»Grüß Gott, bitte schön …«
»Hallo, … ich, hm …«
»Fein, dass Sie gekommen sind, ich habe schon mehrmals versucht, Sie telefonisch zu erreichen.«
»Eigenartig, bei mir am Telefon habe ich nichts gesehen.«
»Ich habe bei der gleichen Nummer wie das letzte Mal angerufen. Egal, Sie sind ja jetzt da.«
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht gesagt habe, dass Sabine schon in Behandlung war. Aber ich dachte, dass Sie ihren Fall dann nicht weiter verfolgen würden.«
»Da haben Sie recht. Ich habe für Sie herausbekommen, wer der Gutachter der Versicherung war.«
»Danke. Sie müssen mir glauben, Sabine war nicht krank. Sie war ein fröhlicher Mensch.«
»In ihrer Krankengeschichte steht, dass sie sich verfolgt fühlte. Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Ja, sie hat einmal gesagt, dass sie das Gefühl hätte, beobachtet zu werden.«
»Und? Wer sollte das sein?«
»Das wusste sie nicht. Sie hat nur gemeint, dass sie mehrmals einen Mann bemerkt hat, der hinter ihr herging. Und dass sie vom Fenster aus bemerkt hat, dass ihr Haus fotografiert wurde.«
»Aber Sie sagten doch, dass Sabine keine Feinde hatte.«
»Stimmt, deshalb war sie ja so verunsichert.«
»Wissen Sie, wie sie zum Vater ihrer Tochter stand?«
»Ich weiß nicht, wer er ist, und ich bin sicher, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihm hatte.«
»Könnte es sein, dass dieser Mann, wie soll ich sagen, dass der, na ja, dass der sie verfolgte, weil er …?«
»Keine Ahnung.«
»Ich meine, es gibt viele Männer, die eine Trennung nicht verkraften.«
»Darüber hat sie nie gesprochen. Sie wollte ja auch nicht, dass Piechen – meine Enkelin – je erfährt, wer er ist.«
»Sie scheint nicht viel vom Kindesvater gehalten zu haben.«
»Das ist sicher so. Vielleicht war er auch nur ein One-Night-Stand. Ich kenne ihn nicht.«
»Kann es sein, dass es irgendein Kollege von ihr, ein Schauspieler, war?«
»Möglich. Können Sie mir jetzt den Namen des Gutachters sagen?«
»Es ist Herr Dr. Würzl. Polizeiarzt.«
Frau Katz springt vom Sessel auf.
»Kennen Sie ihn?«
Sie marschiert unruhig vor meinem Schreibtisch hin und her.
»Der Würzl ist ein Bekannter meines Lebensgefährten. Er macht manchmal Gutachten für ihn.«
»Wieso? Was macht Ihr Lebensgefährte?«
»Er ist Versicherungsagent.«
»Und die Lebensversicherung? Ist die von ihm?«
»Ja, er hat gemeint, dass es gut wäre, wenn Sabine eine zugunsten der Kleinen abschließen würde. Zur Sicherheit.«
»Na bravo! Das ist ja interessant.«
»Ich muss mit ihm reden.«
»Mit dem Würzl brauchen Sie nicht zu reden, der wird Sie nicht empfangen.«
Frau Katz schüttelt den Kopf: »Nicht mit ihm, mit Herwig.«
»Ihrem Freund?«
Die Augen der Katz werden wässrig, sie versucht Haltung zu bewahren. Sie unterdrückt ihre Tränen, gepresst meint sie: »Besonders gute Konditionen hat er Sabine gemacht …«
Ich werde nicht weiter in sie dringen, denn mit der Enttäuschung über ihren Liebhaber muss sie selber fertigwerden. Was sagt Mutter immer: »Amor facit caecus!«
»Ich hätte noch eine Bitte: Können Sie mir eine Liste der Theater schicken, an denen Sabine zuletzt gespielt hat?«
Frau Katz nickt.
»Mach ich. Per Mail, die Links?«
»Ja, bitte, das wäre mir am liebsten. Hier ist meine Karte, da steht alles drauf.«
Ich komplimentiere sie aus meinem Sprechzimmer, denn auf meinem Display erscheint folgendes Insert: »Wartezimmer platzt und ich auch bald, wenn du dich nicht beeilst.«
Ich gebe ihr noch die Hand und öffne die Tür: »Alles Gute! Wenn Sie was brauchen, Sie haben ja meine Nummer.«
Das ist wirklich ein Hammer, der Liebhaber der Mutter verrät die Tochter. Womöglich steckt er auch noch hinter der Einweisung auf die Psychiatrie? Und hat den Würzl dafür bezahlt, dass der ihm eine hieb- und stichfeste Begründung liefert, dass im Falle des Falles die Versicherung nicht bezahlt werden muss. Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass Versicherungen Verträge abschließen, von denen sie im Vorhinein wissen, dass sie nie zur Auszahlung kommen werden, da im Nachhinein die Bedingungen nicht erfüllt sind. Wie viele Zusatzversicherungen mussten keine Spitalskosten übernehmen, da die Versicherungsnehmer nicht wussten, dass ein Ausschließungsgrund, zum Beispiel eine chronische Krankheit, vorliegt?
Gauner! Gauner! Gauner!
Mein Arbeitsnachmittag zieht sich. Da ich durch die Katz aufgehalten wurde, bin ich stark im Zeitverzug und kann nicht einmal Erika anrufen, um sie zu bitten, dass sie mir eine Kopie des Fahndungsfotos mit dem Frauenkörper schickt. Irgendwie bin ich immer noch überzeugt, dass diese Person Sabine ist und der Mann ihr Mörder. Der Kindesvater? Eifersucht? Rache? Aber auch der Freund ihrer Mutter scheint mir nicht ganz koscher. Die These, dass Sabine keine Feinde hatte, scheint so nicht zu stimmen. Wie so oft wünscht man sich eine heile Welt! Und den Selbstmord kann ich realistischerweise auch nicht ausschließen.
Um Punkt vier machen Mutter und ich immer eine Pause, geschehe, was da wolle. Das heißt, Mutter zwingt mich zur Pause und zu einem Kaffee, den sie mir mit oder ohne Kuchen in mein Sprechzimmer bringt. So auch heute, wie immer. Draußen warten die verärgerten Patienten. Es ist immer das gleiche Ritual. Sie deckt zwei Sets auf meinen kleinen Beistelltisch, der vor meinem Sofa steht. Darauf platziert sie die Tassen. Die Kanne kommt auf ein extra Set. Falls es Kuchen gibt – heute Marillenstrudel –, wird noch ein Untersetzer auf den Tisch gelegt, denn es könnten sich Ränder auf der Tischplatte bilden. Ich habe ihr schon x-mal erklärt, dass das Tischchen nur von Ikea ist und aus Resopal, also wasserfest und mit einem Entsorgungsablaufdatum. Das geht ihr aber nicht mehr in den Kopf.
»Wir achten auf die Form, denn diese gibt uns einen Rahmen für unser Schaffen«, erklärt sie mir. Und die Form bestimmt natürlich sie.
Heute deckt sie besonders bedeutungsvoll und ich nehme an, dass sie mir eine wichtige Mitteilung, sprich einen unerwünschten Rat, zu machen hat.
»Ich kann deine Gedanken lesen«, erklärt sie mir, »du hast da was mit der Katz. Ich habe die Krankengeschichte studiert, das ICD gefällt mir auch nicht. Dir auch nicht?«
Ich seufze, ich habe keine Zeit, Mutter lange Erklärungen abzugeben. Ich versuche es kurz: »Sie hat sich am 7. Juni ertränkt.«
»Wer sagt das?«
»Die Polizei.«
»Und du, sagst du das auch?«
»Ja.«
»Eben nicht! Ich kenne dich, du hast ein Haar in der Suppe gefunden, oder?«
»Mama, ich kann mich jetzt nicht mit langen Erklärungen aufhalten, ich erzähle es später.«
»Gut, hier ist der Strudel.«
»Danke, aber ich möchte ihn erst, wenn ich fertig bin, essen. Draußen staut