Ritter oder Dame (Historischer Roman - Zeitalter der Aufklärung). Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237432
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aller Interessen und aller Intriguen, zu verlassen; ihr großes Hotel, früher der Sammelplatz einer ausgelassen fröhlichen Gesellschaft, lag jetzt still da und seine Thüren öffneten sich nur den frommen Patres, alten Damen, welche die Gesinnung und den Groll der Herzogin theilten, und alt gewordenen Abbés, welche die boshafte Medisance, die dort den Gegenstand der Konversation bildete, mit einigen welken Blüten abgestandener Galanterie ausschmückten.

      Das junge Fräulein von Beaumont war recht unglücklich in diesem großen glänzenden Hotel und in dieser einförmigen Gesellschaft, deren Unterhaltungen so wenig Reiz für ein siebenzehnjähriges Mädchen boten. Sie hatte ihre Jugend verlebt in dem kleinen und bescheidenen, aber reizend gelegenen Schlößchen an den sonnigen Ufern der Garonne, in Freiheit und kindlicher Lust, — auch ihr Vater war fromm gewesen und hatte sie früh schon mit noch stammelnden Lippen ihr Gebet sprechen gelehrt, wenn die Abendglocken herübertönten von der Kapelle auf dem nahen Hügel, — aber wie anders waren jene Gebete gewesen, als diejenigen, die sie hier bei ihrer Tante hörte, — hier schnürte sich ihre Brust eng und angstvoll zusammen und die Worte des Gebets, die ihre Lippen sprechen sollten, fielen matt zur Erde.

      Fräulein Louise von Beaumont war eine schlanke, zierliche Gestalt, mit weichen, anmuthigen Bewegungen, ihr feines Gesicht erinnerte an eine Miniaturmalerei auf Elfenbein, während die großen Augen, welche unter den langen seidenen Wimpern hervorblickten, den schwärmerischen Ausblick italienischer Madonnenköpfe mit einem leichten Anflug jener hervorlauschenden Schalkhaftigkeit vereinigten, welche aus so vielen taubensanften Frauenaugen blickt und den englischen Dichter zu dem Wort veranlaßte: ›Every woman has a rake at heart‹, und ihre wunderbar schönen und reichen dunkelbraunen Haare waren, als fürchte sie die Schönheit dieses herrlichen Schmuckes zu verhüllen, nur leicht mit Puder überstäubt.

      Dieß so schöne und lieblich anmuthige Mädchen saß an dem Morgen, an welchem der Chevalier seine Fahrt nach Versailles unternahm, allein in dem Salon der Herzogin von Guéménée mit einer Tapisseriearbeit beschäftigt, die sie von Zeit zu Zeit träumend in ihren Schooß sinken ließ, während ihre Lippen sich in leisem Selbstgespräch bewegten und ihre Augen bald in kindlichem Trotz, bald in schwermüthigem Sinnen sich nach den an den Deckensimsen angebrachten, von Rosenguirlanden umschlungenen Liebesgöttern emporrichteten.

      Da erhob sich die seidene Portiere vor der Thür, welche in die großen Empfangszimmer führte, und ein junger Mann blickte vorsichtig spähend in das Zimmer hinein. Dieser junge Mann, der, von dem schweren faltigen Vorhang, den er mit der einen Hand leicht und graziös emporhielt, umrahmt, wie ein reizendes Genrebild dastand, mochte höchstens einundzwanzig bis zweiundzwanzig Jahre zählen. Er trug die elegante und kleidsame Uniform des Elitekorps der grauen Musketiere des Königs, den Degen mit dem goldenen Gefäß an der Seite, die weißen, tadellos anschließenden Stulphandschuhe an den feinen, schlanken Händen, den Hut mit der weißen Feder unter dem Arm. Sein Gesicht mit dem schwarzen Flaum aus der keck aufgeworfenen Oberlippe vereinigte in seinen weichen Zügen und in seinen glänzenden Augen die Schüchternheit des Knaben mit dem Muthwillen des Pagen und der Kühnheit des Soldaten, seine ganze Erscheinung war übergossen von dem Reiz der Jugend und dem eigentümlichen Zauber einer vornehmen Rasse, welche durch Erziehung und Leben auf den Höhen der Gesellschaft zu voller Entwickelung gebracht ist.

      Der junge Mann, welcher so spähend in das Zimmer blickte und in glücklicher Freude aufjauchzen zu wollen schien, als er die schöne Louise erblickte, war der Chevalier Gaston von Aurigny, Fähndrich bei den grauen Musketieren, diesem vornehmen Korps der maison militairs des Königs, welche damals noch bestand und welche später, trotz des Rathes Friedrich's des Großen, Ludwig XVI. auflöste, um sich den Linientruppen und Nationalgarden anzuvertrauen, die ihn an die Revolution überlieferten. Gaston war ein armer jüngerer Sohn einer alten und berühmten Familie aus der Heimat des Fräuleins von Beaumont, mit der er als Kind gespielt hatte. Sein Haus stand mit demjenigen der Herzogin von Guéménée in traditionellen Beziehungen und auf Grund derselben war er von der alten Dame in ihre kleinen Zirkel gezogen worden. Der lebenslustige junge Offizier wäre wohl kaum oft in diesen für ihn so fremdartigen und seiner Natur so wenig sympathischen Kreis gekommen, wenn er nicht seine Jugendfreundin hier wiedergefunden, und wenn nicht sehr bald das schöne Fräulein von Beaumont für ihn einen unwiderstehlichen Anziehungspunkt gebildet hätte. Er wußte sich geschickt und geschmeidig bei der Herzogin zu insinuiren, welche sein häufiges Erscheinen in ihrem Hause für ein anerkennenswerthes Zeichen frommer und würdiger Gesinnung aufnahm, die sie dem schönen, von allen Verführungen des Hofes umgebenen Offizier um so höher anrechnete, und so fanden die jungen Leute vielfache, von Gaston eifrig gesuchte und von Louise nicht vermiedene Gelegenheiten sich zu sehen und unbelauscht zu sprechen und sich dabei über die Gefühle ihrer Herzen, die einander entgegenflogen, zu verständigen.

      Nachdem also der vorsichtig in das Zimmer hineinblickende Musketier sich überzeugt hatte, daß das junge Mädchen allein sei, trat er, rasch die Portière hinter sich zurückfallen lassend, einige Schritte vor und rief:

      »Louise — meine theure Louise — Sie sind allein, — o welches Glück!«

      Louise war bei dem Geräusch seines sporenklirrenden Schrittes und bei dem Ton seiner Stimme aufgesprungen und streckte ihm mit einem reizenden Lächeln beide Hände entgegen.

      »Gaston,« sagte sie verwirrt und überrascht, — »Sie hier? — jetzt?«

      »Ich habe keinen Dienst,« erwiederte der junge Mann, indem er die Spitzen ihrer schlanken Finger küßte, »und bin gekommen, um Sie wenigstens flüchtig zu sehen, — mein glücklicher Stern läßt mich Sie allein finden und schenkt uns einen süßen Augenblick, um zu plaudern, — wozu wir so selten leider Gelegenheit finden.«

      »Die Herzogin wird nicht lange mehr fortbleiben,« sagte Louise, indem sie erröthend ihre Hände zurückzog, welche er nicht wieder von seinen Lippen lassen zu wollen schien, — »die Zeit der Messe ist fast vorbei — und wenn sie Sie hier findet, so könnte sie böse werden; — ich bin zur Strafe zu Hause gelassen, weil ich heute in der ersten Frühmesse nicht andächtig genug war, — weil ich zu oft nach einem gewissen Pfeiler hinsah, neben welchem ein gewisser junger Musketier kniete —«

      Sie schlug nach einem schnellen, schalkhaften Blick stockend die Augen nieder.

      »O,« rief Gaston entzückt, — »dann bin ich ja mitschuldig an Ihrem Vergehen und muß auch Ihre Strafe theilen, — die Einsamkeit ist zu Zweien weit weniger langweilig, als wenn man sie allein ertragen muß.«

      Er führte sie zu ihrem Sessel zurück, zog ein Tabouret heran und setzte sich zu ihren Füßen.

      »Ich werde suchen,« sagte er, ihre nur leicht widerstrebende Hand wieder an seine Lippen führend, »Sie recht oft schuldig zu machen, um recht oft diese Strafe mit Ihnen theilen zu können.«

      »Sie scherzen, Gaston,« sagte Louise, »und ich bin doch so traurig, — wenn meine Tante je bemerkte, daß wir uns lieben, sie würde Ihre Besuche nicht mehr empfangen! Sie ist Ihnen jetzt freundlich gewogen, weil Sie ihr empfohlen sind, weil Sie ihr kleine Anekdoten erzählen, und weil sie Sie zur wahren Frömmigkeit nach ihrem Muster zu bekehren hofft, — aber wenn sie etwas merkte, — sie, die es für ein Verbrechen erklärt, wenn ich einen jungen Herrn nur ansehe, — und dann —« fügte sie zögernd hinzu.

      »Und dann? — — was und dann?« fragte Gaston, ihre Hand liebkosend.

      »Ach,« sagte Louise stockend und scheu im Zimmer umherblickend, — »ich habe immer nicht begriffen, warum die Tante so durchaus darauf besteht, mich in ein Kloster zu schicken, — ich habe geglaubt, sie strebte nur nach dem Verdienst, dem Himmel eine Seele zu retten, — aber —«

      »Nun? — aber —?« fragte Gaston, aufmerksam und gespannt in das Gesicht des schönen Mädchens blickend.

      »Neulich,« sagte Louise, indem sie die Augen vor seinem Blick niederschlug, — »vor einigen Tagen saß ich in der Orangerie hinter einem Bosket verborgen, — die Tante wußte es nicht und ging auf und nieder mit dem Pater Linière, ihrem Vertrauten —«

      »Nun?« fragte Gaston unruhig.

      »Der Pater sprach streng mit ihr,« fuhr Louise fort, »und verlangte,