Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup. Friedrich Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113377
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den Zweig und flog davon. Pitt sah ihm gutwillig nach.

      Die Sonne warf jetzt schräge Strahlen durch die Baumstämme. Wir müssen fort! sagte Elfriede, sonst kommen wir zu spät. — Auf dem Wege fiel ihr wieder ein, wovon sie zuletzt geredet hatten, und sie fragte ihn noch einmal, woher er das mit den Eckzähnen wisse. — Er lachte: das dachte ich mir bloß, es hätte ja ebensogut nicht stimmen können. — Sie fand das sehr sonderbar. — Ebenso, sagte er nach einer Weile, bilde ich mir eben, wo ich darüber nachdenke, ein, daß Sie nur im Februar Geburtstag haben können, ich weiß selber nicht weshalb. — Sie blieb stehen: Das hat Ihnen aber jemand gesagt! Von selber können Sie das nicht wissen! — Er lachte belustigt über ihre Sicherheit, schüttelte den Kopf, und so mußte sie ihm endlich glauben. Und nun fühlte sie etwas wie Respekt vor ihm. — Sie erreichten den Wagen, der an der Waldecke hielt, und fuhren zur Stadt zurück. — Sie kommen doch mit zum Abendessen? — Als er mit der Antwort zauderte, fuhr sie bekräftigend fort: Sie müssen mit! Sie werden doch erwartet! — Erwartet? fragte er; das klingt ja gräßlich. Sie verstand das nicht und sagte, es sei doch ein ganz gebräuchliches Wort. — Ich finde, beharrte er, es klingt furchtbar; nach Vorbereitungen, Händedrücken und Verbeugungen. — Übrigens entsprachen seine Befürchtungen nicht der Wirklichkeit. Frau van Loo hatte keine Ahnung, daß Elfriede mit Pitt spazieren ging, erwartete ihn also auch nicht zum Essen. Elfriede hatte ihr am Morgen von ihrer Bekanntschaft mit Pitt erzählt, sie hatte schweigend zugehört und dann gesagt: Er soll einmal zum Tee kommen, da werden wir ihn dann besichtigen. — Auf diesen Worten fußend, dachte Elfriede, sie dürfe sich wohl auch erlauben, ihn gleich zum Abendessen mitzubringen. — Ich bin im Augenblick wieder da! sagte sie leise zu Pitt, als sie nun zu Hause in der Halle standen; ich will nur schnell hinauf und mich umziehen. Meine Mutter soll nicht wissen, daß ich in Haralds Anzug mit Ihnen spazieren ging, und Hedwig, wenn die es erführe — sie würde acht Tage lang darüber reden. Gehen Sie ins Flügelzimmer, dort sind Sie allein! Und ehe er sich besinnen konnte zu fragen, wo das Flügelzimmer sei, war sie schon die Treppe emporgelaufen. Da stand er nun, sah sich die verschiedenen Türen an und dachte endlich: Ich gehe hier hinein. —

      Unter einer breiten, mit schwarzrotem Stoff verhängten Lampe, die ihr Licht voll nach unten warf, saß eine stattliche Dame mit jugendlichen, schönen Gesichtszügen und schimmernd silbernem, vollem Haar. Langsam wandte sie den Kopf zu ihm von ihrem Buche.

      Pitt konnte nicht mehr zurück. — Wenigstens, so dachte er in aller Schnelle, ist kein Vater da. Er hatte im Adreßbuch gelesen, daß sie die Witwe eines Großkaufmanns war. Langsam näherte er sich ihr und blieb endlich stehen, indem er eine etwas linkische Verbeugung machte. Sie zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe, ohne ihre Stellung zu verändern und sagte mit gemäßigtem Erstaunen und einer Stimme, die merkwürdig gesichert klang: Wer sind Sie denn und wie kommen Sie so plötzlich hier herein? Pitt nannte seinen Namen; Frau van Loo schien einen Augenblick nachzudenken, dann führte sie den Blick auf ihn zurück und sagte: Ach Sie sind der, mit dem meine Tochter gestern spazieren gegangen ist. Und sah ihn mit einem Blick an, als wolle sie sagen: Eigentlich finden Sie’s auch wohl ein wenig komisch. — Heute auch, sagte Pitt. — Heute auch? — Davon hat mir Elfriede nichts gesagt, dachte sie. Sie hieß ihn Platz nehmen, sagte mit fast naiver Freundlichkeit: Was für ein Mensch sind Sie eigentlich? und sah dabei ohne allzu große Besorgnis auf sein Gesicht, das ihr wie das eines frühreifen, etwas melancholischen Kindes erschien. Aber ehe er irgend etwas antworten konnte, ging die Tür auf und Elfriede trat herein, noch immer in ihrem Knabenkostüm. — Ich wollte mich eigentlich umziehen, aber ich finde es dumm, dir nicht zu sagen, daß ich in Haralds Anzug ging. Ich hatte ja außerdem den langen Mantel darüber! Frau van Loo verschwieg etwas, musterte sie und sagte: Sollte dieser Offenheit nicht etwas Eitelkeit zugrunde liegen? Dann entließ sie sie mit einem nachlässigen, zärtlichen kleinen Schlage ihrer Fingerspitzen. — Elfriede zog sich wieder zurück, und gerade, als Frau van Loo ihr Gespräch mit Pitt wieder aufnehmen wollte, ward draußen eine Damenstimme laut, die äußerst gelenk klang und so, als sei sie gewohnt zu reden und gehört zu werden. Hedwig trat ein, dieselbe Hedwig, die Pitt am ersten Tage flüchtig sah, und von der Elfriede erzählte, sie habe jenen schrecklichen Auftritt mit Harald gehabt. Pitt ward vorgestellt, sie erkannte ihn augenblicklich, schien überrascht, nickte kühl mit dem Kopfe und sagte: Also mit Ihnen ist meine Schwester in diesem Aufzuge gegangen? Und dann redete sie mit ihrem schnellen Tonfall Sachen, die sämtlich unangreiflich waren. — Die stille Stimmung des Zimmers war mit ihrem Eintritt verändert, so wie wenn man ein Fenster geöffnet hätte. Jetzt drehte sie nebenbei noch an einem kleinen Knopf auf der Tapete, daß der Raum plötzlich im hellen Lichte des Kristallkronleuchters lag, und sagte, dieses Dämmerlicht habe etwas Totenhaftes.

      Alle Farben erschienen nun viel wirklicher, und Pitt kam es vor, als sei sie selber plötzlich die Seele dieses Raumes geworden. — Kommen Sie eigentlich gerade von einem Ritt? fragte er nach einer Weile. — Wieso? fragte sie zurück, etwas erstaunt über die Direktheit der Frage, denn sie kannten sich ja gar nicht; haben Sie mich schon einmal reiten sehen? — Er schüttelte den Kopf. — Morgen besorge ich eine Leine! wandte sie sich an ihre Mutter; Lili hat nicht die Spur von Anhänglichkeit; sie läuft wohin sie will und ist wie besessen. Da kommt es, dies Geschöpf! — Die Tür öffnete sich, und mit Elfriede trat ein glatthaariges, weißes Hündchen ein, indem es sich ungeduldig zwischen ihr und der Tür hindurchzwängte. Es lief auf den Teppich zu, vollführte einige rasende Bewegungen um sich selbst, prustete und nieste, bohrte den Kopf in den Boden, strich sich die Schnauze nach links und rechts ab, sprang auf Frau van Loo zu, legte ihr die Pfoten aufs Kleid und sah sie, als sei nichts geschehen, aus seinen blanken, rötlich-schwarzen Augen klug und blinzelnd unbeweglich an. Aber Hedwig sagte, es gehöre hinaus, schritt zur Tür und rief es. Es hob aufmerksam die Ohren, ließ die Pfoten niedergleiten und raste durch den Raum. Im nächsten Augenblick war es ausgesperrt, und das Gerassel seiner Klauen an der Tür verstummte erst, als der Diener es fortführte. — Das ist unser Haus- und Plagegeist! sagte Frau van Loo; und wenn es einmal zu einer Trennung zwischen uns kommt, so ist es seinetwegen. Ich und Elfriede lieben es, aber Hedwig kann es nicht leiden. Doch es ist einmal da und wird sich zu behaupten wissen! Hedwig verteidigte ihre Abneigung: Sie könne nur Tiere leiden, die Nutzen hätten, Foxterrier seien überdies abscheulich. Und da Elfriede leise mit Frau van Loo redete, so wandte sie den Rest ihrer Auseinandersetzungen wohl oder übel an Pitt, und unterbrach sich nur ein einziges Mal, als sein Gesicht für einen Augenblick vollkommen vor ihr verschwand, da ihre Mutter das elektrische Licht wieder abdrehte: Mama, was sollen diese Späße? Aber Frau van Loo sagte mit ihrer sicheren, freundlichen Stimme: Mein süßes Kind, ich bin die Herrin im Hause. — Elfriede hatte ihr inzwischen heimlich mitgeteilt, sie habe noch ein Gedeck für Pitt zur Abendtafel auflegen lassen, da sie ihn aus Versehen zum Essen eingeladen habe. Frau van Loo schwieg, dann sagte sie: Elfriede, dein Sündenkonto steigt immer mehr; wir werden noch abrechnen! — Friedrich, der Diener, meldete, das Essen sei bereit. Hedwig wartete vergeblich, daß Pitt sich nun endlich entfernen würde. Ein schneller Blick auf den Tisch nebenan überzeugte sie jetzt, daß er zum Abend eingeladen war. Niemand hatte ihr dies mitgeteilt; sie empfand das als rücksichtslos. Wer war überhaupt dieser Mensch, der so plötzlich bei ihnen auftauchte, dessen Namen sie nicht einmal richtig wußte? Wie hatte Elfriede ihn kennen gelernt? Hedwig war erfahren genug, zu wissen, daß sie nichts aus ihr herausfragen würde. — In früheren Jahren war ihr Elfriede vollständig unterworfen gewesen, mit der Zeit aber war sie in eine bewußte Opposition zu ihr getreten, hatte sie ihren Einfluß abgeschüttelt. Hedwig wurde es schwer, auf die gewohnte Macht zu verzichten, in der Übergangszeit gab es unerquickliche Kämpfe, jetzt hatte sie allmählich resigniert, und nur gelegentliche kleine Bitterkeiten und vor allem Bloßstellungen vor andern waren die einzige Genugtuung für das Verlorene.

      Jetzt kam sie sich unwürdig behandelt vor, sie hatte Verantwortung vor dem Hause im allgemeinen, sie saß pikiert und kühl auf dem Stuhle und tat als sei Pitt überhaupt nicht da. Dabei brannte ihr die Frage auf der Lippe, und endlich konnte sie sich nicht länger beherrschen: Woher kennen Sie eigentlich meine Schwester? fragte sie über den Tisch hinüber. Der Ton klang für alle unerwartet, so gereizt war er. — Pitt fühlte sich augenblicklich in einem altgewohnten Fahrwasser, es machte ihm Freude, diese junge Dame zu ärgern, und er sagte: Von der Straße! Es folgte eine kurze Pause. — Mit andern Worten: Sie haben sie auf der Straße gesehen und sind dann einfach in unser Haus gekommen?