Nach der ersten Begrüßung machte ihm Herr Sintrup Vorwürfe, daß er niemals schreibe, daß er keine von den Besuchen gemacht habe, zu denen er ihm die Empfehlungen gab, daß er so oft von einer Wohnung in die andere ziehe, und endlich, daß er nicht einmal auf den Bahnhof gekommen sei. — Pitt wußte für all dieses Gründe anzugeben, die Herr Sintrup sämtlich für nicht stichhaltig erklärte. Er nannte ihn einen verlorenen Sohn, an dem seine Eltern keine Freude erlebten, und als er die vielen philosophischen Bücher auf seinem Tische liegen sah, verlangte er, daß da in Zukunft nur juristische zu liegen hätten. Pitt versprach alles was er wollte, und damit war dies Kapitel, wie Herr Sintrup sich ausdrückte, erledigt. Während sein Vater sprach, wunderte sich Pitt darüber, wo die Kognakflasche herkam, aus der er sich ganz in Zerstreutheit ab und zu ein Gläschen einschenkte, das er auf einen Zug leerte. Donnerwetter! sagte Herr Sintrup, als sie sich endlich erhoben, um zum Mittagessen zu gehen — Fräulein Nippe zog sich bei dem Geräusch sofort zurück — mir ist so schwer in den Gliedern! Herr des Himmels, jetzt habe ich der den halben Kognak ausgetrunken! Alter, französischer Kognak, das muß ein Erbstück sein. Ich muß ihn ihr irgendwie ersetzen. Er zog ein Goldstück aus dem Portemonnaie, warf es auf den Tisch und sagte, damit möge ihr Pitt die ganze Flasche abkaufen, es wäre gut bezahlt. — Das geht nicht; sagte Pitt. Herr Sintrup dachte nach: Immerhin war sie eine Dame! Es fiel ihm ein, was sie vorhin für Augen machte, als er vom Abendessen im Hotel redete, und er sagte zu Pitt: Ich könnte mich ja revanchieren, indem ich sie für heute abend ins Hotel lade! Nebenbei wäre es ein gutes Werk, die mal recht vollzufüttern, denn sie sieht höllisch mager aus. Überaus bedeutend ist sie zwar nicht, aber sie hat doch ein ganz nettes Wesen! — Pitt war damit einverstanden; er brauchte dann nicht den ganzen Abend mit seinem Vater allein zu sein. Fräulein Nippe wurde geholt, sie nahm strahlend und dankend an, und Herr Sintrup machte verwunderte Augen, als sie auch im Namen ihres Vetters dankte. — Um so besser, dachte Pitt.
Endlos lange saßen sie mittags im Restaurant, Pitt rauchte eine Zigarette nach der andern, nur um irgendeine Ablenkung zu haben. Er kam sich wie in einer Verbannung vor, zurückversetzt in seine Vaterstadt, abgeschnitten von aller Freiheit, obgleich es sich ja nur um Stunden handelte. Herr Sintrup fragte nach seinem Verkehr. Pitt nannte das Haus van Loo. — Herr Sintrup nahm die Zigarre aus dem Mund: Die Amsterdamer van Loos? Verkehrst du da viel? — Jeden Tag. — Ist da eine Tochter? — Kennst du denn die Familie? fragte Pitt zurück. — Und ob! natürlich nicht persönlich. Er warf Pitt einen verschmitzten Blick zu: Junge, Junge, das könnte ja mal etwas Famoses werden! Du mußt es nur richtig anstellen; wie bist du denn da hineingeraten? Und Herr Sintrup erzählte die Geschichte von dem Vater, der im indischen Meer ertrank. — Die Familie erschien Pitt plötzlich in einem fast trivialen Lichte; bisher hatte er ein Gefühl gehabt, als sei sie eigentlich nur seinetwegen vorhanden; nun erfuhr er, daß der Name eine „Weltfirma“ sei. — Die Familie halte dir warm! fuhr sein Vater fort, die Marke ist ff! Hat zwar jetzt direkt mit der Firma nichts mehr zu tun, profitiert aber noch kolossal davon. Ja so was lasse ich mir gefallen! Hast du noch mehr von der Sorte? — So fragte Herr Sintrup und machte animierte Augen. Pitt dachte: Ganz genau so wird Fox einmal werden! — Und als ob dessen Geist ungesehen im Zimmer schwebte, fuhr Herr Sintrup fort: Das muß ich Fox erzählen! Das wird dem Eindruck machen! Übrigens: könnte die denn heute abend nicht mitkommen?! Wenn ich nun vorher einen Besuch in der Familie machte? Das ginge doch prächtig! — Pitt wurde rot und sagte: auf gar keinen Fall! — Sein Vater mißverstand dies, drohte ihm schalkhaft mit dem Finger und meinte: Noli turbare circulos meos — das ist das einzige, was ich noch vom Lateinischen behalten habe. — Dann schwiegen beide wieder, und Herr Sintrup, der schon vorher von Zeit zu Zeit etwas abwesend schien — Pitt schob dies auf die vielen Kognaks — sagte plötzlich wie nach einem Entschlusse: Ja, wenn du mich jetzt verlassen willst — ich habe noch ein paar Geschäftsbriefe zu schreiben, und nachher möchte ich ruhen. Er zog seinen Füllfederhalter und einige Blätter Papier hervor, und Pitt war froh, für den Nachmittag frei zu sein. Draußen atmete er auf. Er wollte sofort zu Elfriede gehen, ihm war, als sei er seit Wochen nicht bei ihr gewesen. — Wie er so an seinen Vater dachte, blieb er plötzlich mitten auf dem Platze stehen, sah auf das Restaurant zurück, in einem halbklaren Gedanken, der — er wußte selbst nicht wie — ihm durch den Kopf geschossen war, dann ging er sehr schnell zurück und lugte vorsichtig durch die Fensterscheibe: Herr Sintrup saß jetzt an einem andern Tisch, neben einer Dame, die Pitt zwar vorher auch schon bemerkt aber nicht beachtet hatte. Sie hielt den Blick nicht ohne Wohlwollen auf Herrn Sintrup geheftet, antwortete ab und zu, und schließlich sah Pitt, wie erst sein Vater, dann die Dame die Uhr hervorzog, und wie sie die ihrige nach der seinigen richtete. Dann legte Herr Sintrup leise seine Finger über ihre Hand und sah ihr freundlich in die Augen. Pitt wandte sich vom Fenster ab und schritt wieder über den Markt. Nie hatte er einen starken Zusammenhang mit seiner Familie gehabt; aber nun war ihm doch, als wäre die Wand eines altbekannten Zimmers eingerissen, so daß ein neuer Raum entsteht, der nur halb der alte ist, und in dem man sich mit einem Gefühl der Fremdheit und des Fröstelns umsieht. Eigentlich müßte ich ja nun wohl entrüstet sein, dachte er; aber es wollte kein ähnliches Gefühl in ihm aufkommen; ja, sein Vater kam ihm bemitleidenswert vor. Derartige Erlebnisse bildeten jedenfalls Lichtpunkte in seinem arbeitsvollen, öden Dasein. Ob solche Lichtpunkte wohl öfters eintraten? Ob seine Geschäftsreisen wohl meist so menschlich schlossen? Und ob wohl seine Frau, Pitts Mutter, um diese Erlebnisse wußte? — Er machte eine Bewegung, als wolle er alles von sich abschütteln, und läutete schärfer an der Glocke des van Looschen Hauses als sonst, so daß der Diener Friedrich ganz verwunderte Augen machte.
Frau van Loo empfing ihn: Gut, daß Sie kommen! Hören Sie! Elfriede übt ihre Etüde eben zum siebenundzwanzigstenmal, und darin kommt ein Akkord vor — im selben Augenblick hörte man einen schrillen Klang — sie hielt die Hände an die Ohren und fragte dann: ist er noch da? — Darauf ging sie langsam zur Tür, rollte sie auf und rief Elfriede zu, sie habe Besuch. — Ja! antwortete sie, und ihre Stimme klang ganz abwesend. Frau van Loo zog sich zurück. — — Pitt ging auf sie zu und faßte ihre beiden Hände. — Was haben Sie denn? fragte sie erstaunt. Er wollte mit ihr spazierengehen — nur eine einzige Stunde! — Elfriede hörte kaum zu; mit geröteten Backen saß sie da, ihre Gedanken irrten fortwährend zu ihrer Etüde zurück. — Auf keinen Fall! sagte sie, o, ich bin in so herrlicher Stimmung zum Arbeiten, — und ich kriege es auch noch, fügte sie, schon wieder abgelenkt, hinzu. — Sie sollen aber mit mir gehen! sagte Pitt heftig, ich halte es einfach nicht mehr aus! Und wenn Sie jetzt nein sagen, komme ich nie wieder zu Ihnen, denn dann sehe ich, daß Ihnen meine Freundschaft gar nichts wert ist. — Elfriede sah ihn ganz erstaunt an: War dies Pitt Sintrup, der so heftig reden konnte? Fast wie selbstverständlich gab sie nun ihre Einwilligung, und jetzt erst fiel ihr ein, daß wohl alles mit seinem Vater zusammenhänge. — Frau van Loo war sehr zufrieden, als sie hörte, Elfriede wolle gehen. Sie hatte sich, wirklich erschöpft durch die Töne, zum Ruhen hingelegt; wohlig schaute sie aus ihren weichen Decken und Fellen heraus, mit ihrem silberglänzenden, vollen Haar