Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup. Friedrich Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113377
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liegt es am Flügel? Wo ist denn Herr Pitt? — Der ist mit Harald spazieren gegangen! antwortete sie mit frischer Stimme, ohne ihre Augen von den Tasten zu wenden — ich habe sie allein gelassen, weil ich Lust hatte zu üben. Und stählern fielen ihre Finger wieder in die Tasten. — Was spielst du da eigentlich? Es kommt mir so bekannt vor, aber so abscheulich verändert! — Ich mache einen Marsch draus! Es klingt famos!! — Frau van Loo verließ das Zimmer wieder und Elfriedes Töne hallten weiter. Schließlich spielte sie fast mechanisch. Endlich sprang sie auf, holte ein Sonatenbuch und begann regelrecht zu üben. Und immer wenn diese schwierige, sonderbare Passage kam, sah sie Geäst vor sich und hörte Pitts Stimme: Was ist dies eigentlich für ein Gebüsch? — Je mehr sie von dieser sinnlosen Verbindung sich frei machen wollte, um so fester hakte sie sich in sie hinein; es war fast blödsinnig.

      Nach einer Weile wurde sie abermals gestört: Hedwig trat herein. — Ich möchte dir gerne etwas sagen. — Sie wartete, daß Elfriede ihr Spiel unterbrechen solle. — Sprich nur, ich höre schon. — Sie wartete wieder eine Zeitlang, dann kam sie auf den Flügel zu und schloß den Tastendeckel, daß Elfriede schnell die Hände wegzog. Beide sahen sich einen Augenblick an, fast wie zwei Feinde. — Elfriede stieß den Deckel wieder auf. Was willst du denn? — Was ich will? Kannst du dir das nicht denken? — Absolut nicht! sagte Elfriede gereizt und trotzig. — Dann will ich es dir sagen: Wenn das so fortgeht, so gebe ich dir mein Wort darauf, daß dieser Mensch schon in den nächsten Tagen das Gut verläßt. — Welcher Mensch? fragte Elfriede erregt. — Es handelt sich nur um den einen. — Also doch! Ich hatte gedacht, daß du etwas anständiger von jemand redest, der mein Freund ist und unser Gast! — Ich rede von den Menschen so wie sie es verdienen. Dieser Herr Sintrup hat keine Art, sich beliebt zu machen, und wenn es noch das allein wäre! Aber er stiftet Unfrieden zwischen uns allen. Von seinem Benehmen gegen mich will ich gänzlich schweigen; es war niemals taktvoll; aber er hat auch andere Leute angesteckt. — Wer sind die andern Leute? — Du und Harald! Es ist ja, als wenn ihr ein Bündnis gegen mich geschlossen hättet; alles ergreift Partei gegen mich, nur weil ich die Wahrheit sage: Halboffene Seitenblicke, unterdrücktes Lächeln — denkt ihr denn ich sehe das alles nicht? Ich tue nur, als ob ich nichts bemerke, weil ich eine bessere Lebensart habe als ihr. Ich bemühe mich, zu vertuschen, zu bemänteln, nicht aus Rücksicht auf euch, sondern aus Rücksicht auf unsere Mutter, der ich alles Unangenehme ersparen möchte, aber ihr werdet ja geradezu flegelhaft! Die Mißstimmung beim Frühstück heute morgen dachte ich zu überbrücken, indem ich mich euch beim Spazierengehen anschließen will: Harald sieht mich im Garten, kehrt vor mir um und läuft davon. Noch einmal nehme ich mich zusammen und folge euch zum Wasser hinunter; ihr versteckt euch wie Schulkinder vor mir, im Gebüsch, und macht eure Witze über mich. Und „Herr Pitt“ ist der Anführer. — Das ist nicht wahr! rief Elfriede, Harald verkroch sich zuerst! — Um so schlimmer! Soweit habt ihr ihn schon gebracht in der kurzen Zeit. Harald war früher ein ganz anderer Mensch, zuweilen ungezogen, aber einfach und natürlich. Jetzt aber sucht er geradezu Streit mit mir, und in seinen Antworten ist ein Geist — wenn ich es überhaupt so nennen soll — der ihm ganz fremd ist. Gestern nenne ich ihn halb im Scherz einen „losen Vogel“; er will antworten, und ich sehe es seinem Gesichte an, daß ihm nichts einfällt. Jetzt, heute morgen wirft er mir unversehens die Worte an den Kopf: Gefangene Vögel schelten immer auf die freien. Denkst du ich weiß nicht, woher solche Antwort kommt? Will Harald aus sich selber witzig sein? Liegt das in seinem Charakter? Und noch dazu auf eine so alberne und abgeschmackte Weise witzig? Harald wiederholt sorglos das was man ihm vorsagt. Er wird hier geradezu verdorben. — Pitt ist niemals albern oder abgeschmackt! rief Elfriede. — Das wundert mich nicht von dir zu hören, glaubst du denn ich sähe nicht, wie du dich von ihm beeinflussen läßt? Ich rede eben nicht in bezug auf mich, sondern im allgemeinen. Du sagst Dinge, die du früher nie gesagt hättest, du bewunderst ihn blindlings, du findest seine Plattitüden interessant, du wirst ihm sogar in den Bewegungen ähnlich — sieh, wie du eben den Finger aufhebst, um mich zu unterbrechen! Ganz seine Art, ganz sein Benehmen. Er ist ein durch und durch uninteressanter Mensch, der seine Existenz wenigstens durch ein tadelloses Benehmen erträglich machen sollte. — Elfriede war blaß geworden und ihre Lippen zitterten. — Was du da sagst, rief sie, sagst du nur aus Neid. Du mißgönnst es mir, daß ich einen Menschen lieb habe und daß er mich lieb hat. Aber nun ist es genug; geh hinaus! — Elfriede hatte sich jäh zu ihr gewendet, und ihre Augen brannten. — Ich gehe, wenn ich die Lust dazu habe, ich bin hier so gut in meinem wie in deinem Hause. Merke dir, was ich gesagt habe, du bist nun gewarnt! — Sie schritt an ihr vorbei und schloß geräuschvoll die Tür hinter sich. — Sofort fielen Elfriedes Finger wieder in die Tasten. Hedwig sollte es empfinden, daß es ihr völlig gleichgültig war, was sie sagte. Und Pitt, der würde einfach lachen, wenn sie es ihm erzählte. —

      Hedwig war in ihr Zimmer zurückgekehrt. Die Hauptsache hatte sie vergessen zu sagen: Was für ein Unterschied war denn zwischen lieben und lieb haben? Hatte Elfriede nicht eigentlich eingestanden, daß sie diesen Pitt liebe? — Sie ging zu ihrer Mutter und teilte ihr das ganze Vorausgegangene mit. — Ich sehe nichts Gutes für Elfriede ab, wenn er noch lange hier bleibt, schloß sie; wir können ihn nicht eins, zwei, drei wieder fortschicken, das wäre gegen die Sitte und gegen alle Gastfreundschaft, aber ich halte es für das beste, daß er nicht länger bleibt als unumgänglich nötig ist. Mag sein, daß Elfriede bis jetzt noch nicht in ihn verliebt ist, — die Unterschiede sind übrigens zuweilen fast unkenntlich — aber die Gefahr scheint mir jetzt ganz nah. — Jedenfalls, sagte Frau van Loo, wird die „Gefahr“, wie du es nennst, vergrößert, wenn jemand auf sie einredet, wenn man ihr die Möglichkeit vorhält. Und was diesen Pitt selbst betrifft, so wird — wie ich ihn auffasse — seine Neigung zu ihr niemals über die Grenze einer Freundschaft hinauskommen. Hedwig bestritt dieses und erinnerte an die Art, wie Pitt damals Elfriede kennen lernte; das sei doch eigentlich ein genügend deutlicher Fingerzeig. — Zwei Dinge, sagte Frau van Loo, können sich zum Verwechseln ähnlich sehen und doch etwas ganz Verschiedenes sein. Hedwig zuckte die Achseln und ging.

      Pitt war inzwischen nach Hause gegangen und hatte über alles nachgedacht. Er ärgerte sich, daß er Elfriede hatte allein gehen lassen. Jetzt wußte er mit einem Male klar, was er bisher nur geahnt hatte: daß Elfriede ihn liebe. Dieses Bewußtsein erfüllte ihn mit einer stillen Freude; sein eigenes Gefühl zu ihr erschien ihm nun mit einem Male fest, sicher, klar. Zuweilen war er an sich selber irre geworden, wenn er darüber nachdachte, daß er eigentlich noch niemals irgendeine Angst um sie empfunden hatte, daß ihm ihr Dasein so selbstverständlich war wie sein eigenes, daß es Stunden gab, wo er sich ihres Daseins erst genau so erinnern mußte wie seines eigenen, das er mitunter ganz vergaß. Aber muß denn einer Liebe stets irgend etwas Bitteres, etwas Aufregendes und Zerrendes beigemischt sein? Er fühlte sich in seinem Zustand vollkommen wohl, und jetzt noch viel wohler, da er ihm gesichert schien.

      Elfriede sprach mit ihm über das Vorgefallene, und während sie sprach, sah er sie mit einem so stillen Blicke an, daß sie verwirrt die Augen von ihm kehrte. Er ergriff ihre Hand und sagte: Wollen wir wegen einer solchen Dummheit diese schöne Zeit, die vielleicht nie wieder kommt, abbrechen? Diese Worte gingen ihr noch lange nach. Sie fühlte, daß zwischen ihm und ihr ein tieferes Einverständnis war als all die Zeit vorher.

      Harald war nicht so ohne weiteres einverstanden mit dem neuen Leben, Hedwig gegenüber. Sie fing ihn ab, als er pfeifend an ihr vorüber wollte. Er kam mit geröteter Stirn zu Pitt und Elfriede, erzählte alles und sagte in dem Tone eines Bandenanführers: Irgend etwas muß gegen sie unternommen werden! Und als beide nicht mittun wollten, meinte er verwundert: was seht ihr denn so zufrieden aus? Ich finde dieses furchtbar dumm. — Alleine unternehme ich auch nichts gegen sie! fügte er nach einer Pause hinzu, wie eine Warnung, sich noch zu besinnen. Dann ging er enttäuscht hinaus. — Und nicht einmal die Komtesse darf ich sie mehr nennen, weil sie das herzlos findet. Ich möchte wissen, was daran herzlos ist. —

      Es folgten nun ruhigere Tage. Pitt und Elfriede waren fast stets zusammen. Sie schienen wie zwei gute Kameraden, Hedwig hätte alle ihre Worte hören können, ohne den geringsten Anlaß zu einem Tadel zu haben. Jenem ersten, unklaren Ausbruch in Elfriedes Gefühl schien kein zweiter zu folgen.

      Nur nahm sie jetzt, wenn sie draußen zusammen gingen, zuweilen still seinen Arm, was er geschehen ließ, obgleich er es im Grunde nicht gerne mochte, da es ihn an Ehepaare