Herr Buchenzweig sprach melancholisch und blähte die Unterlippe auf.
– Wissen Sie, warum? Nach vielen Enttäuschungen bin ich dazu gekommen, in der Kunst Trost zu suchen ...
Der Säugling kam heran.
– Na, Herr Falk, haben Sie wieder ein neues Genie entdeckt? ...
– Nun, Sie scheinen sich noch nicht entdeckt zu haben, oder sind Sie schon entdeckt?
Isa wurde unruhig. Sie horchte zerstreut zu. Wie kam es nur so plötzlich über sie? Wie konnte sie nur das tun? Falk sich so ganz hingeben ... Es war doch lächerlich, einem fremden Menschen, den sie gestern erst kennen gelernt hatte, zu erlauben, ihr so nahe zu kommen. Sie fühlte Scham und Unruhe, weil sie fühlte, daß der Mann ihr näher stand, als sie sich eingestehen wollte.
– Wissen Sie, Herr Buchenzweig, höhnte Schermer, sind Sie wirklich der Mensch, der sich für die Kunst interessiert – ja, Sie sprechen ja ewig von deutscher Kunst und sonstigen Kisten – so tun Sie doch etwas für die deutsche Kunst! Ja tun Sie was, pumpen Sie einem armen, deutschen Künstler, wie mir zum Beispiel, zweihundert Mark. Ja, tun Sie das ...
Herr Buchenzweig blähte die Unterlippe und steckte die Zeigefinger in die Hosentaschen. Er schien alles überhört zu haben und schielte nach Isa hinüber.
Wie unangenehm war ihr der Mensch. Aber warum kommt Mikita nicht; es ist doch schon spät.
– Haben Sie überhaupt zweihundert Mark? Schermer lachte mit offenem Hohn. Auf wie viele Markstücke beläuft sich Ihr Millionenvermögen ...
Daß der Mensch nicht beleidigt wurde. Isa wurde die Gesellschaft plötzlich widerwärtig.
Warum komme er denn nicht. Was wolle er denn wieder von ihr?
Sie fühlte sich müde. Diese beständige Eifersucht ... Aber er hatte nur sie allein, er hatte Niemanden außer ihr. Selbstverständlich wird er nicht kommen. Nun sitzt er auf seinem Atelier und quält sich und rast und läuft herum ...
Sie horchte auf. Falk sprach mit einer so gereizten Betonung.
– Lassen Sie mich doch mit diesem ewigen Literaturklatsch! Wir haben doch etwas Besseres zu tun, als darüber zu streiten, wem der erste Rang in der deutschen Literatur gebührt, Hauptmann oder Sudermann.
– Na, na; der Säugling war sehr indigniert. Es ist doch ein kolossaler Unterschied zwischen den Beiden ...
– Aber es fällt mir gar nicht ein, daran zu zweifeln. Ich bin selbst ein Verehrer von Hauptmann. Ich schätze namentlich seine lyrische Produktion. Haben Sie den Prolog von ihm gelesen, den er zur Eröffnung des Deutschen Theaters geschrieben hat? Nein? Das ist die kostbarste Perle unserer zeitgenössischen Lyrik. Hören Sie nur:
Und so wie es uns, den Alten,
Doch gelang, in diesem Hause,
Wollen wir die Fahne halten
Ob der Straße Marktgebrause ...
– Das Köstlichste haben Sie vergessen, höhnte nun Schermer; wie heißt es doch nur? Das mit den neunundneunzig Zwiebelstücken und dem Schimmer von der Wunderflamme und das Dings da ... na, egal – ne Perle ist es doch ...
Der Säugling warf Schermer einen verächtlichen Blick zu und sprach dann mit bedeutungsvoller Betonung:
– Ich weiß nicht, Herr Falk, ob das Ihr Ernst oder Hohn ist, aber bedenken Sie, was dazu gehört, die »Weber« zu schreiben ...
Schermer unterbrach ihn heftig.
– Das macht keinen Eindruck mehr. An Revolten und Totschlagen sind wir – vom Lokal-Anzeiger her gewöhnt.
Der Säugling fand, daß es unangenehm sei, sich in der Gesellschaft eines betrunkenen Menschen zu befinden, worauf er eine Menge nicht grade schmeichelhafter Sachen zu hören bekam. Die Gruppe löste sich auf. Nur Isa und Falk blieben sitzen.
Er fühlte sie plötzlich so fremd, so weit weg. Er war sehr gereizt. Selbstverständlich sitzt sie wie auf Nadeln und wartet auf Mikita. Er empfand einen heftigen Schmerz.
– Nein, Herr Falk, Mikita wird heute nicht mehr kommen, sagte sie plötzlich.
– Bleiben Sie doch noch hier. Er kann jeden Augenblick kommen.
– Nein, nein! Er kommt nicht. Ich muß jetzt nach Hause. Ich bin so müde. Die Gesellschaft langweilt mich. Ich will nicht länger hier bleiben.
– Darf ich Sie begleiten?
– Wie Sie wollen ...
Falk biß sich in die Lippen. Er sah ihre unruhige Aufregung.
– Vielleicht wünschen Sie nicht, daß ich Sie begleite?
– Nein, nein ... doch, ja – aber ich muß jetzt nach Hause ...
VIII.
Sie traten vor die Tür.
– Soll ich eine Droschke holen?
– Nein, nein; gehen wir!
Das war doch sehr rücksichtslos von Mikita. Er versprach ihr doch ganz sicher, daß er kommen würde. Warum war er nicht gekommen? Worauf war er denn wieder eifersüchtig? Nein, es war doch zu langweilig. Sie litt darunter. Sie fühlte sich wie gebunden. Sie wagte ja kaum mit einem Menschen zu sprechen. Fortwährend fühlte sie seine lauernden Augen auf sich ruhen.
Und die Geschichte in Frankfurt! Nein, er ging doch zu weit, er quälte sie zu viel. Konnte er denn nicht die Freude verstehen, plötzlich in einer fremden Stadt einen Landsmann zu finden? Aber er ging ins Nebenzimmer und schrieb Briefe, um seine Wut zu verbergen.
Sie gingen durch den Tiergarten.
Die laue Märzluft beruhigte sie allmählich.
Jetzt wird er ihr selbstverständlich übel nehmen, daß sie ihn nicht Stunden lang bei Iltis erwartet hatte.
– Können Sie begreifen, Herr Falk, warum Mikita nicht gekommen ist?
– Oh, er wird wohl wieder seine Launen haben ...
Im nächsten Augenblick schämte sich Falk ...
– Er quält sich wohl mit seiner Arbeit, dann mag er Niemanden sehen und am wenigsten in eine Gesellschaft gehen.
Sie schwiegen.
Es war so unheimlich still. Ein leises Angstgefühl schlich sich in ihre Seele.
Wie gut, daß er um sie war!
– Darf ich Ihnen meinen Arm geben?
Sie war ihm fast dankbar.
Nun gingen sie langsamer.
Sie dachte an den Abend, sie dachte an den Tanz, aber sie fühlte keine Scham mehr, keine Unruhe, nein im Gegenteil, eine weiche, angenehme Empfindung von Wärme.
– Warum sind Sie so still? Ihre Stimme klang weich, beinahe zärtlich.
– Ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich dachte, daß es Ihnen unangenehm wäre.
– Nein, nein, Sie irren sich. Die Gesellschaft hat mich nur so nervös gemacht, deswegen wurde ich so unruhig; ich bin so froh, daß wir weggegangen sind.
Sie hatte ungewohnt herzlich und warm gesprochen.
– Ja, sehen Sie, Fräulein Isa; Falk lächelte still; ich hätte eigentlich Grund genug, tief über mich nachzudenken ...
Er fühlte, daß sie gespannt aufhorchte.
– Sehen Sie – dies Merkwürdige – dies Sonderbare ... Sie dürfen mich nicht mißverstehen – ich spreche mit Ihnen darüber, wie über ein Rätsel, ja, ein Geheimnis, als wäre ein Toter wiedergekommen