»Sogleich!« rief der Kaiser — »und nicht wegen des Eindrucks, mein Herz drängt mich, diese Braven zu begrüßen und ihnen zu danken.«
Er erhob sich.
»Befehlen Eure Kaiserliche Majestät,« sagte der Staatsrath mit leiser, demüthiger Stimme, »daß ich mir das Reisegeld nach Paris auf der Staatskanzlei zahlen lasse?«
»Nein,« sagte der Kaiser. Er öffnete eine kleine Schatulle, welche auf dem Tische vor ihm stand, nahm zwei Rollen daraus und reichte sie dem Staatsrath.
»Genügt das?« fragte er.
»Vollkommen,« erwiederte dieser, indem ein funkelnder Blitz aus seinen Augen schoß, und mit der Hand die Rollen ergreifend, ließ er sie in die Tasche seines großen braunen Rockes verschwinden.
»Nun,« sagte der Kaiser, »reisen Sie schnell und kommen Sie bald zurück — wenn es nöthig ist, geben Sie mir auf dem bekannten Wege Nachricht, — vor Allem erreichen Sie — was möglich ist.«
Er nickte leicht mit dem Kopf. Der Staatsrath verneigte sich und verschwand schnell, ohne die Thüre weiter zu öffnen, als es unumgänglich nöthig war hindurchzuschlüpfen, und ohne das mindeste Geräusch.
Der Kaiser schellte und befahl seinen Wagen und den Flügeladjutanten.
Dann fuhr er nach dem goldnen Lamm und besuchte die verwundeten Offiziere.
Die Wiener, die ihn durch die Straßen fahren sahen im offenen Wagen, heiter und stolz, sagten: »Es muß halt so schlimm nicht sein, denn der Kaiser sieht ganz wohl und zufrieden aus.«
Als er aus dem Hotel heraustrat, hatte sich eine dichte Menschenmenge vor dem Hause versammelt und begrüßte den Kaiser mit lauten, enthusiastischen Hochrufen.
Mit hellem, stolzem Blick ließ er sein Auge über die Menge schweifen und stieg in den Wagen, indem er freundlich nach allen Seiten grüßte.
Da erhoben sich laut und deutlich nah und fern die Rufe: »Eljen! Eljen!«
Betroffen horchte der Kaiser auf und versank in tiefes Nachdenken, während der Wagen langsam die drängende Menge theilte und dann in schnellem Trabe zur Hofburg zurückfuhr.
Achtzehntes Kapitel.
Napoleon III. saß in seinem Kabinet in den Tuilerieen. Die schweren dunklen Vorhänge waren weit von den großen Fenstern zurückgezogen und das Morgenlicht fiel in hellen Strahlen herein. Der Kaiser trug einen leichten Morgenanzug, sein Haar und sein langer Schnurrbart waren frisch geordnet und sein gealtertes, müdes und abgespanntes Gesicht zeigte jenen Ausdruck der Frische, welchen selbst kranken Zügen die Ruhe der Nacht und eine sorgfältige Toilette verleiht.
Neben ihm auf einem kleinen Tisch stand eine brennende Kerze und das einfache Geschirr von Silber und Sèvresporzellan, in welchem er sich seinen Thee selbst bereitet hatte; er rauchte eine große dunkelbraune Havannahcigarre, deren blaue Wölkchen das Kabinet durchzogen und vermischt mit dem Aroma des Thees und einem leichten Duft von Eau de Lavande in dem vor dem Eintritt des Kaisers sorgfältig mit frischer Luft erfüllten Zimmer einen angenehmen und leichten Parfüm verbreiteten.
Der Kaiser hielt einige Briefe und Telegramme in der Hand und auf seinem Gesicht zeigte sich ein heiterer und zufriedener Ausdruck.
Vor ihm stand sein vertrauter Sekretär Pietri.
»Alles fällt Dem zu, der zu warten versteht,« sagte der Kaiser mit leichtem Lächeln. — »Man hat mich zum Eingreifen in diesen deutschen Krieg veranlassen wollen — zum plötzlichen, eiligen Handeln — und jetzt? — ich glaube, mehr und Besseres hätte ich nicht erreichen können, wenn ich — ganz meiner Neigung und Ueberzeugung entgegen — in die natürliche Entwicklung der Ereignisse eingegriffen hätte.
»Der Kaiser von Oesterreich« — fuhr er fort, »tritt mir Venetien ab und ruft meine Vermittlung an, um den siegreich vordringenden Feind aufzuhalten — damit habe ich Italien gegenüber die Situation in der Hand, — das geschlagene Italien wird mir die Erwerbung der letzten Provinz danken und mein Wort: frei bis zur Adria, wird erfüllt werden!« — Er seufzte erleichtert auf. »Damit habe ich viel gewonnen an Einfluß und an Prestige — was,« fügte er lächelnd hinzu, — »noch mehr wiegt als Macht und Einfluß. — Der König von Preußen,« fuhr er fort, — »nimmt meine Vermittlung — im Prinzip freilich und für den Waffenstillstand zunächst — an, — aber daraus wird das Uebrige folgen und ich bin damit zum Schiedsrichter in Deutschland geworden! — Hätte ich mehr erreichen können« — fragte er mit einem langen Zug aus seiner Cigarre, indem er wohlgefällig die weiße Asche betrachtete und den bläulichen Rauch langsam in einzelnen Absätzen von sich blies, — »hätte ich mehr erreichen können, wenn die Armeen Frankreichs im Felde stünden?«
»Gewiß nicht,« erwiederte Pietri, »und ich bewundere den Scharfblick Eurer Majestät — ich muß gestehen, daß ich selbst nicht ohne Bedenken war bei der Enthaltung Frankreichs von aller Mitwirkung bei diesen großen Ereignissen. Indeß möchte ich Eure Majestät doch darauf aufmerksam machen, daß — wie ich glaube, die Situation klarer ist Italien gegenüber — wenn auch jetzt eine leise Abneigung des Königs sich zeigt, Venetien als Geschenk anzunehmen, — als den deutschen Mächten gegenüber. Die Annahme der Vermittlung im Prinzip —«
»Wird noch zu weiten Verhandlungen führen in der praktischen Ausführung,« unterbrach der Kaiser, — »ich weiß das, — beide Theile haben dabei ihre Hintergedanken — nun wohl,« sagte er lächelnd, »so habe ich die meinigen.«
»Es ist jedenfalls eine große Sache,« fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, »daß die Kanonen schweigen, sobald mein vermittelndes Wort ertönt und daß die leise und freundliche Stimme Frankreichs die Macht hat, jene beiden gewaltigen Gegner augenblicklich wenigstens die Waffen senken zu lassen, um mit achtungsvoller Aufmerksamkeit meinem Wort zu lauschen. Das gibt mir immer die Stellung eines Schiedsrichters in Deutschland. — So muß die Sache,« fuhr er fort, »auch der öffentlichen Meinung dargestellt werden — es ist sehr wichtig, daß dieselbe in keine Bahnen einlenkt, welche meine vorsichtige und ruhige Aktion verwirren könnten.«
»Das ist geschehen, Sire,« sagte Herr Pietri, — »ganz in diesem Sinne hat der Moniteur die Vermittlung Eurer Majestät dargestellt und so wird, die Situation von den ergebenen Blättern weiter behandelt.«
»Gut, gut,« sagte der Kaiser, — »und wie nimmt die souveräne öffentliche Meinung meiner guten Pariser die Sache auf?«
»Vortrefflich« — erwiederte Pietri, »alle Organe der Presse fassen die Stellung Frankreichs in diesem Konflikt als eine der nationalen Würde entsprechende und schmeichelhafte auf.«
Der Kaiser nickte zufrieden mit dem Kopf.
»Ich kann Eurer Majestät aber nicht verbergen,« sagte Pietri, »daß sich eine starke Thätigkeit in preußischem Sinne in dem Journalismus bemerkbar macht, — der preußische Konsul Bamberg, der, wie Eure Majestät wissen, diese Angelegenheiten bei der Botschaft besorgt, wird seit einiger Zeit sehr kräftig und geschickt unterstützt durch den Temps, den Siècle und andere Blätter.«
Der Kaiser schwieg nachdenkend.
»Es fragt sich nun,« fuhr Pietri fort, — »ob dieser Agitation entgegengewirkt werden solle —«
»Nein,« sagte der Kaiser entschieden, — »es wäre mir in diesem Augenblick sehr wenig erwünscht, wenn die öffentliche Meinung eine entschiedene Parteinahme für Oesterreich verlangte, — das würde mich geniren. — Ich muß Ihnen aufrichtig sagen,« fuhr er nach einem minutenlangen sinnenden Schweigen fort, »daß ich sehr wenig Vertrauen in Oesterreich setze, welches mir dem Prozeß der Auflösung zu verfallen scheint, — ich glaube, es wird möglich sein, sich mit Preußen zu arrangiren. Der große Kaiser hatte diesen Gedanken,« fuhr er, halb zu sich selber sprechend, fort, »man