Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, atme tief durch, trage meine Tasse zu meinem Schreibtisch und setze mich dahinter.
»Danke Mama, aber ich warte lieber, bis er von selber kalt wird.«
»Davon wirst du aber auch nicht mehr schöner …«
Sie räumt beleidigt die Utensilien unseres Kaffeekränzchens auf ihr Tablett und verzieht sich. Den Marillenstrudel nimmt sie mit.
»Den wollte ich doch anschließend essen! Lass ihn da, bitte.«
»Wenn du mir nicht vertraust, dann brauchst du auch keinen Kuchen.«
»Maamaa …«
Es soll mir einer diese Logik erklären. Was hat der Kuchen mit Vertrauen zu tun? Und warum muss sie mich immer bestrafen, wenn ich meine Gedanken nicht nackert vor sie hinlege? Warum darf ich nicht wie andere Menschen etwas für mich behalten? Und wieso muss ich einen heißen Kaffee mit dem Löffel schlürfen?
Ich rufe in der Rezeption an: »Ich werde von kaltem Kaffee schöner!« und knalle den Hörer auf das Telefon. Gerade als die nächste Patientin mein Sprechzimmer betritt, bekomme ich das Mail von Frau Katz mit mehreren Links zu Off-Theatern, in denen Sabine gespielt hat.
Da werde ich mir gleich eine Vorstellung heraussuchen, um in diesem Umfeld zu recherchieren. Meine Wut auf meine Mutter hat sich ein wenig gelegt und um sie zu versöhnen, werde ich sie ins Theater einladen. Ich gehe nämlich nicht gerne allein ins Theater. Erstens wird Mutter darauf achten, dass wir heute ausnahmsweise die Ordinationszeit nicht überziehen, denn wenn sie ein Abendprogramm hat, sind wir immer pünktlich fertig, zweitens ist Theater meistens sowieso fad und drittens will ich in der Theaterbar mit jemandem über das Stück schimpfen können. Es gibt keine bessere Gefährtin als Mutter, wenn man über eine Inszenierung herziehen möchte. Immerhin war sie jahrzehntelang Statistin in der Oper und kennt sich aus.
Ich schicke ihr eine Nachricht ins Vorzimmer: »Gehst du mit mir heute ins Theater?«
»Heute kann ich nicht …«
»Glaub ich dir nicht, du willst mich nur hinhalten, weil du die beleidigte Leberwurst spielen willst.«
»Wenn du so mit mir redest, gehe ich schon gar nicht mit.«
»Entschuldige, Mami, ich dachte, du freust dich.«
»Na, gut, ich habe ein großes Herz.«
»Schaust du, dass wir es rechtzeitig schaffen?«
»Mach ich. Die zwei Alzheimer kann ich übernehmen.«
»Da kennst du dich aus …«
»Was soll das heißen? Ich habe noch keinen Alzheimer!«
»Nein, natürlich nicht. Ich meinte beim MMSE und Uhrentest.«
Ich bin froh, wenn sie die Tests macht. Mir sind die immer ein wenig peinlich. Es ist mir peinlich, Menschen, auch wenn sie dement sind, so blöde Fragen wie: »Was ist das?« zu stellen und dabei auf eine Uhr zu deuten. Es gibt immer wieder Patienten, die sich gefrotzelt fühlen. Diese Tests verlangt die Krankenkasse dafür, dass die teuren Medikamente bezahlt werden. Hat einer einen Punkt zu viel oder zu wenig, dann gibt es keine dieser Tabletten.
Zusätzlicher Aufwand für eine Diagnosestellung, die für einen erfahrenen Psychiater völlig unnötig ist. Als wenn man die geistigen Fähigkeiten in Zahlen fassen könnte.
Ich hatte recht, wir holen zeitlich auf. Ja, Mutter hat den Turbogang eingelegt. Ruckizucki sind wir durch. Sie muss sich ja noch schön machen fürs Theater. Ich weiß, sie wird auch im Kellertheater in einem Brokatkostüm mit Perlenkette und Handschuhen erscheinen. Angesichts ihres Alters darf sie das. Sie ist befreit vom Los der Lässigkeit. Sie darf ihr persönliches Abendkostüm wählen, während ich mit Mitte vierzig noch so tun muss, als ob ich jung wäre, und, um nicht aufzufallen, mit Jeans und T-Shirt hingehen muss. Um Kollegen von Sabine kennenzulernen, muss ich in deren Stil gekleidet sein, versteht sich.
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