Erika schaut mich böse an.
»Wir hatten doch ausgemacht, dass wir im Brioni niemals über Leichen sprechen werden, außer, wie wir unsere Liebhaber beseitigen würden.«
»Ich weiß, es tut mir leid. Aber es ist eine Ausnahme, ich schwöre.« Ich hebe meine rechte Hand zum Schwur.
»Die Linke auf den Tisch!«
Ich lege meine linke Hand gehorsam auf den Tisch. Das Kreuz hinter meinem Rücken habe ich schon vorher gemacht. Lügen kann ich noch immer nicht ohne schlechtes Gewissen – die katholische Schule lässt grüßen.
»Also gut, aber nur zehn Minuten. Ich lasse mir von dir nicht diesen Abend versauen.«
Erika zündet sich die nächste Zigarette an, ein Zeichen, dass sie sich ihre Laune verbessern möchte. Nikotin setzt im Gehirn nämlich Glückshormone frei. Ein Flash aus Serotonin, Dopamin und Endorphinen versetzt den Nucleus accumbens in einen Miniorgasmus (mental allerdings), der leider nur kurz anhält, da die Botenstoffe gleich wieder abgebaut werden. Drum braucht das Raucherhirn gleich wieder Nachschub.
»Kann ich den Akt haben? Dann brauchst mir gar nichts erzählen.«
»Da ist nicht viel da. Ein angeblicher Fischer …«
»Wieso angeblich?«
»Na, der hat bei diesem Hochwasser doch nach was anderem gefischt, als nach Fischen …, Spanner, nehme ich an.«
»Sagst mir, wie er heißt?«
»Nicht im Traum. Ich bin die Kommissarin, nicht du.«
»Ich glaube, ich weiß, wer die Tote vom Foto ist.«
»Und ich weiß, dass dir wieder einmal deine Fantasie durchgeht. Wer sagt außerdem, dass die tot ist? Die haben geschnackselt.«
»Die Frau auf dem Foto heißt Sabine Katz.«
»Interessant. Wer ist das?«
»Ihre Leiche wurde am 10. Juni bei der Strandbar Herrmann angeschwemmt. Und sie hat sich angeblich am 7. Juni ertränkt. Angeblich …«
»Na und?«
»Na, am 7. wurde dieses Foto gemacht, steht am Fahndungsbild, Frau Kommissar.«
»Oje, schon wieder eine Selbstmörderin, die ›ermordet‹ wurde.«
»Bitte, Erika, bitte geh dem nach … Ich habe mit der Mutter der Katz gesprochen, die schließt einen Suizid aus.«
»Das tun die Verwandten immer, sonst müssen sie sich ja Vorwürfe machen. Wer hat den Akt?«
»Würzl.«
»Okay, ich tu’s, damit du endlich einmal einsiehst, dass die Realität und deine Fantasie zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Versprichst du mir was?«
Ich lege die linke Hand auf den Tisch und schwöre mit der rechten. Unter dem Tisch verkreuze ich die Beine.
»Alles …«
»Bitte schreib deine Gerichtsgutachten, aber spiel dich nicht als Detektivin auf.«
»Ich schwöre!«
»So, und wann besuchst du die Erni wegen der D & G-Jacke?«
Auch ohne Detektivin zu sein, bin ich mir sicher, dass die Erika Prozente von ihren Second-Hand-Tandlern bekommt.
»Wenn du dir den Akt Katz durchgelesen hast …«
Als ich zu Hause beschwingt die Tür aufsperre, erwartet mich Michael. Zuerst bin ich gerührt, dass er den ganzen Tag aus Liebe auf mich gewartet hat, doch dann schießt es mir durch den Kopf: Ich habe ihn morgens eingeschlossen. Wie rette ich mich aus dieser Situation? Spannung liegt in der Luft. Michael setzt zum Angriff an, zu Recht. Aber ich möchte mich nicht entschuldigen. Ich tue so, als wenn nichts wäre. Ich falle ihm um den Hals und küsse ihn, dass ihm die Luft wegbleibt. Er versucht mich wegzudrücken, aber ich sauge mich an seinen Lippen fest, dass er gar nichts sagen kann. Dabei drücke ich mich ganz eng an seinen Unterleib. Das wirkt auf Männer doch immer besänftigend, vor allem, wenn sie erst Mitte dreißig sind. Er weicht mir aus, obwohl ich zusätzlich handgreiflich werde.
»Lass das …«
Ich tue erstaunt.
»Was hast du? Ich war mit der Erika was trinken, nur wir beide, kein Mann.«
»Stell dich nicht so blöd.«
»Ich verstehe nicht …«
»Du hast mich eingesperrt.«
»Wieso?«
»Du hast mich in deiner Wohnung eingeschlossen, ich konnte nicht weg.«
»Oh Gott, das tut mir leid. Hast du Hunger?«
»Das auch, aber ich habe meinen wichtigen Termin mit einem Verleger versäumt.«
»Hm? Wieso hast du nicht angerufen?«
»Du … hast … dein … Handy … hiergelassen.«
»Dann hättest du in der Ordination von meinem Handy aus anrufen können. Oder von deinem …, dem Alma-Handy.«
»Dein Handy war ausgeschaltet.«
Ich versuche mich zu erinnern, ob ich das Handy irrtümlich ausgeschaltet habe, als ich die unbekannte Nummer am Display gesehen habe. Kann sein. Ich war hektisch.
»Und deines?«
»Kein Akku mehr …«
Ich schaue schuldbewusst und strecke ihm meine Hände entgegen.
»Es tut mir leid. Bist du sehr hungrig?«
Michael nickt. Dann lacht er.
»Du verdienst eine Tracht Prügel!«
Er versucht, mich über das Knie zu legen. Ich renne durch die ganze Wohnung, er hinter mir her. Dabei streife ich einen Blumenstock mit meiner Handtasche, die ich noch immer nicht weggelegt habe, von einer Konsole. Der Übertopf aus Porzellan zerspringt und die Erde verteilt sich auf dem Parkettboden. Aber das ist mir auch egal. Michael hat mich erwischt und zerrt mich zum Sofa, wo er mich quer über seinen Schoß legt. Ich tue so, als ob ich mich wehren würde, als er mir auf den Hintern klopft. Mir wird ganz heiß unter seinen Händen. Immer heißer, ganz heiß, als er mir die Hosen hinunterschiebt, und am heißesten, als er sie ausgezogen hat. Was dann passiert, ist die logische Folge, wenn Mann und Frau engen Körperkontakt haben. Vielleicht sollte ich Michelangelo nächste Woche wieder unabsichtlich einsperren?
Als ich am nächsten Morgen aufwache, sitzt Michael an unserem Bett und serviert mir Kaffee und ein Marmeladebrot. Verschlafen küsse ich ihn auf die Wange und stehe auf. Ich nehme ihm das Tablett ab und trage es ins Esszimmer. Er folgt mir.
»Was machst du da?«
»Ich mag keine Brösel im Bett …«
Michael seufzt: »Dir kann man es nie recht machen.«
»Außerdem habe ich es eilig.«
Ich stopfe das Brot in meinen Mund und spüle mit Kaffee nach. Währenddessen sammle ich meine Kleider zusammen und beginne mich schon anzuziehen. Michael steht kopfschüttelnd da, weil ich leider die Erde vom Vorabend durch die ganze Wohnung verteile. Er deutet auf den Boden: »Diese Schweinerei hast du gemacht. Das war nicht ich, alles klar?«
Ich nicke mit vollem Mund und würge das Frühstück hinunter. »Könntest du das bitte saubermachen? Ich bin viel zu spät.«
»Nur, wenn du mir nie mehr vorwirfst, dass ich der Chaot von uns beiden bin.«
»Verspreche ich! Du bist kein Chaot.«
Ich fahre mir mit beiden Händen durch die Haare, um mich zu stylen, das muss für heute Vormittag reichen. Michael steht mit meinem Handy in der Hand vor der Tür und wirft es mir in die Handtasche.
»Vergiss es nicht.«
Ich