Herr Sintrup verabschiedete sich inzwischen von Pitt und Elfriede. Er dachte an seine Verabredung, war eigentlich nicht mehr recht in Stimmung, wollte sie aber trotzdem innehalten, da die Stimmung sich wohl wieder einstellen würde. — Kann man dich auch so allein gehen lassen? fragte er neckisch und drohte Pitt mit dem Finger. Was siehst du mich denn so komisch an? Da Pitt nicht antwortete, kam eine kleine Pause, Herr Sintrup schaute von einem zum andern, dann, wie nach einem Entschlusse, reichte er Elfriede die Hand, schlug die Hacken wieder zusammen, und verband damit den Anfang und das Ende seiner heute abend durchlaufenen Kreisbahn tadellos und klappend prompt. —
Pitt holte aus tiefster Brust Atem und sagte langsam: Gott sei Dank. Dann holte er noch einmal Atem, und dann zum drittenmal. — Hatte ich Ihnen nicht gesagt, fragte er nach einer Weile traurig, wie alles werden würde? Und ich selbst komme mir Ihnen mit einem Male ganz fernegerückt vor; es kann ja auch kaum anders sein. — Ihr war, als erwache sie aus einem beklemmenden Traume. Sie hörte seine Stimme wieder, all das, was sie heute abend von ihm abgestoßen hatte, erschien ihr jetzt nur noch unendlich traurig, das alte, echte Gefühl strömte voll in sie zurück, ihr war, als habe sie ihn noch viel lieber als früher. Und sie sagte es ihm. Wirklich?? fragte er, und ergriff ihre Hand. Und dann wurde er allmählich sehr vergnügt und pfiff eine Melodie, die er durch sie kannte, während sie wortlos und nachdenklich neben ihm herschritt.
Ich begleite dich! Diese Worte hörte sie noch, als alles still und dunkel um sie war.
Drittes Kapitel.
Das Semester nahte seinem Ende, die Zeit des Abschiedes rückte heran, Elfriede wurde traurig. — Ich komme ja in ein paar Monaten wieder! meinte er. — Aber das ist doch furchtbar lange bis dahin! rief sie und sah ihn fast empört an über seinen Gleichmut.
Seit einiger Zeit nannten sie sich du. Pitt hatte sich nach jenem ersten noch ein zweites Mal versprochen, und Elfriede dachte: Wenn er es ein drittes Mal tut, so sage ich ihm, daß es nun kein Versprechen mehr sein soll. Hedwig fand diese Art des Verkehrs geschmacklos und nannte Elfriede undiszipliniert. —
Du könntest doch für die Ferien mit uns aufs Gut gehen! — Dieser einfache Gedanke fiel ihr plötzlich ein. Er sah sie überrascht und hocherfreut an: Löste sich die Frage so wie Elfriede vorschlug, so brauchte er das ganze Jahr mit der Existenz seiner Familie so gut wie gar nicht zu rechnen, denn nach den Ferien würde er mit den van Loos zurückgehen, und dann war wieder für ein halbes Jahr vorgesorgt. —
Frau van Loo gab Elfriede nicht sofort die schnelle Antwort, die sie erwartete und Pitt gleich zu überbringen dachte, erst am übernächsten Tag rief sie Elfriede zu sich und sagte in beiläufigem und zärtlichem Ton zu ihr: Also sage ihm, daß er mitgehen darf, du dummes Mädchen. —
Hedwig war, wie zu erwarten stand, nicht einverstanden mit diesem Plane: Freundschaften solle man in maßvollen Grenzen halten, nur dann könnten sie von Dauer sein. Du übersiehst — so sagte sie zu ihrer Mutter — was ich schon lange kommen sehe: Die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß sich Elfriede in diesen Menschen verliebt, sonst könntest du gar nicht so unbedachtsam handeln. — Hältst du mich eigentlich für dumm? war alles was Frau van Loo ihr antwortete, in einem freundlichen Tone, der alles weitere abschnitt. Da sprach Hedwig mit Elfriede selber. Aber Elfriede antwortete nur, es sei eine Gemeinheit von Hedwig zu behaupten, daß sie sich verliebe. —
Pitt wußte von den ersten Unentschiedenheiten nichts und erfuhr nur die Tatsache. Aber da darüber Tage hingingen, ahnte er doch den Zusammenhang. — Er lächelte für sich, denn unwillkürlich dachte er all die Fragen nur in Bezug auf sich selber und nicht auf Elfriede. — Wenn das Verlieben etwas so Stilles, Gemütliches war wie er es selbst empfand, so lag wahrhaftig kein Grund vor, sich darüber aufzuregen. — Wenigstens soll er nicht mit uns fahren, sondern allein nachkommen! sagte Hedwig, ich finde dies stillos. — Aber Frau van Loo meinte, es sei kein Grund vorhanden seine Existenz und seine Freundschaft zu der Familie zu verleugnen.
Am Morgen der Abfahrt erschien noch einmal Herr Könnecke bei Pitt, um sich zu verabschieden. Pitt hatte den größten Teil seiner Sachen zusammengepackt und in eine Ecke gestellt; da sollten sie bleiben bis er wiederkäme. Auf diesem Haufen saß er, als Herr Könnecke eintrat. Der war gerührt, was Pitt mit Erstaunen sah. — Wir haben noch nie im Leben einen Zimmerherrn gehabt, aber wenn ich jetzt das Zimmer sehe, so mag ich es viel lieber als früher, und denke, Sie müßten nun immer drin wohnen. Sie haben so treu zu uns gehalten! — Worin das liegen sollte, wußte Pitt nicht, aber wie Herr Könnecke nun treuherzig seine Hand schüttelte, stieg in ihm eine unklare Empfindung auf von Ankergrund und Hafenruhe. Doch als Herr Könnecke ihn verlassen hatte, dachte er sogleich wieder: Ob ich wohl wirklich in dies Zimmer zurückgehe? Habe ich hier eigentlich nicht schon lange genug gewohnt? —
Fräulein Nippe bedauerte, daß Pitt ging, und äußerte Befürchtungen, daß er ihre Pflege sehr vermissen werde. Aber Frau van Loo, sagte sie, ist eine gute Seele. Ich habe sie zwar nur ein paarmal in ihrer Equipage fahren sehen, aber man hat doch seine Menschenkenntnis. Und dazu diese fürstliche Erscheinung! Wenn auch nicht alles echt an ihr sein mag — lieber Gott, wenn man jung aussehen will und zum Beispiel graue Augenbrauen hat, färbt man sie doch, und wenn man den ganzen Tag nichts zu tun und Geld wie Heu hat, und nicht einmal seinen Körper pflegen will — — Fräulein Nippe hätte keine ihrer Andeutungen auch nur mit dem Scheine eines Grundes bekräftigen können, aber auf den Gedanken wäre sie auch nie gekommen. Sie hatte noch etwas auf dem Herzen: Wie steht es denn jetzt mit Ihnen beiden? Ich meine diesmal aber das Fräulein! — Hören Sie mal, sagte Pitt, der sich mühte, seinen Handkoffer zu verschnallen, — Sie werden zudringlich. — Fräulein Nippe wich ein wenig gegen die Tür zurück, als fühle sie sich schon halb hinausgeworfen. — Herr Sintrup, meinte sie, Sie müssen sich Ihre Worte mehr überlegen! Ich verstehe Sie ja richtig, aber andere werden Ihre Worte manchmal falsch auslegen. Sie wissen, daß ich nur Ihr Bestes will. Kann ich etwas dafür, daß Sie es ablehnten, als ich mich erbot, nachmittags oder abends, so oft Sie wollten, an der Musikschule zu warten und ihr ein Briefchen zu übermitteln, wo mich mein Weg sowieso dort