»Und auf der andern Seite,« fuhr der Graf fort, »wenn Eure Majestät Italien aufgeben, wenn Sie die ganze Kraft nach Norden werfen, — und wenn dann doch dieß Opfer die gewünschte Frucht nicht bringt, — wo werden Sie dann Beistand und Hülfe finden? — dauernden Beistand und sichere Hülfe? — Einmal fortgerissen auf jener Bahn, — einmal getrennt von dem ewigen und unwandelbaren Alliirten, wird die Trennung größer und größer, — sie wird zur Kluft werden und die Macht der Kirche wird nicht mehr für das abgefallene Oesterreich eintreten können. Und die Staatsmänner der Welt mögen diese Macht nicht unterschätzen,« rief er, sich stolz aufrichtend, — »wenn auch der zuckende Bannstrahl des Vatikans heute nicht mehr die Kronen von den Häuptern der Fürsten wirft und sie im Büßergewand vor den Thüren der Tempel stehen läßt — der Geist und das Wort der Kirche dringt mächtig und allgewaltig durch die Welt, und wenn der flammende Wetterstrahl den Fels nicht zerschmettert, so höhlt ihn der Tropfen aus! — Erwägen Eure Majestät ernst und reiflich, bevor Sie den ersten Schritt thun, der zur Trennung von der Kirche führt!«
Des Kaisers bewegtes Antlitz hatte sich leicht geröthet. Er erhob den Kopf; ein stolzer Strahl blitzte aus seinen Augen, leicht warf er die Lippen empor.
»Eurer Majestät kaiserlicher Bruder in Mexiko,« fuhr der Graf lebhaft fort, »wandelt den gefährlichen Weg, seine Macht zu suchen in weltlichen Stützen, er hat sich von der Kirche gewendet, — er ist ein Spielball in der Hand Napoleon's und der Weg, den er betreten, wird ihn tiefer und tiefer hinabführen —«
Der Kaiser richtete sich hoch auf.
»Ich danke Ihnen, Graf Rivero,« sprach er kalt, »daß Sie mir Ihre Meinung so ausführlich ausgesprochen. Mein Entschluß ist gefaßt — und unwiderruflich! — ich kann nicht anders. Ich hoffe, daß ich auf dem von mir betretenen Wege die Macht wieder gewinnen werde, der Kirche nützlich zu sein und zu dienen, wie es mein Herz mir gebietet.«
Die begeisterte Erregung verschwand von dem Gesichte des Grafen und seine Züge nahmen die gewohnte Ruhe, sein Auge den stillen, klaren Blick wie immer an.
Er wartete einige Augenblicke, und da der Kaiser schwieg, sagte er ohne eine Spur von Bewegung im Ton seiner Stimme:
»Eure Majestät haben keine Befehle weiter?«
Der Kaiser erwiederte freundlich:
»Leben Sie wohl, Graf, seien Sie von meiner aufrichtigen Geneigtheit überzeugt — und hoffen Sie mit mir auf die Zukunft, — was Sie gewollt, kann Gott künftigen Tagen vorbehalten haben!«
»Meine Hoffnung wankt niemals,« sagte der Graf ruhig, »denn die Zukunft gehört dem Lenker der Welt!«
Und mit tiefer Verbeugung verließ er das Kabinet.
Der Kaiser blickte ihm sinnend nach.
»Sie möchten die Tage von Canossa erneuern!« sagte er vor sich hin, — »sie täuschen sich — so will ich der Diener der Kirche nicht sein, ich will ringen und kämpfen um die Macht, ihr Schirmherr zu werden. — Und nun — an's Werk!«
Er schellte, der Kammerdiener erschien.
»Der Staatsrath Klindworth soll ohne Aufsehen gerufen werden!«
»Zu Befehl, Kaiserliche Majestät!«
Der Kaiser setzte sich vor seinen Schreibtisch und begann schnell verschiedene Papiere durchzusehen. Doch war diese Beschäftigung mehr mechanisch, seine Gedanken schweiften weit ab und oft sank das Papier, das er in der Hand hielt, langsam zurück, während sein Blick sich nachdenkend in das Leere richtete.
Der Staatsrath trat ein, das Gesicht mit den gesenkten Augen unbeweglich und undurchdringlich wie immer. Die Hände vor der Brust gefaltet, blieb er nach tiefer Verneigung in der Nähe der Thür stehen.
Der Kaiser blickte auf, als der Staatsrath eintrat, und erwiederte seinen ehrfurchtsvollen Gruß durch eine leichte Kopfneigung.
»Wissen Sie, was ich beschlossen habe, mein lieber Staatsrath?« fragte er, den Blick forschend auf das Gesicht Klindworth's gerichtet.
»Ich weiß es, Kaiserliche Majestät!«
»Und — was sagen Sie dazu?«
»Ich freue mich des Entschlusses Eurer Majestät!«
Der Kaiser schien verwundert.
»Sie stimmen damit überein,« fragte er, »daß ich Italien opfern will?«
»Um Deutschland zu halten, ja —« erwiederte der Staatsrath, — »von Deutschland aus können Eure Majestät Italien wiedererobern, von Italien aus niemals Deutschland.«
»Aber Sie waren gegen das Aufgeben Italiens vor dem Kampf?« fragte der Kaiser.
»Gewiß, Kaiserliche Majestät,« erwiederte der Staatsrath, — »weil ich von dem großen Metternich gelernt habe, daß man niemals etwas aufgeben müsse, was man hat und halten kann, daß man aber auch der Notwendigkeit stets Rechnung tragen, und wenn man gezwungen wird, etwas zu opfern, immer das opfern müsse, was man am leichtesten wiedererlangen kann.«
»Aber« — warf der Kaiser leicht hin, indem er einen kurzen, forschenden Blick hinüber richtete, — »man wird mir das in Rom sehr übel nehmen — man wird sich vielleicht feindlich gegen mich stellen.«
»Uebel nehmen — ja, Majestät,« erwiederte der Staatsrath, — »feindlich stellen — das wird nicht viel zu sagen haben, man wird ja Oesterreich immer wieder bedürfen. Die Kirche und ihr Einfluß ist ein mächtiger Faktor im politischen Leben — und die politischen Faktoren muß man benützen, aber sich nicht von ihnen beherrschen lassen, — das war einer der ersten Grundsätze Metternichs.«
Der Kaiser schwieg nachdenklich.
»Wenn ich aber Italien aufgegeben habe, so muß ich auch den Preis dieses Opfers gewinnen. — Glauben Sie, daß die französische Allianz wird erreicht werden?«
»Ich hoffe es,« sagte der Staatsrath, indem sein stechender Blick eine Sekunde lang unter den gesenkten Augenlidern hervorschoß, — »wenn die Diplomatie ihre Schuldigkeit thut!«
»— Wenn sie ihre Schuldigkeit thut!« sagte der Kaiser gedehnt. — »Mein lieber Staatsrath,« fuhr er fort, »Sie müssen sogleich nach Paris und alle Ihre Geschicklichkeit aufbieten, um den Kaiser Napoleon zum sofortigen aktiven Einschreiten zu bewegen!«
»Ich reise mit dem nächsten Kurierzug, Majestät,« sagte Klindworth ohne eine Miene zu verziehen.
»Sie kennen die Situation genau und wissen, worauf es ankommt?« fragte der Kaiser.
»Eure Majestät können sich auf mich verlassen,« sagte der Staatsrath.
Der Kaiser schwieg lange und bewegte die Finger leicht auf dem Tisch.
»Was spricht man in Wien?« fragte er endlich in gleichgültigem Ton.
»Ich kümmere mich sehr wenig um das, was man spricht,« sagte der Staatsrath mit einem kurzen, forschenden Blick auf den Kaiser, — »indeß habe ich doch soviel gehört, daß die Stimmung im Ganzen muthig ist und daß man Alles vom Erzherzog Albrecht und der italienischen Armee erwartet.«
»Spricht man — von meinem Bruder Maximilian?« fragte der Kaiser mit leicht gepreßter Stimme.
Wieder fuhr ein scharfer, lauernder Blick aus dem Auge des Staatsraths.
»Ich habe nichts davon gehört,« sagte er, — »wie sollte man auch darauf kommen?«
»Es gibt Leute,« sagte der Kaiser halb leise, »die bei jeder unglücklichen Katastrophe den Namen meines Bruders im Munde führen.« — Und abermals schwieg er, indem eine finstere Wolke über seine Stirn zog.
»Das beste Mittel,« sagte der Staatsrath, »daß ganz Wien nur Einen Namen nennt, ist, daß Eure Majestät sich öffentlich zeigen!«
»Wie das — soll ich etwa eine Praterfahrt machen?« — fragte der Kaiser noch immer mit finsterem Ausdruck.
»Majestät,«