– Sie sind doch nicht Grieser?
Plötzlich werd ich wach und taumle erschrocken zurück. Es war wirklich Fränkel. O Gott! Und auf dem Tische lag Strauß' »Leben Jesu« ...
Mikita war nervös, aber alle die Erinnerungen erwärmten ihn wieder.
Es wurde ziemlich spät.
Falk fühlte, daß er nun gehen müsse, aber es war ihm unmöglich, ja physisch unmöglich, sich von ihr zu trennen.
– Du Mikita, wollen wir nicht in das Restaurant »zur grünen Nachtigall« gehen. Das wird Fräulein Isa interessieren.
Mikita schwankte, aber Isa schlug sofort ein.
– Ja, ja; ich möchte es sehr gern.
Sie zogen sich an.
Falk ging voraus.
Isa sollte die Lampe auslöschen.
Isa und Mikita blieben einen Augenblick zurück.
– Ist er nicht wunderbar?
– O, herrlich! Aber – lieben könnt ich ihn nicht. Sie küßte ihn heftig.
Unten setzten sich alle Drei in eine Droschke.
Es war eine helle Märznacht.
Sie fuhren durch den Tiergarten, sprachen kein Wort.
In der Droschke war es sehr eng. Falk saß Isa gegenüber.
Dies Gefühl hatte er nie empfunden. Es war ihm, als ströme ihm unaufhörlich eine Hitze in die Augen, ja, es war als sauge sein Körper ihre ... ihre Wärme in sich ein ... Als strahle sie ein saugendes Verlangen aus, das Etwas in ihm auflöste – zerschmelzen machte.
Sein Atem wurde heiß und kurz.
Was war es?
Er hatte wohl zu viel getrunken.
Aber nein!
Plötzlich begegneten sich ihre Hände.
Falk vergaß, daß Mikita da war. Er verlor auf einen Augenblick die Selbstbeherrschung.
Er zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie mit einer Inbrunst, einer solchen Inbrunst ...
Sie ließ es geschehen.
III.
In der »grünen Nachtigall« machte Isas Erscheinen großes Aufsehen.
Falk erblickte den alten Iltis, wie er die Augen zukniff und wie sein Gesicht unangenehm grinste.
Selbstverständlich fing nun seine ausschweifende sexuelle Phantasie zu arbeiten an. Darin war er unübertrefflich.
Iltis lief auch gleich an Mikita heran. Gott, sie waren immer so gute Freunde gewesen.
Falk grüßte mit einem nachlässigen Kopfnicken und setzte sich mit Isa etwas abseits.
Er sah wieder um ihre Augen den heißen, verschleierten Glanz.
Ihm schien, als müsse er zusammensinken. War es schwer, sich in der Macht zu haben! Aber er beherrschte sich.
Interessant, daß er zuerst aufhusten mußte, er fühlte sich so sonderbar heiser.
– Ich werde Sie ein wenig mit der Gesellschaft bekannt machen.
Er hustete wieder kurz auf.
– Sehen Sie, der Herr da, der dicke mit den dünnen Beinen, die Sie leider nicht sehen können – und sie sind in der Tat sehenswert – ja der da, der Sie so mit dem unheimlichen, grübelnden Blick anstarrt, als wittre er in Ihnen unheimliche soziale Rätsel – er ist ein Anarchist. Er macht übrigens Verse, wunderbare Verse: Wir sind die Infanterie ... nein – richtig: die roten Husaren der Menschheit. Rote Husaren! Herrliche preußische Phantasie! Der hat den Drill im Leibe ...
Falk lachte heiser auf.
– Ja, er ist Anarchist und Individualist. Ja, sie sind Alle, Alle, so dick und breit sie da sitzen, Individualisten mit jenem eigentümlichen, dicken, deutschen Bieregoismus.
Es klirrte etwas auf dem Boden.
Alle sahen hin.
Falk lachte.
– Sehen Sie, das ist ein interessanter, junger Mann. Er ist Neokatholiker und glaubt an ein Willenszentrum in der Welt, von dem wir nur Willensemanationen sind. Bei ihm speichert sich die Energie in den Fingerspitzen, er muß sie auslösen, um weitere Energieakkumulationen zu verhindern. Er behilft sich damit, daß er Gläser hinwirft.
Der junge, blonde, lockige Mann sah sich triumphierend um. Sein Tun hatte kein sonderliches Aufsehen erregt, und so rief er nach einem neuen Glase.
Iltis besänftigte ihn.
– Aber Kind ...
– Und der, – ja, der links ... hat er nicht ein Gesicht, wie ein verfaulter Apfel?
Mikita kam heran.
– Wir müssen an ihren Tisch kommen, sonst glauben sie, daß wir uns absondern.
Nun wurden Alle Isa vorgestellt.
Falk saß neben Isa. Ihm zur Rechten saß ein Mann, den Falks Freunde den Säugling nannten.
Der Säugling war überströmend freundlich.
Falk wurde er plötzlich widerlich. Er wußte, daß der Mann ihn haßte.
– Haben Sie das Gedichtbuch gelesen? Der Säugling nannte einen Namen, der gerade aufkam und sehr en vogue war.
– Ja, darin geblättert.
Falk fühlte instinktiv, daß Isa ihm zuhörte. – Er verspürte ein heftiges, inneres Beben.
– Finden Sie es nicht entzückend?
– Durchaus nicht. Nein, er finde das Buch ganz dumm.
Falk versuchte das dumme Zittern zu neutralisieren.
– Ganz, ganz dumm. Wozu schreibe man diese inhaltleeren Gedichtchen? Um den Frühling zu besingen? Der habe wahrhaftig mehr als genug von der ewigen Singerei. Man schäme sich ja schon, das Wort Frühling bloß auszusprechen ...
Mikita sah Falk erstaunt an. Er war nicht gewöhnt, Falk in diesen Kreisen so sprechen zu hören.
– Diese ganze Stimmungsmalerei sei so flach, so nichtssagend ... Diese Stimmungen habe jeder Bauernjunge, jede Bauerndirne, wenn in ihr der träge Stoffwechsel des Winters einem schnelleren Verbrennungsprozesse weiche ... Wären es noch Stimmungen, die auch nur ein Quentchen von dem Furchtbaren, Rätselhaften, an dem der Mensch übervoll sei, offenbarten; wären es Stimmungen, die doch wenigstens, so belanglos sie auch sonst sein mögen, etwas von dem nackten Seelenleben, ja – etwas von der unbekannten Seele geben ... Aber alle diese Dinge, die eine höher stehende Gattung Mensch überhaupt nicht mehr erlebe, weil – weil sich das Gefühl dagegen sträube, sich in dieser Frühlingssängerei zu bewegen ...
Falk stotterte und wurde verwirrt. Es kam ihm vor, als stünde er auf einer Rednertribüne, tausend Zuhörer um ihn herum. Dann wurde er immer dumm und sprach nur banales Zeug. Der Säugling wollte ihn unterbrechen. Aber Falk mußte ausreden.
– Sehen Sie, alle diese Gefühle können Wert haben für Jünglinge und Backfische, weil sie sozusagen das Substrat der Zuchtwahlsempfindungen sind ...
– Aber lieber Falk – der Säugling benutzte eine momentane Pause, in der Falk seine Gedanken zu konzentrieren suchte – Sie verkennen völlig das Wesen der Kunst.
Kunst kommt von können ...
Er sprach den Satz bedeutungsvoll aus.
– Das