»Ist das eine Mahnung?« sagte der Kaiser leise — und er machte eine Bewegung, als wolle er den Empfang des Angemeldeten ablehnen.
Dann aber trat er vom Fenster zurück und sprach:
»Er soll kommen.«
Der Kammerdiener ging hinaus.
»Ich will ihn hören,« sagte der Kaiser — »jedenfalls hat er ein Recht auf Offenheit und Wahrheit!«
Die Thür der innern Gemächer öffnete sich wieder und der Graf Rivero trat ernst und traurig in das Kabinet.
»Sie kommen zu ernster Stunde, Graf,« redete der Kaiser ihn an, — »die Ereignisse dieser Tage haben viele Hoffnungen begraben!«
»Man darf gerechte und heilige Hoffnungen nimmer begraben, Kaiserliche Majestät,« antwortete der Graf — »ja wenn man selbst in das Grab steigt, muß man sie vertrauensvoll der Zukunft vermachen!«
Der Kaiser sah ihn forschend an.
»Ich will auch wahrlich die Hoffnung nicht ganz aufgeben,« sagte er mit einer gewissen Befangenheit.
»Majestät,« sprach Graf Rivero nach einer kurzen Pause, da der Kaiser nichts weiter äußerte, — »ich habe nur in äußern Umrissen das große Unglück gehört, — ich weiß aber nicht, in wie fern seinen Folgen begegnet werden kann und was Eure Kaiserliche Majestät zu thun beschlossen haben. — Allerhöchstdieselben wissen, daß in Italien Alles zur Erhebung für die heilige Sache der Religion und des Rechts bereit ist. Die Siege der österreichischen Waffen haben die militärische und moralische Macht des Königs von Sardinien tief erschüttert und der Augenblick ist gekommen, wo ich das entscheidende Wort sprechen muß, um die Flammen überall zu entzünden. — Um dieß zu thun, bitte ich um Eurer Majestät Befehle und frage Allerhöchstdieselben, ob der Aufstand in Italien auf die volle und kräftige Unterstützung der österreichischen Armee rechnen könne. — Ohne dieselbe würde das Opfer so vieler Existenzen unnütz sein und unserer heiligen Sache nur schaden.«
Der Graf hatte leise und ruhig, in dem ehrfurchtsvollen Tone des Hofmannes gesprochen, — aber dennoch lag in seiner Stimme eine tiefe, ernste Festigkeit, eine gewisse stolze Ueberlegenheit.
Der Kaiser schlug einen Augenblick die Augen nieder. Dann trat er dem Grafen einen Schritt näher und sprach langsam:
»Mein lieber Graf, — der Feind bedroht von Böhmen her die Hauptstadt, — die geschlagene Armee kann ohne Sammlung und Ruhe nicht operiren, ich bedarf der ganzen Kraft Oesterreichs, um die Folgen der Niederlage abzuwenden, den drohenden Schlag zu pariren — die Südarmee muß Wien decken und mit der wieder gesammelten böhmischen Armee die Möglichkeit einer neuen Offensive geben —«
»So wollen Eure Majestät Italien aufgeben?« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, aber ohne ein Zeichen von Erregung, indem er den vollen Blick seines dunklen Auges fest auf den Kaiser richtete.
»Ich muß es« — sagte der Kaiser — »ich muß es, wenn ich nicht Deutschland preisgeben und die Stellung Oesterreichs vernichten will — es ist kein Ausweg —«
»So wollen Eure Majestät,« fuhr der Graf ruhig mit dem tiefen, metallischen Ton seiner Stimme fort, — »so wollen Eure Majestät die eiserne Krone Habsburgs für immer dem Hause Savoyen überlassen, Venetien, diese stolze Königin der Adria, dem Könige Viktor Emanuel ausliefern, dessen Armeen das Schwert Oesterreichs zerschlagen hat?«
»Nicht ihm!« rief der Kaiser lebhaft, »nicht ihm!«
»Und wem denn, Majestät?«
»Ich bedarf der französischen Hülfe,« sagte der Kaiser, — »ich muß die Allianz Napoleon's, deren Preis ich vor dem Kampf nicht zahlen wollte, — »ich muß sie erkaufen!« —
»So soll denn abermals diese dämonische Hand kalt und dunkel in das Schicksal Italiens greifen!« rief der Graf mit glühendem Blick, — »so soll Rom und der heilige Stuhl für immer der Willkür des früheren Carbonaro preisgegeben werden?«
»Nicht für immer,« sagte der Kaiser, — »wenn meine Macht in Deutschland wieder aufgerichtet ist, wenn es gelingt, die drohende Gefahr zu überwinden, dann wird der heilige Stuhl einen mächtigeren Beschützer haben, als ich es ihm jetzt sein könnte, und wer weiß,« — fuhr er lebhaft fort, — »Deutschland hat die Lombardei erkämpft in früheren Jahrhunderten —«
»So ist denn Alles verloren!« rief der Graf in unwillkürlichem Ausbruch mit tief schmerzlichem Ton. Schnell aber besiegte er das aufwallende Gefühl und sprach mit seiner gewöhnlichen Ruhe: »Ist Eurer Kaiserlichen Majestät Entschluß unwiderruflich — oder darf ich mir erlauben, einige Gründe gegen denselben auszusprechen?«
Der Kaiser schwieg einen Augenblick.
»Sprechen Sie!« sagte er dann.
»Eure Majestät hoffen,« sprach der Graf, »durch das Heraufziehen der Südarmee das geschehene Unglück redressiren und durch das Aufgeben Venetiens — das heißt Italiens — die Allianz Frankreichs erkaufen zu können. — Nach meiner Ueberzeugung sind beide Hoffnungen trügerisch.«
Der Kaiser blickte ihn mit Erstaunen und großer Spannung an.
»Die Südarmee,« fuhr der Graf fort, »wird viel zu langsam heraufkommen, um irgend wesentlichen Nutzen zu bringen, — denn Eure Majestät haben es mit einem Gegner zu thun, der nicht wartet und nicht still steht, — die beklagenswerthen Ereignisse, unter deren Eindruck wir stehen, geben davon Zeugniß. — Die französische Allianz aber, — wenn Eure Majestät sie erkaufen können, wird den Preis nicht werth sein, der dafür gezahlt wird, — denn — wie ich schon früher die Ehre hatte, Eurer Majestät zu versichern — Frankreich ist unfähig zu irgend einer militärischen Aktion.«
Der Kaiser schwieg.
»Dagegen aber,« fuhr der Graf fort, »geben Eure Majestät mit Italien ein großes Prinzip auf, Sie erkennen die Revolution an, — die Revolution gegen das legitime Recht — und gegen die Kirche, Sie entziehen dem kaiserlichen Hause von Habsburg jenen mächtigen Alliirten, der hoch über den Schlachtfeldern und den Kabinetten zu Gericht sitzt und die Schicksale der Fürsten und Völker nach seinem ewigen Willen lenkt. Eure Majestät geben die Kirche, Eure Majestät geben den allmächtigen Herrn auf, dessen Burg und Waffe auf Erden die heilige Kirche ist!«
Der Kaiser seufzte.
»Aber was soll ich machend« rief er schmerzlich, »soll ich den übermüthigen Feind in meiner Hauptstadt Wien einziehen lassen — kann ein flüchtiger Fürst Schützer der Kirche sein?«
»Eurer Kaiserlichen Majestät Vorfahren,« sprach der Graf, »sind wiederholt aus Wien geflohen und weil sie festhielten am Recht und an jenem ewigen und allmächtigen Alliirten ihres Hauses, sind sie stets ruhmvoll und mächtig wieder in ihre Hauptstadt eingezogen! — Außerdem,« fuhr er fort, »liegt noch viel zwischen dem Feinde und Wien. Die feindliche Armee ist ebenfalls schwer erschüttert, und daß Wien nicht preußisch wird, dafür bürgt Europa, — dafür muß Frankreich einstehen, — auch ohne jeden Preis, — England — selbst Rußland heute noch. — Lassen Eure Majestät die siegreiche italienische Armee unter dem erhabenen Erzherzog in gewaltigem Stoß vordringen und in wenig Zeit gehört Italien Ihnen, — der Alliirte Preußens ist zerschmettert und die heilige Kirche wird ihr gewaltiges Wort erheben für Oesterreich und Habsburg; dieß Wort wird gehört werden in Bayern, in Deutschland, es muß gehört werden auch in Frankreich, und mit neuer gewaltiger Kraft werden Eure Majestät sich erheben. Lassen Allerhöchstdieselben das eine Werk nicht unvollendet, um nach der andern Seite Halbes zu schaffen, verfolgen Sie den Sieg bis zum Ende, dann wird er rückwirkend das Unglück gut machen, — opfern Sie nicht den Sieg der Niederlage, sondern heilen Sie die Niederlage durch die Vollendung des Sieges!«
Der Graf hatte wärmer als sonst gesprochen. Wie ein magnetischer Strom flossen die Worte von seinen Lippen, ein reines Feuer leuchtete aus seinen Augen und eine prophetische Verklärung überströmte seine Züge.