Harald erzählte bei Tisch, er habe sich in der Schule drei Tage krank gestellt, gar nichts gegessen, und erst am vierten, als man ihn entließ, auf dem Bahnhof alles nachgeholt. Frau van Loo redete von der Unerhörtheit seines Streiches, sagte dann aber: da du einmal hier bist, magst du auch gleich dableiben, worauf Pitt zum erstenmal seine vergnügten spitzen Eckzähne zu sehen bekam.
Am nächsten Morgen erwachte Elfriede an einem altgewohnten Geräusch: Harald warf ihr kleine Steine in die Stube. Er wartete draußen bis sie sich angekleidet hatte: komm, ich zeige dir, wo ich gestern gegraben habe! Und unvermittelt fügte er hinzu: Was ist das für ein Mensch, dieser Herr Pitt oder wie er heißt? Wie ist der in unser Haus gekommen? — Was Elfriede antwortete, war ihm nicht genug; er bohrte und drängte, und warf so scharfsinnige Bemerkungen und Einwände zwischen ihre ausweichenden Sätze, sah so traurig aus als er sagte: Früher hast du doch nie ein Geheimnis vor mir gehabt! — daß sie ihm schließlich alles erzählte. — Nun hast du mich wohl nicht mehr ganz so lieb wie früher? — Sie sah ihn verwundert an. — Du liebst ihn doch natürlich. — Sie wurde ärgerlich und nannte ihn verrückt. Sie waren zum Gemüsegarten gekommen; er grub, sie mußte helfen, beide bekamen rote Backen und wollten sich gegenseitig überholen. Harald stieß den Spaten ins Erdreich, mit aller Kraft und aller Liebe, und sagte aufatmend: Danach habe ich mich immer gesehnt, daran habe ich immer gedacht, wie ich auf der Schulbank saß und hungerte; so eine Schaufel ist doch etwas Wundervolles! — Er umarmte sie, als wäre sie ein lebendes Wesen. — Aber zur See gehen ist doch noch viel, viel schöner! — Das Hündlein nahte in voller Karriere über den Kiesweg, warf sich ihm an die Brust, er fing es mit beiden Armen, es schnappte nach seinem Ohrläppchen und er küßte es auf die Schnauze. — Wenn das die Komtesse sähe! — Mit der Komtesse war Hedwig gemeint. Er liebte sie immer noch nicht sonderlich, denn sie hatte ewig etwas an ihm auszusetzen.
Pitt erschien zum Frühstück als die andern sich schon erheben wollten. Er schien nervös, war nachts von den unruhigsten Träumen geplagt worden und hatte wie im Fieber gelegen. — Das macht der Unterschied der Luft! sagte Elfriede, du wirst dich schon daran gewöhnen! — und reichte ihm noch einmal die Hand, da er sie das erstemal übersehen hatte.
Nach dem Frühstück ging er mit ihr und Harald durch die Felder. Er sah auf die sonnedurchleuchteten Wiesen und Hügel, die seinem Auge weh taten: Brutal, nackt war sie, diese sogenannte Natur, und er dachte: Das soll ich nun viele Wochen aushalten?
Aber die nächste Nacht schlief er schon etwas besser, und nach einiger Zeit hatte er sich so an alles gewöhnt, daß es nun die Häuser der Stadt waren, an die er mit Abneigung dachte. Allein freilich hätte er hier keinen einzigen Tag verbracht.
Harald war die erste Zeit sehr zufrieden. Seine Sorge, Elfriede möchte ihn nun weniger lieben, bestätigte sich nicht; er durfte überall dabei sein und gab seiner Freundschaft für Pitt und seiner Liebe zu Elfriede dadurch Ausdruck, daß er stets zwischen ihnen ging. Hedwig beteiligte sich zuweilen an diesen Spaziergängen, aber dann waren sie alle wortkarg und einsilbig. Gegen Hedwig hatten Pitt und Elfriede schon früher eine Art Bündnis geschlossen; wenigstens erzählte sie ihm alles, was zu Hause zwischen ihnen vorfiel und auf sie Bezug hatte, und freute sich, wenn er in ihr Urteil einstimmte; doch konnte sie es früher nicht leiden, wenn er selbständig etwas Schlechtes von ihr sagte; dann zählte sie alle Vorzüge ihrer Schwester auf, oder sagte auch geradezu, er möge stille sein, sie könne das nicht hören; er begriff sie nicht und sagte, sie wäre feige: Entweder man habe ein Urteil über einen Menschen oder man habe es nicht; er selbst hätte eine ganz bestimmte Ansicht von seinem Vater, und wenn jemand dieselbe Ansicht äußere, dann stimme er ihr bei. — Das ist eben der Unterschied! sagte sie damals und ließ sich nicht beirren. — Jetzt wandelte sich dieses, wo alle Beziehungen so eng zueinander gerückt erschienen, wo jede Mißhelligkeit einen viel deutlicheren Ausdruck fand. Hedwig konnte es nicht lassen, jede ihrer kleinen Mißbilligungen zu äußern, die in Elfriedes Augen sofort in übertriebener Größe erschienen, da sie allmählich gewöhnt war, Pitt blindlings gegen jeden in Schutz zu nehmen und ihre Schwester von vornherein als voreingenommen zu betrachten. Pitt trafen ihre kleinen Spitzen nicht empfindlich; im Gegenteil, er empfand es als ganz lustig, sie zu parieren und dabei seine Schlagfertigkeit zu üben, die sich in der letzten Zeit im übrigen etwas abzustumpfen schien; auf den Spaziergängen mit Elfriede und Harald ließ er sich zuweilen gehen in grotesken Einfällen und Bildern. Auf Harald hatte dies die Wirkung, daß er nun selbständig gegen Hedwig vorging und sich übte, im Pittschen Sinne schlagfertig zu antworten. Schließlich machte er sich geradezu einen Sport aus diesen Dingen, und wenn er mit den beiden andern zusammen war, schien ihm das Ziel der Unterhaltung erst dann erreicht, wenn er die Rede auf Hedwig brachte. —
Elfriede wünschte ihn zuweilen fort, sie wollte mit Pitt lieber allein sein; aber er war so unbefangen selbstverständlich und rückhaltlos, daß sie es ihm nicht sagen mochte, sondern lieber darauf wartete, ob sich die Gelegenheit nicht von selbst ergebe, wobei sie dann noch ein wenig nachhelfen konnte. — Einmal fand sie Pitt allein in der Laube sitzen, über einem dicken alten Buche, das er mitgenommen hatte. Die schreckliche Philosophie! sagte sie, die kannst du doch auch in der Stadt lesen! Und warf ihm, um ihn zu unterbrechen, eine Blume aufs Papier. Er ließ sich bewegen, mit ihr zu gehen; ganz heimlich ging sie mit ihm durch den Garten. — Sie glaubte sich und ihn schon gerettet, als Harald seitwärts heranlief: Die Komtesse! rief er, sie hat euch gesehen und will mit uns gehen, da das Wetter so schön sei; schnell, schnell, dann findet sie uns nicht! — So ist dieser Spaziergang wieder nichts geworden! dachte Elfriede, und beeilte sich nicht so wie Harald wünschte. — Sie wandten sich zum Wasser hinab, das unten in der Tiefe, von Erlengebüschen umstanden, lag; Harald warf mit flachen Steinen über seine Oberfläche. Nach einer Weile aber duckte er sich, schlich in ein dichtes Strauchwerk und winkte den beiden andern heftig nachzukommen. Dann deutete er mit dem Finger vorsichtig durch die Zweige. Oben auf dem dunklen Brachfelde, auf der Horizontlinie stand Hedwig, in ihrem schwarzen Kleide. — Wie sie geschnürt ist, — wie eine Rübe! sagte er, und versuchte Pitts Tonfall nachzuahmen. Und Elfriede fügte hinzu: es geschieht ihr ganz recht, daß wir hier im Busch sitzen und lachen; wozu ist sie so abscheulich! — In ihrem Ton lag so viel Bitterkeit, daß Pitt sich wunderte. Hedwig stand noch eine kleine Weile oben, dann verschwand sie langsam. — Sofort trat Harald aus dem Gebüsch heraus und warf wieder mit seinen Steinen, Pitt wollte folgen, aber Elfriede sagte: Ich finde es so schön hier, bleibe doch sitzen! — So saßen sie nebeneinander, in dem dichten Grün, Elfriede immer in der leisen Unruhe, er könne plötzlich doch aufstehen. — Was ist das eigentlich für ein Gebüsch, in dem wir sitzen? fragte er nach einer Weile. — Ach ich weiß es nicht! sagte sie und in ihrer Stimme klang eine sonderbare Erregung; vielleicht ist es ein Weidenbusch — nein, es sind Haselnüsse. Dann schwiegen sie wieder. In ihr war eine Unruhe, daß sie plötzlich aufsprang: ich glaube, ich möchte mit dir ringen! Er sah sie erst erstaunt, dann nachdenklich an, sie hielt diesen Blick verwirrt aus, dann strich sie ihr Haar aus der Stirne und sagte: es ist hier so heiß und dumpf drinnen, ich halte es nicht aus — und trat ins Freie. — Was ist denn los? fragte Harald überrascht und blickte schnell hinter sich, ob da ein Tier säße, das er vorher nicht bemerkt hatte; — du sahst mich eben so merkwürdig an, als ob ich gar nicht da wäre! — Wir wollen nach Hause gehen, ich muß üben, meine Finger werden ganz steif! Sie dehnte sie auseinander, so stark, daß sie knackten. — Harald fand das langweilig. — Bleibt ihr beide doch unten! sagte sie und streifte Pitt mit einem Blick, ich finde den Weg auch allein. — Wirklich schritt sie allein den Pfad hinauf. — Nach einer Weile blieb sie stehen und schaute zurück. Unten gingen die beiden jetzt am Wasser entlang. Sie wartete immer, daß er sich nach ihr umsehen würde. — Weshalb hatte sie das