– Aber es gab doch damals keine Semmelfrauen, bemerkte ihm einer seiner Freunde.
Lilienkron wurde sehr aufgeregt. Die Semmelfrau sei ja das Herrlichste an dem Gedichte! Er habe ja das ganze Gedicht nur der Semmelfrau wegen geschrieben!
Sie lachte. Ja, sie lachte wie ein Kamerad. Es war wirklich etwas von kameradschaftlicher Biederkeit in ihrem Lachen. Er möchte sie immer so sehen, dann würden sie Freunde werden, nichts weiter.
– Als nun die Semmelfrau von Jericho vorbeigeht, packt Iltis eine Handvoll Semmeln aus dem Korb und wirft sie auf das Wasser.
Nun wird er glücklich.
– Siehst Du?
– Ja, ich sehe.
– Was siehst Du?
– Schwäne.
– Lächerlich. Das seh ich auch. Aber das Andre, das ich mit meiner Intuition erfasse, siehst Du nicht: Schwäne und Kinder stehen auf derselben Stufe. Kinder essen keine Krusten und Schwäne auch nicht.
Isa lachte etwas gezwungen.
Falk wurde sehr nervös. Das war doch lächerlich! Wie konnte er glauben, daß er sie mit diesen kindischen Geschichten unterhalten könnte. Das war doch zu abgeschmackt.
– War es denn sein Ernst?
Nun platzte er heraus.
– Nein, an der ganzen Geschichte sei auch nicht ein Jota Wahrheit. Er habe die Geschichte sehr schlecht erfunden, aber als er zu erzählen anfing, glaubte er, daß etwas Besseres herauskäme ... Ja, das sei unendlich dumm und lächerlich ... Sie dürfe es ihm nicht übel nehmen, wenn er es gradheraus sage, aber er habe die Geschichte nur deswegen erzählt, damit sie sich in seiner Gesellschaft unterhalte ... Er habe einen Drang, daß sie sich nicht mit ihm langweile, er möchte sehr unterhaltend sein, und daher komme es, daß er ungeschickt erzähle und noch dazu idiotische Geschichten.
Isa wurde sehr verlegen.
– Sie nehme es ihm doch nicht übel?
– Nein.
Es dunkelte; eine peinliche Pause trat ein. In Falks Gehirn fing es an sich zu verwirren. Tausend Gefühle und Gedanken durchkreuzten sich und lähmten einander.
– War Mikita heute bei Ihnen? – Er fragte nur um zu fragen, war aber erstaunt, warum er danach fragte.
– Ja, er war hier.
– Er war so sonderbar heute, was fehlte ihm?
– Er ist wohl ein wenig nervös. Die Ausstellung macht ihm viele Kopfschmerzen.
– Er scheint noch immer der Alte zu sein. Wir liebten uns maßlos, aber manchmal wurde es ein bißchen schwer. In einer Stunde konnte er hundert verschiedene Stimmungen haben.
Isa suchte nach einem neuen Gesprächstoff. Falk merkte es an einer nervösen Handbewegung.
– Und ich werde Ihr Brautführer sein?
– Ja freilich. Sie sah ihn fest an.
Wozu nur so fest? Um seinen Mund flog ein unbestimmtes Lächeln.
Isa wurde sehr unangenehm berührt. Was hatte dies Lächeln zu bedeuten?
– Ja, in drei Wochen werden Sie das Glück haben, mein Brautführer zu sein.
– Ich freue mich ungemein. Falk lächelte verbindlich.
Wieder entstand eine Pause.
Sie stand auf.
– Ich muß Ihnen eine Sache zeigen, die Sie interessieren wird.
Falk sah die japanische Vase aufmerksam an.
– Ganz wunderbar! Merkwürdige Künstler, die Japaner! Sie sehen die Dinge wie in einer Momentphotographie. Nicht wahr? Sie müssen doch Dinge wahrnehmen, die uns nicht ins Bewußtsein treten. So in einer tausendstel Sekunde, verstehen Sie?
– Wie meinen Sie das?
– Ja, ich meine, daß sie fähig sind, einen Eindruck festzuhalten, der für unser Bewußtsein zu kurz dauert, oder, wie die Fachpsychologen sich so elegant ausdrücken: die physiologische Zeit ist zu kurz, damit ein solcher Eindruck ins Bewußtsein tritt ...
Er hielt die Vase in den Händen und sah Isa fest an.
– Manchmal gelingt es mir auch, freilich nur selten. Aber heute zum Beispiel, als ich Sie im Korridor sah. Da glitt ein Ausdruck von Freude über Ihr Gesicht und verschwand im Nu.
– So? Haben Sie das gesehen? fragte sie spöttisch.
– Ja; es war wie ein momentanes Aufblitzen von Magnesiumlicht, aber ich sah es doch. Nicht wahr? Sie freuten sich, als ich kam, und ich wurde so unendlich glücklich, als ich das sah.
Es klang so ehrlich, so herzlich, was er da sprach. Sie fühlte, daß sie rot wurde.
– Nun müssen wir wohl gehen, sagte sie.
– Nein, warten wir noch ein wenig; es ist noch zu früh ... Und dann, wissen Sie, ich bin vielleicht ein wenig zu offen, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich mich hier so unendlich wohl fühle. Ich habe nie, nein – nirgends noch hab ich ein ähnliches Gefühl gehabt.
Die Dämmerung konnte doch die Menschen merkwürdig nahe aneinander bringen.
– Es ist Alles so sonderbar. Es ist sonderbar, daß Mikita mein Freund ist, daß Sie seine Verlobte sind; sonderbar ist das Gefühl, als wär ich schon tausend Jahre mit Ihnen bekannt ...
Isa stand auf und zündete die Lampe an.
Licht schafft Distanz. Ja, sie wollte die Distanz herstellen.
– Schade, daß Mikita erst spät nachkommen kann.
– Ja, das ist sehr schade. – Er war gereizt. Nun mußte er wieder an Mikita denken. Lächerlich, daß Mikita ein ausschließliches Monopol auf einen Menschen haben sollte. Nun, dagegen war nichts zu machen.
Er sah auf die Uhr.
– Jetzt ist es Zeit. Jetzt müssen wir gehen.
VI.
Wie war ihm nur plötzlich diese Idee gekommen?
Ein Weib mußte er haben mitten auf dem Bilde, lockend, verführerisch – und von allen Seiten, ja, von oben, von unten, strecken sich tausend Hände nach ihr. Tausend Hände schreien, huh, schreien nach ihr! Magere, nervöse Künstlerhände; dicke, fleischige Börsenjobberhände mit großen Ringen, tausend andre Hände – eine Orgie von verlangenden, begehrlichen Händen ... Und sie mit lockenden, geheimnisvollen Blicken ...
Mikita fieberte.
Ja sofort mußte er es malen. Schneller, schneller, sonst fliegt es weg, und dann kommen die wundersamen Gedanken ...
Falk ist kein Lump! verstehst du, Mikita? Falk ist kein Lump!
Er schrie es deutlich in sich hinein.
Aber plötzlich sah er sie Beide staunend und bewundernd sich anschauen; er sah, wie sich ihre Blicke ineinander wühlten und wie sie dann verlegen lächelten.
Und heute bei Iltis: es wird sicher Tanz geben. Daran hatte er früher nicht gedacht.
Tanz ... Tanz. Isa liebt den Tanz. Isa ist die geborene Tänzerin. Sie hat nur diese eine Leidenschaft.
Er sah sie einmal, wie sie tanzte. Alles brach in ihm. Dieser wüste, bacchantische Aufschwung ...
Das sollte man malen – das! lieber Herr Naturalist. Das, wie sich einem die Seele öffnet und das verfluchte Fremde herauskriecht. Dies Scheußliche – der Othello und so was Ähnliches ...
Ekelhafte