebenfalls alle Weiber, die kein Korsett kennen, wie die Chinesinnen und Yuma-Weiber. Der kostale Atmungstypus ist künstlich erzeugt, wie man es bei den Weibern der Chikesaw-Indianer verfolgen kann ...
– Das sind die Angaben von Gelehrten, lieber Falk, die besagen grade das Gegenteil.
– Oh nein, diese Angaben sind von unbefangenen Menschen gemacht, aber auch der zweite Beweis, daß das Weib auf einer niedrigen Entwicklungsstufe stehe, weil es dem Kinde in Form und Proportionen ähnelt, ist ganz hinfällig. Er spricht im Gegenteil für das Höherstehen des Weibes. Der kindliche Typus zeigt besonders die wesentlichen Merkmale der menschlichen Spezies, wogegen der Typus des Mannes, morphologisch genommen, ein Hineinwachsen in die Senilität bedeutet.
– Das ist Metaphysik, lieber Erik. Du bist überhaupt viel zu viel Metaphysiker.
– Möglich. Aber Tatsache ist es, daß Du nur durch eine Verwirrung morphologischer Begriffe von höherer und niedrer Entwicklung zu Deinen Schlüssen gelangt bist.
Iltis sah ihn verständnislos an.
– Das versteh ich nicht.
– Das ist auch nicht nötig. Falk suchte Isa mit den Augen. Wozu spreche man überhaupt. Wenn er hergekommen sei, so doch nicht, um sich über Morphologie zu unterhalten. Er wolle tanzen ...
– Und wir wollen Frieden schließen, nicht wahr? Falk trank Iltis freundlich zu.
Jemand fing an, einen Walzer zu spielen.
Falk ging an Isa heran. Sie stand im Hintergrunde des großen Ateliers. Sie lächelte ihm zu. Nein! das konnte man nicht analysieren, dies saugende Lächeln, als hätte das Halbdunkel, in dem sie stand, geheimnisvoll gelächelt.
– Tanzen Sie, Fräulein?
Es flog wie ein Lichtstreifen über ihr Gesicht.
– Wollen wir tanzen? fragte Falk und erbebte.
Das Blut schoß ihm mit jähem Ruck zum Kopfe, als er ihren schlanken Körper an sich drückte.
Er kam wie in einen Wirbel, der ihn niederriß. Er fühlte, wie sie zusammenwuchsen, wie sie ein Stück von ihm wurde, und er um sich selbst, mit sich selbst in einen unendlichen Rausch hineinwirbelte.
Er sah sie nicht, denn sie war in ihm. Und er zog in sich den Rhythmus und die Linie und den Fluß ihrer Bewegungen und fühlte Alles als ein Hin- und Herwogen in seiner Seele, anschwellend und verebbend, leiser und stärker ...
Und dann plötzlich: ja ein Gefühl von etwas unendlich glattem, Kühlendem, einer weichen Spiegelfläche. Er fühlte sie. Sie lehnte ihre Backe an die seine.
Ein Jubel stieg in ihm auf und er preßte sie heftig an sich.
Sie war sein!
Er vergaß Alles um sich. Die Gesichter der Umstehenden verschwammen in einen fleischroten Streifen, der um ihn wie ein Sonnenring kreiste. Er fühlte nur sich und das Weib, das sein war.
Er hörte nicht die Musik, die Musik war in ihm, die ganze Welt tönte und jubelte in ihm und kreischte auf in heißem Verlangen, und er trug sie durch alle Welt, und er war groß und stolz, weil er sie so tragen konnte.
Wer war Isa, wer war Mikita?
Nur er, er allein war da und sie ein Stück von ihm, das er in den Händen trug.
Beide fielen erschöpft auf ein Sofa.
Es war laut um sie herum. Erregte, zusammenhanglose Stimmen drangen in sein Ohr, die er nicht verstand, und noch immer sah er den fleischroten Sonnenring um sich kreisen.
Er erholte sich. Der rote Nebel schwand, er sah lange, schmale Schwaden von Zigarrenrauch.
Sie lag halb auf dem Sofa, atmete heftig, ihre Augen waren geschlossen.
Er nahm leise ihre Hand. Sie saßen allein, kein Mensch konnte sie beobachten.
Sie erwiderte seinen Druck.
Und sie hielten sich fester und fester an den Händen.
Sie war ihm so nah – noch näher – noch näher; ihre Köpfe berührten sich fast.
Sie sträubte sich nicht; er fühlte sie, wie sie sich hingab, er fühlte sie, wie sie sich in sein Herz legte, in das warme Blutbett seines Herzens.
Sie löste sich plötzlich los.
– Herr Falk, sie erlauben, daß ich Ihnen den ersten, deutschen Kunstmäzen – Schermer grinste boshaft – den Mäzen deutscher Rasse von echtem Schrot und Korn vorstelle ... Herr Buchenzweig.
Herr Buchenzweig verneigte sich sehr tief.
– Herr Schermer führt mich einigermaßen mit zu viel Aplomb in Ihre werte Gesellschaft hinein, aber ich darf sagen, daß ich ein großes Interesse an der Kunst habe.
Herr Buchenzweig setzte sich hin und machte Pause.
Er sah merkwürdig aus. Bartlos, das Gesicht etwas aufgedunsen, und hatte brauenlose Augen.
– Sehen Sie, Herr Falk, Ihr Buch hat mich im höchsten Maße interessiert und entzückt.
– Das freut mich.
Ja, wissen Sie warum?
–