Ritter oder Dame (Historischer Roman - Zeitalter der Aufklärung). Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237432
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Weise und bei jeder Gelegenheit. Zwar frondirte es nicht mehr mit der Muskete auf der Schulter und dem Degen in der Hand, dazu fehlten ihm die Führer, die rebellischen Prinzen wie Beaufort und Conti, und die konspirirenden Damen wie die Herzogin von Chevreuse und Mademoiselle von Mont-Zensier, — aber es jauchzte allen Denen zu, welche die Kämpfe der Fronde mit den Waffen des Rechtes und des Geistes fortsetzten, es umgab mit der Fülle der Popularität die Parlamente, welche gegen die Registrirung der königlichen Verordnungen eine oft begründete, oft auch unbegründete Opposition erhoben, und die Philosophen, welche ihre scharfen Kritiken gegen die staatlichen und gesellschaftlichen Zustände richteten, und es sang mit unermüdlicher Ausdauer alle die hämischen und boshaften, aber immer witzigen Couplets, welche täglich neu gegen den Hof und alle hervorragenden Persönlichkeiten desselben auftauchten, welche selbst den König nicht schonten und ihren Stachel gegen die Marquise und den Herzog von Choiseuil richteten, obgleich diese die Freunde und Gönner der Philosophen waren.

      In dieser Zeit der allgemeinen Unruhe, Gährung und Erregung, welche noch keinen bestimmten Zweck und kein deutlich vorgestecktes Ziel hatte, wohnte in einem der hochgiebeligen alten Häuser der Rue des Saints Pères, welche von den Kais nach den alten Stadttheilen hinführt, in denen die mächtigen, mit fürstlicher Raumverschwendung erbauten Hotels der großen Adelsgeschlechter sich an einander reihen, ein junger Mann in einfachen und bescheidenen Verhältnissen, fast unbekannt allen Nachbarn und selbst den Mitbewohnern des Hauses, das einem reichen Seidenhändler gehörte, der im Erdgeschoß seine Kaufgewölbe hatte und den weiten ersten Stock bewohnte.

      Dieser junge Mann, der drei Zimmer des zweiten Stockwerks gemiethet hatte und von der alten Frau des Concierge bedient wurde, die ihm auch von einem Garkoch in der Nähe seine bescheidenen Mahlzeiten herbeiholte, war der Chevalier Charles Geneviève d'Éon de Beaumont, der einzige Sohn eines nicht begüterten Edelmannes aus einer Seitenlinie der alten und berühmten Familie von Beaumont, der zu Tonnère in Burgund gelebt hatte und einige Jahre vorher gestorben war. Der Chevalier stand nun ziemlich allein in der Welt und besaß von näheren Verwandten nur noch eine Cousine, Fräulein Louise von Beaumont, ein armes, seit etwa einem Jahre ebenfalls verwaistes Mädchen, das bei einer ziemlich entfernten Verwandten, der Herzogin von Guéménee, die in Versailles lebte, Aufnahme gefunden hatte. Der junge Mann, welcher von Jugend auf durch fleißiges Studium sich umfassende Kenntnisse in den Staats- und Rechtswissenschaften erworben hatte, machte sein kleines Vermögen flüssig und begab sich nach Paris, um dort sein Glück zu versuchen, da es seiner feurigen Seele und seinem hochstrebenden Geiste zuwider war, in der Verborgenheit der Provinz von seinem dürftigen Einkommen ein dunkles Dasein zu führen. Er war seit etwa drei Jahren in der großen Hauptstadt und beschäftigte sich als Parlamentsadvokat, aber die Klienten und die Sporteln waren nur spärlich gekommen und langsam und allmälig, wie von einer vollen Baumkrone abwelkende Blätter, waren seine Hoffnungen und Illusionen zu Boden gesunken. Es war so schwer für den unbekannten und mittellosen jungen Mann, sich durch das vielverschlungene Labyrinth der vielen in der großen Hauptstadt sich durchkreuzenden Interessen einen Weg zu bahnen, und nach langer erfolgloser Arbeit hatte sich eine tiefe, schwermüthige und bittere Gemüthsstimmung des armen kleinen Chevalier bemächtigt.

      Denn klein war er — und das war ein Unglück mehr für ihn, wenigstens glaubte er seiner unscheinbaren Gestalt, die fast eine Naturmerkwürdigkeit war, einen großen Theil von dem Mißerfolg seines ehrgeizigen Strebens zuschreiben zu sollen — vielleicht mit Unrecht, aber eine vom Unglück niedergebeugte Seele sucht ja fast immer in selbstquälerischer Erfindung allerlei Gründe für die Ungunst des Glücks. Der Chevalier d'Éon war von schlanker, ebenmäßiger und anmuthiger Gestalt, aber diese Gestalt war so klein und zierlich und dabei von so entschieden weiblichen Formen, daß Jeder, der ihn nicht kannte, ihn für ein Kind oder eine verkleidete Frau halten mußte. Sein Gesicht war von regelmäßiger Schönheit mit dunklen, sinnenden Augen und feinen, geistvollen Zügen, dabei aber, seiner Körperbildung entsprechend, so weich und weiblich und, obgleich er sechsundzwanzig Jahre alt war, so ohne jede Spur von Bartwuchs oder männlicher Entwicklung, seine wohllautende Stimme hatte einen so entschieden weiblichen Altton, daß er überall spöttischem Hohn oder mitleidigem Bedauern begegnete, und Diejenigen, welche gegen die Schärfe seines Geistes und seiner Dialektik nicht aufkommen konnten, rächten sich dafür durch beißende Bemerkungen über seine körperliche Unvollkommenheit.

      Er hatte sich fast von allem Verkehr mit der Welt entmuthigt zurückgezogen, auch das Suchen nach gerichtlicher Praxis fast aufgegeben, da die meisten Parteien bei der Führung ihrer Prozesse zu den großen, kräftigen Männern mehr Vertrauen hatten, als zu dem kleinen, anscheinend noch so jugendlich unreifen Chevalier, und er füllte seine unfreiwillige Muße mit Ausarbeitungen über manche schwebenden Fragen des Rechts und der Politik aus, welche er als Broschüren erscheinen ließ, ohne auch auf diesem Wege besondere Beachtung zu erzielen, da seine Arbeiten zu ernst waren und ihnen jener Ton witzig-spottender Kritik der Regierung und des Hofes fehlte, welcher damals zur Mode gehörte und allein das Interesse des Publikums zu wecken und zu fesseln vermochte.

      Der einzige Ort, an dem er verkehrte und wo er seit länger als einem Jahre fast alle seine Abende zubrachte, war das Haus des Grafen von Rochefort, eines alten, kränklichen, aber hochgebildeten und geistvollen Herrn, der mit dem Vater des Chevalier vor langen Jahren in freundlichen Beziehungen gestanden hatte und an der Unterhaltung des jungen, unterrichteten, klar und scharf denkenden Mannes großes Gefallen fand. Der Graf von Rochefort hatte sich in seinem späten Alter mit einem jungen, wunderschönen, aber ganz armen Fräulein verheirathet, welche ihm die Stellung und den Namen, die er ihr gegeben, durch kindliche Ergebenheit und treue Pflege vergalt, obgleich ihr lebenslustiger, frischer Sinn oft schmerzlich den Druck des einsamen Lebens an der Seite des kränklichen, hinfälligen Greises empfand. Der Chevalier brachte dem Grafen die Neuigkeiten des Tages, er las ihm die aufsehenerregenden Couplets, die politischen und philosophischen Broschüren vor; der lebhafte Geist der schönen Gräfin gab sich mit immer lebhafterem Vergnügen dieser einzigen Unterhaltung hin, welche ihr geboten wurde, und die Abende, welche der auf ein bewegtes Leben am Hof und in der Diplomatie zurückblickende alte Graf, die schöne, mit allen natürlichen Gaben des Geistes ausgestattete Frau und der fein empfindende, kenntnißreiche und fast gelehrte junge Mann mit einander zubrachten, wurden Jedem von ihnen zu einer immer neu sprudelnden Quelle wechselvollen Vergnügens. Zwischen dem Chevalier und der Gräfin bildete sich dabei ein Verhältniß zarten und reinen Minnedienstes aus, wie er in den vergangenen Zeiten altritterlich romantischer Galanterie vorgekommen, aber aus der damaligen Welt längst verschwunden war. Der feurige, von der übrigen Welt beinahe ganz abgeschlossene Chevalier konnte unmöglich täglich mit der so reizenden jungen Frau zusammensein, ihre dunklen, von innerer Glut leuchtenden Augen, während er vorlas oder sprach, auf sich gerichtet sehen, ohne daß sein ganzes, von zurückgedrängter Sehnsucht nach Ehre, Anerkennung und Lebensgenuß schwellendes Herz sich ihr hingab, und die einsame junge Frau, welche diese zarte Liebe wohl bemerkte, belohnte die innige Ergebenheit und die zugleich so ehrerbietige Zurückhaltung des jungen Mannes mit manchem Blick voll süßer Theilnahme und manchem kaum fühlbaren Händedruck, der aber, so flüchtig er auch immer sein mochte, stets den Chevalier mit Entzücken erfüllte. Diese so huldvoll aufgenommene Liebe zu der schönen Gräfin Rochefort war das einzige Glück, welches diese Zeit einsamen, stillen Lebens ihm bot, und sein hohes, glühendes Streben, das überall so niederschlagende Zurückweisung fand, konzentrirte sich mehr und mehr auf diese Liebe. Endlich war auch dieser kleine Lichtkreis verdunkelt, — der alte Graf Rochefort war fast plötzlich gestorben, — der Chevalier hatte in ernster Betrübniß über den Tod dieses wirklich teilnehmenden Freundes der jungen Wittwe beigestanden, die Beisetzung der Leiche ihres Gemahls zu besorgen, — eine stille Hoffnung erfüllte ihn, als er Diejenige frei sah, der er sein Herz hingegeben, aber er wagte in seinem feinen ritterlichen Gefühl dieser Hoffnung kaum durch Blicke in den ersten Tagen nach dem Todesfall Ausdruck zu geben, mehr als je aber erfüllte ihn die Sehnsucht, eine Stellung zu erringen, um die stillen Träume seiner verschwiegenen Hoffnungen endlich zur Wahrheit machen zu können. Die Gräfin hatte von ihrem Gemahl ein bedeutendes Vermögen geerbt, wenn auch die Hauptbesitzungen seiner Familie an entfernte Lehenserben fielen, — um so weniger mochte der stolze Sinn des Chevalier jetzt, da das äußere Hinderniß zwischen ihnen gefallen war, irgend eine Andeutung über seine Hoffnungen machen, bevor es ihm nicht gelungen war, für sich selbst eine unabhängige und sichere Stellung zu erringen. Er