Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup. Friedrich Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113377
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Gesicht zu machen. — Fräulein Nippe bedauerte, daß die Suppe schon in den Tellern stand; sie hätte sie so gerne aufgefüllt! Sie ließ ihre Augen kontrollierend über die Tafel gehen, behauptete, sie habe mehr bekommen als die andern, und wollte schon auf die kleine Glocke schlagen, aber Herr Sintrup, der jetzt lebhaft zu Elfriede über Knallbonbons redete: die müßten an einem Weihnachtsbaum hängen, er selbst habe sich seinerzeit unter Knallbonbonsschüssen verlobt — verstand halb ihr Wort und ihre Bewegung, schob seinen Arm dazwischen, machte: bsch, bsch, bsch! und warf Pitt einen aufmunternden Blick zu als wolle er sagen: Beschäftige du doch diese Dame! Das Hündlein, das hervorgekommen war, mußte sich wieder zurückziehen. Fräulein Nippe fühlte sich etwas zurückgesetzt. Und doch: wie echt männlich, sorglos-froh war dieser Zwischenruf! Freilich, heute früh war Herr Sintrup etwas liebenswürdiger gewesen; das war aber ganz natürlich! Jetzt saß eben eine Jüngere an seiner Seite, und da folgte er seiner herrlichen Hahnrei-Natur! Ob es denn ganz aussichtslos war, daß sie bei ihm Hausdame werden könnte?!

      Sie gab es vorerst auf mit ihm in ein Gespräch zu kommen, und wandte sich an Pitt, mit dem Herr Könnecke eine Unterhaltung führte über Stunden im allgemeinen und im besondern. — Was ist dies für ein Fisch? fragte sie und deutete auf das viereckige grauhäutige Stück auf ihrem Teller. Pitt überhörte dies, aber sie faßte ihn am Ärmel. — Das ist eine Forelle! — Wie interessant! Sie nickte zartfühlend, als habe er ihr etwas Diskretes mitgeteilt. — Schafskopf! rief Herr Sintrup mitten aus seinem Gespräch heraus, Steinbutt ist es. Ist es etwa das erstemal, daß du einen Steinbutt zu Gesicht bekommst? Haben wir den nicht oft zu Hause gegessen, und Forellen womöglich noch öfter? Er erklärte den Namen Steinbutt und forderte Fräulein Nippe auf, die Haut zu untersuchen, da fände sie die Steine drin. Fräulein Nippe fand sie wirklich, war aber im Zweifel, ob das nicht eine neue Irreführung sei, und äußerte sich nicht weiter. Herr Könnecke aber erzählte eine Geschichte: wie er als Junge einmal geangelt habe, ganz aus Zufall, nur weil er jemand traf, der gerade angelte, und wie er dann wirklich einen Fisch gefangen habe. Aber das Tier hätte so traurig mit den Kiemen geklappt und ihn so erbarmungswürdig angesehen, daß er es schnell in die Freiheit zurücksetzte. Dies sei das einzige Mal in seinem Leben, daß er eine Tierquälerei beging. — Fräulein Nippe fand diese Erzählung uninteressant; viel interessanter sei es, zum Beispiel darüber zu debattieren, ob wohl die Nachtigall aus Hunger sänge oder aus Liebe. Sie glaube nun und nimmer, daß sie des Hungers wegen sänge — dann würde sie doch einfach fressen. — Liebe ist auch Hunger! warf Pitt mechanisch ein, der immer nur auf das hörte, was sein Vater sprach. — Liebe ist allerdings Hunger! rief sie und nahm einen tüchtigen Schluck Wein. Und dann redete sie von den schwülen Sommernächten, in denen man sich ruhelos auf seinem Lager wälze, so daß das Bettuch am nächsten Morgen ganz zerknüllt sei: Poesie und Prosa wohnen so dicht beisammen, und die Dinge sehen am Tage anders aus, als wenn man sie durch die Brille eines bengalischen Lichtes betrachtet!

      Selma kucke mal! sagte Herr Könnecke und hob seine Roastbeefscheibe an der Gabel hoch. — Was willst du denn? — Nichts, ich freue mich nur. —

      Ach, wenn man denkt, sagte sie wieder zu Pitt, daß während wir hier schwelgen, Tausende von Menschen hungern — und sie führte dies des weiteren aus. Aber Sie sind ja so still geworden?! Drückt Sie ein Kummer? Mir können Sie ihn erzählen, es gibt doch nichts Größeres als einen Menschen aufzurichten! — Können Sie schweigen? — Vollkommen!! — Dann schweigen Sie mal zehn Minuten! — Fräulein Nippe durchfuhr es unbehaglich. Aber vielleicht mußte er sich erst sammeln für seine Geschichte? — —

      Herr Sintrup hatte inzwischen dem Weine fleißig zugesprochen, war sehr lebhaft geworden, erzählte Eisenbahnanekdoten und nannte alle besten Hotels, in denen er je abgestiegen war; überall dienerten die Portiers schon aus der Ferne, er war durch reichliche Trinkgelder bekannt. Er zählte die besten Weine auf und betonte, daß auch in seinem Hause gut gelebt würde, wenn er es sich auch nicht gestatten könne, so wie die Großherrn der Hansastädte Feste zu geben, die gleich in die Tausende gingen. Aber hoch in die Hunderte — so log er — ist es bei uns auch schon oft gegangen. Er ließ sich in seinen Übertreibungen immer freieren Lauf, da seine Worte auf Elfriede nicht so zu wirken schienen, wie er es gern gesehen hätte. Pitt hatte bisher an der Unterhaltung wenig teilgenommen, und sich darauf beschränkt, mit anscheinender Kindlichkeit seinen Vater öfter in irgendeine Klemme zu bringen, worauf er dann Elfriede einen stillen Blick zuwarf. Aber er langweilte und ärgerte sich dabei, und wie er dachte, Elfriede habe nun genug gesehen und gehört, um seinen Vater richtig zu beurteilen, beschloß er, ihn gleichsam in der Idee seines Wesens ihr vorzuführen: Anstatt ihn zurückzuhalten, spornte er ihn möglichst an, sich selbst zu überbieten, und um ihm dies noch zu erleichtern, begann er, erst leise, dann stärker, seine Bewegungen, seinen Tonfall nachzuahmen, schließlich kopierte er ihn geradezu in seinem Wesen; sein Gesicht nahm einen leise boshaften Zug an. Mit unverfrorener Miene stellte er die gröbsten Behauptungen über das Leben zu Hause auf, und Herr Sintrup bekräftigte dann jedesmal seine Worte, so wie jemand wohl im Spiele einem Ball, der, von einem Hinterstehenden derselben Partei geschlagen, an ihm vorbeifliegt, noch einen zweiten Schlag versetzt, damit er auch ganz sicher und knallend zum Ziele kommt. Endlich, so dachte er, fängt dieser Pitt an zu begreifen, worauf ich hinaus will. — Elfriede durchschaute Pitts Absicht genau, aber wie er nun sein eigenes Wesen so vollkommen verleugnete, daß sie ihn kaum mehr erkannte, wie er so erschreckend seinem Vater glich — dessen Sohn er doch auch in der Tat war, kam sie sich ganz verlassen vor, sie empfand zwiespältig gegen ihn, ihr eigenes gerades, einfaches Wesen widersetzte sich dem, was sie sah, mit aller Kraft, und als Herr Sintrup dem Kellner etwas zurief, flüsterte sie ihm zu: Pitt, ich kann dies Wesen nicht länger ertragen! — Und wie Herr Sintrup seine Sätze wieder aufnahm, wandte sie sich an Herrn Könnecke und bat ihn, ihr eine Aufgabe zu erklären, die sie für ihn zu lösen hatte. Herr Könnecke zog seinen Bleistift aus der Tasche, suchte nach Papier und war nicht zu bewegen, die fragliche Figur auf das Tischtuch hinzuzeichnen. Herr Sintrup riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und beugte sich zu Elfriede hinüber, um mitzulernen, wie er sagte, während Elfriede ein wenig zur Seite wich. Herr Könnecke wurde sehr gründlich, und seine Stimme war genau so wie in der Schule. — Wo sind denn die Quadrate? fragte Herr Sintrup. Ich sehe nur so was wie ein Dreieck, und Sie sagen immer: A Quadrat. — Das Quadrat sitzt hier! sagte Herr Könnecke und deutete auf eine Linie. — So? na, gut, daß man das weiß; ich sehe es immer noch nicht! — Es ist auch nicht da, man denkt sich das nur! belehrte Herr Könnecke. — Wer zwingt mich denn aber, mir da ein Quadrat zu denken? Wenn ich mir da nun lieber einen Kreis denke, oder ein Kreuz, oder einen Pinsel? — Herr Könnecke sah ihm starr in die Augen: Da muß aber ein Quadrat sitzen! sagte er endlich, und dann malte er es hin, liebevoll und langsam. — Ist es nun da oder nicht? fragte er, und sah es zufrieden an, wie einen Freund, den man in seiner Abwesenheit gegen einen andern verteidigt hat und der gleich darauf ins Zimmer tritt. — Das ist ein schöner Beweis! rief Herr Sintrup, machte ein Kreuz über die Linie und sagte: ist es nun da oder nicht?! — Ich glaube es steht ganz wo anders! sagte Pitt, indem er es auf seines Vaters Stirn zu suchen schien. — Ein jeder hat sein Kreuz zu tragen! seufzte Fräulein Nippe, und wenn man meine alle sähe — ich sähe aus wie ein Kirchhof. Herr Sintrup schielte zu ihr herüber und dachte: Sie ist ja eine ganz nette Person, aber wenn sie wenigstens das eine Kreuz, das man an ihr sieht, nicht so windschief tragen wollte! — Herr Könnecke runzelte die Stirn. In der Schule würde er jetzt gesagt haben: Och bitte wollt Ihr nicht gefälligst ruhig sein! — Dann dämpfte er seine Stimme zum Ton einer vertraulichen Mitteilung herab, zog noch andere Linien, stellte seine Gleichungen auf und überhörte Herrn Sintrups Zwischenrufe, der sich den Scherz machte, das Wort „Quadrat“ immer durch das Wort „Kreuz“ zu verbessern, oder zu „durchkreuzen“, wie er sagte. —

      Dieser Schafskopf! dachte Herr Sintrup, ich war so schön mit ihr im Gange, und Pitt ist doch ein prächtiger Junge! — Er sann über einen neuen Witz nach, fand aber keinen, fühlte sich infolgedessen, unbeachtet wie er war, plötzlich auf einem allgemeinen öden Nullpunkt, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und wandte sich dem Weine zu.

      Fräulein Nippe erachtete jetzt den Zeitpunkt für gekommen, sich Herrn Sintrup zu nähern.

      Für uns sind dergleichen Dinge nicht! sagte sie in einem halb konstatierenden, halb leise überredenden Tone gleichgestimmter Seelen: Ich