Das Zimmer war in einer sonderbaren, zinnoberroten Beleuchtung. Etwas von einem dicken Rot, wie wenn man feine Rotlagen übereinander schichtete und das Licht sich in ihnen brechen ließe.
War es dies Licht?
Nein, es lag um die Mundwinkel, nein! Feine Streifen um die Augen ... Wieder verschwand es und legte sich in eine zarte Vertiefung in der Kaumuskulatur ... nein, es war unfaßbar.
– Du bist so still, Erik, was fehlt Dir?
– Gott, sind Sie schön!
Falk sprach das absichtlich mit einer solchen Nuance von Unwillkürlichkeit, daß selbst Mikita getäuscht wurde.
– Siehst Du, Isa, der Mann ist offen, nicht wahr?
Seltsamer Mensch! Dies Gesicht ... Isa mußte ihn immer wieder ansehen.
– Was hast Du eigentlich den ganzen Winter gemacht?
Falk raffte sich auf.
– Mit Iltis gebummelt.
– Wer ist Iltis?
– Das ist ein Spitzname für einen großen Mann, erklärte Mikita.
Isa lachte. Das war ein sonderbarer Spitzname.
– Sehen Sie, Fräulein, Iltis ist mir persönlich ein sehr sympathischer Mensch, ein guter Mensch und hält es mit den Jungen. Manchmal werden sie ihm zu toll, dann schleicht er sich still davon ...
– Was ist er denn?
– Er ist Bildhauer. Das ist aber bei ihm furchtbar Nebensache.
Na ja, er interessiert uns nur als Mensch. Und als Mensch wird er von der fixen Idee beherrscht, daß Jemand sich auf seine persönliche Suggestion hin erschießen müsse. Hypnose ist nämlich sein Reitpferd. So kam es, daß wir eine ganze Nacht durchgetrunken hatten. Das verehrte Publikum, das uns für die Priester der Kunst hält ...
– Priester der Kunst! Großartig ... Musentempel und Klio ... Ha, ha, ha. Mikita freute sich ungemein.
– Ja: das Publikum kann sich nicht denken, wie oft das bei den Priestern der Kunst vorkommt. Nach einer solchen Nacht bekommen also die Priester Verlangen nach frischer Luft. Die kleinen Priester fielen unterwegs ab. Nur der große Hierophant ...
– Hierophant! Iltis ein Hierophant!
Mikita schüttelte sich.
– Also der Hierophant und ich gehen zusammen. Plötzlich bleibt Iltis stehen. Ein Mann steht an der Mauer und »starrt in die Höhe«, wie es bei Schubert heißt.
– Mann! sagt Iltis mit einer unglaublichen Vibration in der Stimme.
Aber der Mann rührt sich nicht.
Iltis sprüht förmlich Funken mit seinen Augen.
– Paß auf! Der Mann ist hypnotisiert, flüstert er mir geheimnisvoll zu.
– Mann! Seine Stimme wird drohend und bekommt den Ton einer heiseren Trompete, mit der Jerichos Mauern erschüttert wurden ... Hier hast Du sechs Mark, kauf Dir einen Revolver und schieß Dich tot.
Der Mann streckt die Hand aus.
– Eine vollkommene Hypnose, raunt mir Iltis zu. Er legt mit einer unglaublich großartigen Handbewegung sechs Mark in die offene Hand des Mannes.
Im selben Nu macht der Mann einen Luftsprung:
– Nu brauch ick mir nich totschießen. Hurrah, das Leben!
– Feiger Schurke! brüllt ihm Iltis nach.
Mikita und Fräulein Isa lachten herzlich auf. Falk horchte. Es war da ein Schmelz in dem Lachen – ein ... woran erinnerte ihn das nur?
– Sehen Sie: wär ich ein Kultusminister, würd ich den feigen Schurken als einen wohlbestallten Professor der Psychologie anstellen lassen.
– Verstehen alle Russen so schön zu höhnen?
Sie sah ihn mit großen, herzlichen Augen an.
– Nein, Fräulein, ich bin kein Russe. Ich bin nur an der russischen Grenze geboren. Aber durch die enge Berührung mit den Slaven, die katholische Erziehung und dergleichen schöne Dinge bekommt man vielleicht Etwas in seinen Charakter, das die Deutschen sonst nicht haben. Dann – ja, wissen Sie, man bekommt dort so interessante Eindrücke ...
Falk fing an, mit einer Wärme von seinem Geburtsort zu sprechen, die seltsam von dem leise höhnenden Zug abstach, den er in seiner Stimme hatte.
– Prachtvolle Menschen! Auf ein Hundert können kaum zweie lesen, weil sie Polen sind und in der Schule gezwungen werden, dem süßen Wohllaut einer fremden Sprache zu lauschen.
Ja, man wolle durchaus die polnischen Kinder zu ehrsamen deutschen Bürgern erziehen, und Alles, was ehrsam sei, müsse sich bekanntlich der deutschen Sprache bedienen. Man prügle den Kindern mit einer echt preußischen Energie die wonnesame deutsche Sprache bei und die Fortschritte seien auch ganz eklatant.
– Die Kinder grüßen ja sogar schon mit einem Gruß, der eigentlich »Gelobt sei Jesus Christus« lauten sollte. Aber die gelenkige polnische Zunge weigert sich, solche barbarische Laut-Verbindung wie »Gelobt« auszusprechen, und so wurde der Gruß zu einem »Galopp Jesus Christus, Galopp!« umgewandelt. Warum der liebe Jesus Christus galoppieren soll, können die Kinder freilich nicht begreifen, aber bei einem deutschen Christus ist alles möglich. Der polnische ist ja doch ganz anders, und der polnische Gott versteht ja auch nur polnisch, wie ja auch bekanntlich das Paradies in Polen zu suchen ist.
Es war etwas in seiner Sprache, das sie so seltsam fesselte. Er konnte etwas ganz Triviales sagen, und doch sagte er es mit einer Nuance, einer Betonung ... Mikita sprach zu laut.
– Weißt du, Erik, wie wir noch im Gymnasium waren ... der eine Lehrer hatte eine kolossale Ähnlichkeit mit Iltis ...
Falk horchte halb zu. Während Mikita sprach, sah er sie von Zeit zu Zeit an. Jedesmal begegneten sich ihre Blicke und Beide lächelten.
Dies Gefühl hatte er noch nie empfunden. Es war, als ob sich Etwas in ihm anspannte, sammelte, – er fühlte eine Wärme und eine Energie ... das strömte und goß sich in sein Hirn.
Er hatte sich doch wirklich interessant machen wollen. Ja wirklich. Es war Etwas in ihm, das eine verzweifelte Ähnlichkeit mit Absichten hatte, ja, Absichten, das Weib zu fesseln – sie zu unterhalten ...
Wer war dies Weib?
Wieder sah er hin, sie schien Mikita nicht anzuhören; um die Augen dies seltsame Glühen.
Wie alle die Linien ineinanderflossen hinter dem Schleier.
Er fühlte fast die Lust, etwas von ihrem Gesichte und ihren Augen abzulösen.
Mikita bekam plötzlich mitten in seiner Erzählung einen Ruck.
Er sah flüchtig auf sie hin. Ihre Augen waren auf Falk gerichtet.
Neugierde?... Ja?... Vielleicht nicht ...
Falk merkte Mikitas Unruhe und lachte plötzlich auf:
– Ja, es war merkwürdig. Dieser alte Fränkel – ja, wirklich ein Doppelgänger von Iltis. Weißt Du noch, Mikita, – damals an dem Sonntag. Wir schliefen; ich träumte von dem Chemiker, dem Grieser, der mir damals als ein Geistesriese vorkam. Er hat uns Beide düpiert.
Plötzlich wach ich auf. Jemand klopft an die Türe: Machen Sie auf!
Ich, in meinem verschlafenen Zustand, denke an Grieser. Aber es ist doch nicht Griesers Stimme.
– Wer sind Sie?
– Fränkel.
Ich überhöre Alles und denke nur an Grieser.
– Aber Sie sind doch nicht Grieser?
– Ich bin Fränkel. Machen Sie auf.
– Gott, machen Sie doch