Abgetaucht. Constanze Dennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Constanze Dennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902998132
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      »Bei dieser Mutter und Großmutter …«

      »Sie brauchen nicht zu schmeicheln, ich erzähle Ihnen auch so alles. Ich zeige Ihnen was.«

      Frau Katz setzt sich neben mich.

      »Darf ich?«

      Sie dreht das Tablet zu sich und tippt etwas darauf ein. Auf YouTube sind Ausschnitte aus verschiedenen Theaterproduktionen, in denen Sabine mitgespielt hat, zu sehen. Frau Katz ist stolz auf ihre Tochter. Sie klickt von Video zu Video weiter, während sie die Szenen kommentiert.

      »Da wurde sie sogar im Standard erwähnt und da hat sie ein Filmproduzent gesehen. Er wollte sie unbedingt, aber Sabine konnte nicht, da sie gerade einen Vertrag bei einer Puppenproduktion unterschrieben hatte. War blöd von ihr, da vertragstreu zu bleiben. Aber so war sie, immer ehrlich. Zu ehrlich für diese Branche und zu naiv.«

      »Was meinen Sie damit?«

      »Na, dass sie ausgenutzt wurde. Mir hat sie ja nie viel erzählt, weil sie wusste, dass ich froh gewesen wäre, wenn sie etwas anderes gemacht hätte. Ich bin sicher, dass sie oft hineingelegt wurde.«

      »Haben Sie einen Verdacht, von wem?«

      »Nein, niemand bestimmter. Ich denke, dass alle Theater- und Filmmenschen zuerst an sich denken und dann erst an ihre Versprechungen. Der Markt ist eng und jeder schaut, dass er überleben kann.«

      »Und Ihre Tochter war nicht so egoistisch?«

      »Nein, leider nein. Sie hätte das letzte Hemd für ihre Freunde gegeben. Mein Fehler, ich hätte sie anders erziehen sollen. Aber umgebracht hat sie sich sicher nicht.«

      »Wer behauptet eigentlich, dass sie Selbstmord begangen hat? Ist der Fall nicht untersucht worden?«

      »Die Polizei und die Lebensversicherung, vor allem ihre Versicherung. Sabine hatte eine Lebensversicherung für Piechen abgeschlossen. Meistens musste ich mit Geld für die Prämien aushelfen, da es sich bei ihr nicht ausging. Aber sie wollte, dass Piechen versorgt ist und ich auch.«

      »Oh je! Die Versicherung versucht, sich vor dem Zahlen zu drücken?«

      »Genau, bei Selbstmord gibt es kein Geld.«

      »Aber das kann doch nicht sein, das müssen die doch beweisen.«

      »Tun sie auch. Es gibt ein Gutachten eines Ihrer Kollegen, wo er im Nachhinein feststellt, dass es Hinweise für eine erhöhte Suizidalität bei ihr gab. Dabei kannte er sie gar nicht.«

      »Schweinerei. Wie heißt der Kollege?«

      »Anonym, scheint nur in den Polizeiakten mit Namen auf. Vielleicht kriegen Sie raus, wie er heißt?«

      »Ich werde mich darum kümmern. Aber, wenn es nicht Selbstmord war, was war dann die Ursache?«

      »Ich vermute einen Unfall, ausgerutscht oder so. Sabine ging dreimal die Woche, immer Montag, Mittwoch und Freitag frühmorgens, so um sechs herum, am Donaukanal joggen. Da schlief Piechen immer bei mir.«

      »Und ein Verbrechen?«

      »Das schließe ich aus. Sabine hatte keine Feinde, alle Menschen haben sie geliebt.«

      »Ich meine einen Fremden, der ihr aufgelauert hat. Am Donaukanal, in der Früh …«

      »Glaub ich nicht, Sabine konnte sich wehren. Ich habe sie schon als Kind zum Judo geschickt. Sie hatte den schwarzen Gürtel.«

      »Ja, unwahrscheinlich. Laut Obduktionsbericht gab es ja auch keine Hinweise für eine Gewalteinwirkung oder einen Kampf.«

      »Ich möchte nur, dass Piechen zu ihrem Recht kommt.«

      »Ich verspreche Ihnen, dass ich den Namen des Gutachters herausbekomme. Außerdem werde ich mir sein Gutachten durchlesen. Ich habe meine Kontakte.«

      Frau Katz verzieht ihren Mund zu einem dankbaren Lächeln.

      »Wie Sie schon sagten, ich bin nicht ›so eine‹.«

      Ich stehe auf, um zu gehen. Frau Katz begleitet mich noch zur Tür.

      Der Mann auf der Wohnzimmercouch – also nicht Sabines Vater, wahrscheinlich auch nicht der Ehemann von Frau Katz, weil ja Mutter und Tochter denselben Namen haben – würdigt mich keines Blickes. Ich verabschiede mich laut von ihm: »Schönen Abend noch.« Als Antwort bekomme ich ein unverständliches Grunzen. Frau Katz entschuldigt ihn.

      »Er meint es nicht so, hat viel um die Ohren …«

      Na ja, mehr als seine Lebensgefährtin kann er wohl nicht um die Ohren haben, dieser Misanthrop. Ich sage mir, der Mann geht mich nichts an, und verbeiße mir einen Kommentar. Am Gartentor verabschieden wir uns:

      »Ich vertraue Ihnen. Schönen Abend!«

      »Ich verspreche Ihnen, ich tue, was ich kann. Auf Wiedersehen.«

      Am Weg zur U-Bahn-Station Rennbahnweg verwünsche ich alle Männer, die schlecht gelaunt auf dem Sofa liegen und ihre Frauen allein im Unglücksregen stehen lassen, so wie der von Frau Katz. Meiner tut das nicht. Deshalb rufe ich ihn an.

      Mir wäre jetzt nämlich noch nach einem abendlichen Absacker mit meinem vergnügten, unbekümmerten Mann, der die Leichtigkeit des Seins zu seinem Credo erhoben hat. Ich sehe es als Michaels Bestimmung, mich aus dem Sumpf der Trostlosigkeit zu ziehen! Wozu sonst habe ich einen jüngeren Liebhaber?

      Michael hebt nicht ab. So wie meistens. Handy verlegt, ausgeschaltet oder auf lautlos.

      Ich habe ihm dieses Handy geschenkt, damit ich ihn immer erreichen kann. Drum heißt es auch Alma-Handy. Michael mag keine Handys, denn er möchte sich nicht von Anrufern stören lassen. Er behauptet, das mache seine Konzentration kaputt. Lächerlich! In Wirklichkeit will er einfach nicht gestört werden, wenn er Siesta macht, Fernsehserien schaut oder am Computer spielt.

      Ich koche vor Wut. Heute mache ich Schluss, endlich.

      Ich steige in die U1, um nach Hause zu fahren. Gerade als ich beim Schwedenplatz in die U4 umgestiegen bin, ruft er zurück. Ich beherrsche mich, ihm nicht laut eine Szene via Handy zu machen, da ich mich vor den anderen Leuten in der U-Bahn geniere. Wäre wohl egal, denn es versteht mich wahrscheinlich sowieso niemand.

      »Lebst du noch?«

      »Wieso soll ich nicht leben?«

      Michael merkt an meinem Ton, dass ich sauer bin.

      »Bist du böse?«

      »Ich bin nicht böse, ich bemerke nur dein Desinteresse. Wieso hebst du nicht ab?«

      »Oh Gott, eine Szene …«

      »Ich habe dir extra das Alma-Handy gekauft, damit ich dich erreichen kann. Außerdem könntest du dich auch melden.«

      »Wir haben uns heute früh gesehen. What’s the problem?«

      »Ich wollte noch auf einen Aperolspritz, aber jetzt bin ich schon fast zu Hause.«

      »Ich komme schon. Was hast du?«

      »Du brauchst nicht zu kommen, wenn du nicht willst.«

      »Ich will aber, was hast du?«

      »Ich hatte einen schweren Tag. Du liegst den ganzen Tag herum und ich hackle mich zu Tode.«

      »Musst du ja nicht.«

      »Du verstehst gar nichts …«

      Aus, Verbindung beendet, entweder kein Empfang oder er hat aufgelegt. Heute mache ich Schluss, das ist fix.

      Vor meiner Wohnung in der Rembrandtstraße bekomme ich ein SMS: »Ich eile.«

      Das besänftigt mich ein wenig. Vielleicht mache ich heute doch noch nicht Schluss.

      Da die Putzfrau nicht gekommen ist, was mich immer sehr verärgert – sie hätte zumindest anrufen können –, raffe ich meine herumliegenden Klamotten und das benützte Geschirr zusammen, um mein Image als ordnungsliebende Frau aufrechtzuerhalten.