Abgetaucht. Constanze Dennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Constanze Dennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902998132
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Der Mensch will mich erpressen, was sonst?

      »Hm, so hatte ich das nicht gedacht, mehr so, quasi als … hm, zum Beispiel: Ich danke für die Unterstützung durch Chefarzt Dr. Würzl …«

      »Co-Autor …«

      Wenn Würzl pokern möchte, das kann ich auch.

      »Sabine Katz. Ich möchte das Gutachten lesen.«

      »Den Fall kenne ich nicht.«

      Er lügt.

      »Ich denke drüber nach. Ich, hm, meine … wegen der Co-Autorenschaft bei meiner Publikation. Das Gutachten Katz lässt sich nicht ausheben, oder?«

      Würzl greift zum Telefon.

      »Bringen Sie mir den Akt Katz und einen Espresso.«

      Ich weiß jetzt schon, dass der Espresso nicht für mich ist. Oh Gott, wie ich diese Machtspielchen hasse!

      »Danke, das ist sehr nett, ich hatte noch kein Frühstück.«

      »Ach, Sie wollten auch einen. Da hätten Sie was sagen sollen.«

      Er greift zum Hörer.

      »Noch einen Espresso!«

      Zu mir: »Mit Milch, Zucker?«

      »Milch, bitte!«

      Würzl gibt die Informationen weiter und lächelt mich verkniffen an. Ich lächle verkniffen zurück.

      »Danke.«

      »Gerne … Durchs Reden kommen die Leute zusammen.«

      Ich nicke. Wie wurstle ich mich da jetzt raus? Nie und nimmer nenne ich den als Co-Autor. Egal, jetzt einmal den Akt. Bis die Veröffentlichung fertig ist, hat ihn womöglich irgendein nächtlich Betrunkener statt meiner erwürgt und ich mache mir umsonst Gedanken.

      Die Sekretärin bringt den Akt und zwei Kaffeetassen, keine Milch. Ich sage nichts.

      »Bitte schön«, er schiebt mir den Kaffee an seine Schreibtischkante, sodass ich, um zu trinken, aufstehen muss. »Milch ist aus.«

      »Macht nichts.«

      Der Akt liegt vor ihm. Er klopft mit den Fingern darauf. Ich sage mir, nur nicht so tun, als ob ich sehr neugierig wäre. Ich halte den Espresso in den Händen und rühre gelassen mit dem Löffel in der Tasse, obwohl es da nichts zu rühren gibt. Dazwischen trinke ich mit Minischlucken, um die Zeit zu dehnen. Ich denke, wenn du mich auf die Folter spannen willst, bitte, das kann ich auch. Er öffnet das Deckblatt des Akts, genau so, dass ich nichts lesen kann.

      »Schlimm«, meint er und macht wieder zu: »Schlimm!«

      Ich mache eine tragische Miene.

      »Ja, schlimm. Es ist immer schlimm, wenn ein Mensch sich was antut.«

      »Da hat die Psychiatrie wieder einmal versagt.«

      Okay, ich verstehe den Seitenhieb. Er hat es ja nicht bis zum Facharzt geschafft.

      »Und wer war der Gutachter?« Oh je, das war zu forsch. Ich dürfte gar nicht wissen, dass da ein posthumes Gutachten gemacht wurde.

      »Hm, das darf ich nicht sagen, Amtsgeheimnis, leider.«

      »Kein Problem, spielt ja keine Rolle. Hätte mich nur interessiert, ich meine fachlich, was meine Kollegin dazu meint.«

      »Kollege …«

      »Ach so. Eindeutig Selbstmord? Kein Zweifel?«

      »Kein Zweifel, aber wie gesagt, Datenschutz …«

      »Wenn Sie mitpublizieren, auch?«

      »Ich kann mich vom Amtsgeheimnis in dringlichen Fällen befreien lassen. Müsste man ansuchen. Ist aber langwierig, schwierig …«

      »Verstehe. Nur bei Dringlichkeit. Ist der Fall Katz dringlich? Versicherungstechnisch, meine ich.«

      »Wie kommen Sie darauf?«

      »Nur so, bei Suizidgutachten ist ja oft eine Versicherung der Auftraggeber.«

      »Gutachterlich gibt es keinen Zweifel an der Selbsttötung. ICD F31.5.«

      »War die Tote in stationärer Behandlung? Ich meine, kurz vorher?«

      »Ich habe schon zu viel gesagt. Sie verstehen, Datenschutz. Stationär, ja.«

      Das habe ich nicht erwartet. Sabine Katz war also schon in einem psychiatrischen Krankenhaus. Michael hatte doch recht, wenn er meinte, dass mein Bauchgefühl einem Richter nicht als Beweis dienen würde. Okay, das war’s dann. Dann brauche ich mir auch keine Gedanken mehr über Würzls Co-Autorenschaft zu machen. Die Katz ist einfach nur ein Fall für meine Suizidforschung. Die Krankengeschichte kann ich selber auf der Baumgartnerhöhe ausheben lassen. Ich stehe auf, stelle die Tasse auf Würzls Schreibtisch, strecke ihm meine Hand hin, die er verwirrt ergreift, und verabschiede mich.

      »Danke, war sehr aufschlussreich. Auf Wiedersehen.«

      Würzl schluckt, erhebt sich aus seinem Bürosessel und will mich aufhalten. Aber ich bin schon bei der Tür draußen.

      »Hm, Frau Dr. hm, Spanner, hm Lieb …«

      Als ich die Treppe hinunterrenne, nehme ich zwei Stufen auf einmal, nur weg von diesem Waterloo. Der Anblick eines Fahndungsfotos, das an der Wand gegenüber dem Stiegenaufgang hängt, bremst mich ein.

      Ein unscharfes Bild, offenbar mit dem Handy gemacht, das einen Mann von hinten zeigt, der einen weiblichen Körper über seine Arme gelegt trägt. Unter dem Foto steht:

      »Wer kennt diesen Mann oder diese Frau? Am 7.6.2013 knapp nach 6 Uhr wurde diese Person dabei beobachtet und fotografiert, wie sie einen weiblichen Körper am rechten Donaukanalufer unterhalb der Brigittenauer Brücke entweder aus dem Wasser gezogen oder ins Wasser geworfen hat. Sachdienliche Hinweise an die Polizeidirektion Wien, Frau Oberinspektor Sacherl.«

      Am 7. Juni? Am 7. Juni? Das war doch drei Tage, bevor die Katz gefunden wurde. Und noch dazu früh morgens? Und Hochwasser?

      Ich triumphiere, denn mein Bauchgefühl könnte recht behalten. Beweis hin oder her, auf die Intuition kommt es an und auf die Freude am Psychopuzzle.

      Ich muss Erika Sacherl anrufen. Erika hebt nicht ab, klar Schulung. Ich simse:

      »Muss treffen bring. A.«

      Kurz darauf vibriert mein Handy: »Was heißt bring?«

      Ach Gott, die blöde Worterkennung. Ich werde es nie schaffen, ein fehlerloses SMS zu schreiben. Mühselig tippe ich Buchstaben für Buchstaben ein: »Brioni.«

      »Super, wann?«

      »Beneide.« Schon wieder! Bevor ich wieder ein »Was heißt« bekomme, schaffe ich es »abends« zu tippen.

      »19h?«

      »Ok.«

      Ok schreibt mein Handy ohne Fehler. Klar, ist ja auch kein Schriftdeutsch. All die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten, wie das Handy, bringen uns nur den Untergang der Sprachkultur, meint zumindest meine Mutter. Darum lehnt sie Handys apodiktisch ab. Sie meint, dass wir uns bald nur mehr in Kürzeln unterhalten werden: Okay, grins, brr, hm, ha, holla usw. Auch die medizinischen Diagnosen werden abgekürzt: PSD; ADHS; PAVK … Ich heiße ALS (Alma Liebekind-Spanneck), aber ich könnte auch Amyotrophe Lateralsklerose, eine neurologische Erkrankung, an der man innerhalb von sieben Jahren stirbt, heißen. Um ein Zeichen gegen diese Unkultur zu setzen, ist Mutter Mitglied eines Blogs im Internet, wo sie Witze aus dem Deutschen ins Lateinische übersetzt. Sie ist überzeugt, dass sie damit einen erzieherischen Akt setzt, der die elektronische Sprachwüste mit humanistischem Gedankengut bewässert. Zwar richtige Worte, die aber ebenfalls keiner versteht.

      In meiner Ordination angekommen, nervt meine Mutter mich sofort. Diesmal beschwert sie sich, dass ich nie abhebe.

      »Hast du angerufen?«

      »Musste ich doch, ich weiß, dass du immer