Abgetaucht. Constanze Dennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Constanze Dennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902998132
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bin ich bestens ausgebildete Psychotherapeutin, die von Psychotherapie gar nichts hält, außer man benützt sie als Religion. Dazu taugt sie, und Freud ist der liebe Gott. Da ich Atheistin bin, kann ich nicht einmal an den heiligen Sigmund glauben.

      Meine Qualitäten als Psychiater liegen in der wohldosierten Verschreibung von Medikamenten, da kenne ich mich aus. Wenn mir irgendwelche Patienten, meist Frauen, mit der Homöopathie kommen, dann stelle ich sie vor die Wahl: glücklich und vergiftet oder unglücklich und unvergiftet. Das ist ehrlich und spiegelt niemandem vor, dass ich mich auf esoterische Spielchen einlasse.

      So, endlich geht’s los. Ich stürze mich in den Unglücksbrei meiner Lebensdilettanten. Da ich eine Privatordination führe, ist das Unglück der meisten Patienten ein Luxus, den nur sie sich als Privatpatienten leisten können. Was aber nicht heißt, dass sie weniger verzweifelt sind als Leute, die berechtigt am Leben leiden. Unsere moderne Gesellschaft hat sich gar viele psychische Krankheiten einfallen lassen, die früher unter Varianten der Befindlichkeit, der Intelligenz oder der Melancholie gefallen wären. Das macht das boomende Psychogeschäft, in dem jede gelangweilte Hausfrau irgendwann zur Therapeutin wird. Wer sollte sich behandeln lassen, wenn er nicht eingebläut bekäme, dass er gemobbt, outgeburnt, gestalkt würde? Jedem Tierchen eine Diagnose oder zwei. Davon profitiere auch ich in meiner Privatordination, denn es ist sicher angenehmer, Burn-out-Opfer zu behandeln, als tobende Junkies. Außerdem empfinde ich es als meine Pflicht, jeden Leidenden, sei das Leiden auch noch so subjektiv, ernst zu nehmen.

      Schon während mein erster Patient, auch ein Mobbingopfer, seine Probleme schildert, schweifen meine Gedanken zu Sabine K. ab, laut gerichtsmedizinischem Befund: Sabine Katz, geb. 21.4.1986, also zum Zeitpunkt des Todes siebenundzwanzig Jahre alt. Ich kann mich nicht beherrschen. Ich weiß, es ist unerhört, aber ich muss sie während der Therapiestunde googeln: Fotos von Sabine Katz, Schauspielerin, abgelichtet in verschiedenen Rollen, an verschiedenen Theatern. Die Frau interessiert mich. Ungeduldig warte ich die halbe Stunde, die mich mein Mobbingopfer laut dem Leistungskatalog der Krankenkasse anlabern darf, ab. Erstaunlicherweise bestehen die meisten Privatpatienten auf einer kassenkonformen Abrechnung, damit sie die lächerlich geringe Refundierung ihrer Sozialversicherung, trotz enormen administrativen Aufwands, bekommen.

      Als der Patient draußen ist, packe ich die Obduktionspapiere aus und suche in der Rubrik »Angehörige« nach einer Adresse von Sabines Verwandten. Da steht ihre Mutter. Ich rufe die Nummer an, eine Frau hebt ab:

      »Katz.«

      »Hallo, hier Dr. Liebekind-Spanneck. Ich wollte Sie fragen, ob ich vorbeikommen kann. Ich bin Psychiater und schreibe eine wissenschaftliche Arbeit über Selbstmord.«

      »Sabine hat sich nicht umgebracht …«

      »Das wollte ich mit Ihnen besprechen, genau das!«

      »Wir wollen unsere Ruhe, bitte.«

      Die Frau legt auf. Den restlichen Nachmittag kann ich mich nur mehr schwer auf meine anderen Patienten konzentrieren. »Sabine hat sich nicht umgebracht …«, hat sie gesagt. Eltern, die sich den Tatsachen verschließen, um keine Schuldgefühle zu haben?

      Der Selbstmord eines Angehörigen verursacht unter den nahestehenden Verwandten schwere Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, den Tod nicht verhindert zu haben. Die werden auch Sabines Eltern haben, deshalb die Leugnung des Selbstmordes: »Es darf nicht sein, was nicht sein darf.« Selbstmörder sind egoistische Monster, die ihre Umgebung mit zerstören.

      Als die letzte Patientin versorgt ist und ich mich durch eine Ausrede aus Mutters Abendprogramm herausgeschwindelt habe – ich treffe noch Michael – verlasse ich die Praxis im Eilschritt. Mutter findet zwar, dass Michael nicht der richtige Mann für mich ist (»Er kann dich nicht versorgen …«), aber angesichts der Tatsache, dass ich schon überstandig bin, findet sie, er sei besser als keiner.

      Ich sage mir zwar, dass es dreist ist, trauernde Eltern am Abend zu belästigen, aber die Trauer wird am nächsten Morgen auch nicht weniger sein. Außerdem müssen sie mir ja nicht öffnen. Egal, ich will die Leute kennenlernen.

      Ist es so, dass ein schöner Mensch, wie Sabine K., größere Neugierde in mir hervorruft als ein hässlicher? Würde ich am Leben einer achtzigjährigen Frau auch so interessiert sein? Nein, ich würde keine weiteren Erkundigungen einholen, außer es hätte sich um Marlene Dietrich gehandelt. Jugend und Liebreiz sind selbst post mortem noch reizvoller als Alter und Runzeln.

      Wieder U-Bahn, diesmal charmant angefüllt mit der hoffnungsvollen Zukunft unserer Stadt, die gepierct und tätowiert, die weibliche zusätzlich mit naildesignten Fingernägeln in Adlerkrallenlänge, vorgeglüht Richtung Megadisco fährt. Immerhin erscheinen sie lebensfroh, zumindest was die Lautstärke betrifft.

      Sabines Eltern leben in Kagran, da, wo die Wiener Mittelschicht sich ein Domizil in einer Reihenhaussiedlung leisten kann. Die Lieblgasse ist menschenleer. Um diese Zeit sitzt man vor dem Fernseher und schaut Zeit im Bild. Ich läute an der Gartentür der Familie Katz. Erstaunlicherweise surrt der automatische Türöffner und ich kann den Vorgarten betreten. Eine Frau in meinem Alter, Mitte vierzig, flott gekleidet, attraktiv, steht in der Eingangstür. Die Ähnlichkeit mit Sabines Fotos auf den Internetseiten ist verblüffend. Auch den Altersunterschied sieht man kaum. Die Mutter muss sehr jung gewesen sein, als Sabine auf die Welt kam.

      »Grüß Gott, Dr. Liebekind-Spanneck, ich habe heute angerufen wegen meiner wissenschaftlichen Arbeit, die ich gerade schreibe. Ich wollte Sie noch etwas über Ihre Tochter Sabine fragen …«

      »Kommen Sie herein. Ich habe mich über Sie erkundigt.«

      »Aha, und was haben Sie über mich in Erfahrung gebracht?«

      »Dass Sie nicht so eine sind …«

      »Was für eine?«

      »So eine wie die anderen Psychiater. Deshalb könnte es sein, dass Sie mir glauben, dass sich Sabine nicht selber umgebracht hat.«

      »Ich will alles über Ihre Tochter wissen.«

      Sabines Mutter begleitet mich ins Wohnzimmer. Ich glaube, wir sind uns sympathisch. Auf einer Wohnlandschaft ruht ein Mann, wohl der Gatte von Frau Katz. Sabines Vater, schließe ich. Ich gebe ihm die Hand:

      »Schönen Abend, Herr Katz. Liebekind-Spanneck.«

      »Hm? Hallo … Bin ich nicht …, nicht Herr Katz.«

      Der Vater ist er also nicht, er wirkt auch mäßig interessiert an meinem Besuch. Frau Katz deutet mir, ihr zu folgen.

      »Wir setzen uns in die Küche, da höre ich auch die Kleine besser. Sie schläft schon.«

      Das wusste ich nicht. Gibt es da eine Waise? Umso schlimmer.

      Frau Katz serviert mir ein Glas Wasser, während ich mein Tablet öffne.

      »Stört es Sie, wenn ich mir Notizen mache?«

      »Notieren Sie ruhig. Sabine hat sich nicht umgebracht. Sie war eine sehr vergnügte Frau. Sie war glücklich mit ihrer Tochter.«

      »Wie alt ist das Kind?«

      »Pia ist drei Jahre.«

      »Und der Vater?«

      »Wissen wir nicht, Sabine wollte ihn nicht bekannt geben. Ich habe das respektiert.«

      »Mhm …«

      »Sie glauben mir nicht? Ich habe das wirklich respektiert. Sabine wusste auch nicht, wer ihr Vater ist. Deshalb steht es ihr ebenfalls zu, Piechens Vater nicht zu nennen.«

      »Ich habe nichts gesagt.«

      »Sie schauen skeptisch.«

      »Man kämpft immer mit seinen Vorurteilen. Das ist es.«

      »Sie sind wenigstens ehrlich.«

      »Ja, das Vater-Mutter-Kind-Schema ist schwer aus dem Kopf zu kriegen, auch bei einem Psychiater.«

      »Psychiaterin.«

      »Psychiater, no gender, ein Beruf, aus.«

      »Okay.«