Ritter oder Dame (Historischer Roman - Zeitalter der Aufklärung). Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237432
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die Hand.

      »Ich verstehe Ihre Entfernung, Chevalier,« sagte sie mit innigem Ton, der dem jungen Mann tief in die Seele drang, — »aber ich bitte Sie, mich nicht zu lange allein zu lassen, — ich werde sehr einsam sein,« fügte sie mit einem schweren Seufzer hinzu.

      Fortgerissen von seinem Gefühl, sank der Chevalier vor der reizenden Frau in die Kniee nieder, drückte in glühendem Kusse seine Lippen auf ihre weiße Hand und rief:

      »Wenn ich mein Herz hörte, Gräfin, so verließe ich Sie keinen Augenblick, — seien Sie gewiß, daß ich bald wiederkehre und daß mein heiligstes Streben sein wird, dann vor Ihnen so zu erscheinen, daß ich Alles sagen darf, was jetzt in meiner Brust verschlossen ruht.«

      »Ich erwarte Sie,« hauchte die Gräfin.

      Glühenden Herzens und glühenden Kopfes eilte der Chevalier davon, um sich mit tausend Plänen zu beschäftigen, wie er das schon fast im Mißmuth aufgegebene Ziel einer festen und angesehenen Stellung im Staatsdienst oder am Hof erreichen könne.

      Einige Zeit verging in unruhvollen Arbeiten, in vergeblichen Besuchen und Absendung von Bittschriften, — da endlich schien das Glück, das so lange dem armen jungen Manne hartnäckig sein Gesicht verhüllt hatte, sich mit einem freundlichen Blick ihm zuzuwenden. Er erhielt ganz unerwartet an einem schönen Frühlingstag, etwa vier Wochen nach dem Tode des Grafen Rochefort, zu dessen Wittwe er, niedergedrückt und entmuthigt von der Erfolglosigkeit aller seiner Schritte, noch immer nicht wieder zurückzukehren gewagt hatte, den Befehl, sich nach dem Hotel Choiseuil zu begeben, wo der Minister ihn empfangen wolle, der allmächtig Frankreichs Geschicke lenkte und, wie er zuweilen that, von Versailles nach Paris gekommen war, um sich den Parisern zu zeigen, einige Audienzen zu ertheilen und seine Popularität ein wenig aufzufrischen. Denn der Herzog besaß diese von den Fürsten und Ministern oft so vergeblich gesuchte oder so ungeschickt verscherzte mächtige Waffe der Popularität, trotzdem er oft genug mit der öffentlichen Meinung, dieser damals zuerst sich aufrichtenden Gewalt, in Widerspruch trat und dieselbe ziemlich stolz und hochmüthig brüskirte. Er focht scharfe Kämpfe mit den Parlamenten aus und wurde dafür oft in beißenden Spottversen und scharfen Kritiken angegriffen, aber die anmaßenden und eitlen Herren von der Robe waren eigentlich durchaus nicht beliebt im Volk und fanden nur den Beifall, der jede Opposition gegen die Macht begleitet, der Herzog aber hatte mehrere und bedeutende Anrechte an die dauernde Gunst der pariser Bürgerschaft. Zunächst hatte er seine Gemahlin, die Tochter des reichen Bankiers Crozat, aus dieser Bürgerschaft gewählt und führte mit derselben eine überaus glückliche und musterhafte Ehe. Wenn ihm diese Heirath auch ein unermeßliches Vermögen eingebracht hatte, so fühlten sich die guten pariser Bürger doch stolz und geehrt, daß ein Mitglied des höchsten Adels und ein Günstling des Hofes in jener Zeit der Vorurtheile und Sittenlosigkeit mit einer Tochter der Bourgeoisie ein glückliches und vorwurfsfreies häusliches Leben führte. Der Herzog war ferner Grandseigneur im weitesten Sinne des Wortes, — er streute das Gold mit vollen Händen in fürstlicher Weise aus und endlich war er der erklärte Feind der Jesuiten, auf welche sich damals der heftigste Zorn der Pariser konzentrirte, weil schon in mehreren Fällen der Orden sich der Jurisdiktion der Parlamente und selbst der Bischöfe offen widersetzt hatte und nur dem Urtheil seines Generals sich unterwerfen wollte, und weil der Einfluß des dem Orden zugehörigen Beichtvaters des Königs bisher noch immer ein ernstes Vorgehen gegen die übermüthigen Patres, die sich über weltliches und kirchliches Gesetz stellten, verhindert hatte.

      Von fieberhafter Aufregung zitternd, begab sich der Chevalier nach dem Hotel Choiseuil, in dessen weitem Hofe die Equipagen des Herzogs angespannt standen, während die Vorreiter ihre prachtvollen Blutpferde auf und ab führten. Der Chevalier ging klopfenden Herzens durch die Wolke von Lakaien, welche die Treppen und Vorplätze anfüllten und den bescheiden gekleideten jungen Mann mit der unscheinbaren Kindergestalt gar nicht beachteten oder mit einer fast mitleidigen Verwunderung anblickten, und fand endlich das Vorzimmer des Herzogs. Er nannte dem Huissier seinen Namen und wurde sogleich, einer Menge glänzender Kavaliere voraus, in das Kabinet des Ministers geführt.

      Der Herzog von Choiseuil, damals in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre stehend, war ein hoch, schlank und kräftig gewachsener Mann. Er trug einen Anzug von dunkelblauem Sammet, nur mit einer leichten, feinen Silberstickerei besetzt, darüber das blaue Band und den Stern des Ordens vom heiligen Geist mit der abwärts fliegenden Taube auf der Brust. Sein Gesicht hatte fast zu kräftige Züge, doch gaben ihm dieselben ein um so männlicheres Aussehen, seine großen Augen unter schön geschwungenen Brauen blickten stolz von oben herab und die auf die hochgewölbte Stirn herabfallenden weißen Locken der gepuderten Perrücke ließen das außerordentlich vornehme Gesicht noch jugendlicher erscheinen, als es vielleicht unter natürlich dunklem Haar der Fall gewesen wäre. Der Chevalier, welcher etwas schüchtern, aber mit edlem, freiem Anstand in das kleine, mit Deckengemälden und reichen Vergoldungen ausgeschmückte Gemach trat, verneigte sich tief vor dem Minister, den er noch nie in der Nähe gesehen hatte und dessen männliche und hocharistokratische Erscheinung ihm imponirte.

      Der Herzog blickte den eintretenden jungen Mann mit seinen großen durchdringenden Augen an, denen man ansah, daß sie nur selten sich zu senken gewohnt waren. Er schien betroffen von dieser so schmächtigen, zarten Gestalt und diesem Kindergesicht, und während der Chevalier, ihn grüßend, tief das Haupt herabbeugte, spielte ein flüchtiges Lächeln gutmüthigen Spottes um seine Lippen, das jedoch die Selbstbeherrschung des feinen Weltmannes schon wieder hatte verschwinden lassen, als der junge Mann sein Haupt wieder erhob und den allmächtigen Minister erwartungsvoll ansah.

      »Ich habe die letzten Broschüren gelesen, mein Herr,« sagte der Herzog mit seiner vollen, sonoren Stimme, »in denen Sie einige gerade jetzt zur Erörterung stehende Rechtsfragen und auch die Stellung Frankreichs in der europäischen Politik und den übrigen Mächten gegenüber behandeln, und ich mache Ihnen mein Kompliment über die Schärfe Ihres Urtheils und Ihre gediegenen Kenntnisse.«

      Die Freude, welche der kleine Chevalier bei dieser ersten Anerkennung seiner Arbeiten aus dem Munde des gebietenden Staatsmannes empfand, ließ das Blut in seine Wangen steigen und verwirrte seine Gedanken, so daß er, der sonst seiner Rede so mächtig war und seine Worte so wohl zu setzen verstand, sich nur hoch erröthend verneigte und stammelte: »Der Herr Herzog ist zu gütig —«

      »Außer jener Schärfe des Urtheils und jenen umfassenden Kenntnissen,« fuhr der Herzog fort, »welche ich auch bei einem Gegner achten würde, bin ich aber bei dem Durchblättern Ihrer Broschüren durch die große Uebereinstimmung betroffen worden, welche zwischen Ihren Ideen und den meinigen stattfindet, — Sie plaidiren für ein festes Bündniß mit Oesterreich und auch ich halte dasselbe für das sicherste Mittel, den Einfluß Frankreichs in Europa zu erhalten — leider müßte ich eigentlich sagen: wieder zu gewinnen.«

      »Ja, Herr Herzog,« rief der Chevalier ganz glücklich, »ich bin durchdrungen von der Nothwendigkeit dieses Bündnisses, das so vielfach angefeindet wird, — denn —«

      »Ich kenne Ihre Ansichten aus Ihren Broschüren,« fiel der Herzog ein, indem er den Chevalier mit der Rücksichtslosigkeit des an das Herrschen und Befehlen gewöhnten großen Herrn unterbrach, zugleich aber das Verletzende dieser Unterbrechung durch seinen verbindlichen Ton und seine artige Handbewegung abschwächte, — »und ich wünsche, da Sie meine Ueberzeugungen theilen und dieselben so vortrefflich zu begründen verstehen, Ihre Kraft und Ihr Talent für den Dienst der Regierung zu nützen. Ich werde Sie Seiner Majestät vorstellen und Ihnen eine Ihren Fähigkeiten entsprechende Anstellung geben. In einigen Tagen werden Sie Nachricht von mir erhalten, dann kommen Sie nach Versailles und melden Sie sich zuvor bei der Frau Marquise von Pompadour, der ich von Ihnen gesprochen und die ebenfalls die Karriere eines so hoffnungsvollen jungen Mannes unterstützen wird.«

      Der Herzog neigte leicht den Kopf, zum Zeichen, daß für den Augenblick die Audienz beendet sei; schwindelnd, keines Wortes mächtig, verbeugte sich der Chevalier und schritt leuchtenden Blickes und stolz erhobenen Hauptes durch die Lakaien auf den Vestibüles, welche jetzt den jungen Mann, der aus den innern Gemächern kam und vom Herzog empfangen war, ehrerbietig grüßten.

      Mit pochenden Schläfen, betäubt von so viel lichtem Glück nach so langer, trüber Zeit, ging er auf der Straße weiter,