Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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      Wir blickten einander an. Er war der erste, der seine Augen zu Boden schlug. Jetzt lächelte ich. Da verlor der kalte, kluge Herr seine Gelassenheit. Sein jesuitisches Prinzip vergessend, rief er: »Was wissen Sie von einen wahren Priester!«

      »Mein Herr!«

      Ich erhob mich.

      »Bleiben Sie und hören Sie mich!« raunte er mir zu. »Ich kenne Sie und Ihre Absicht. Sie wollen mir die Seele dieses Mädchens entreißen, sie ihrer Gottheit entreißen, einer Gottheit, die sich weder Ihnen noch jenem falschen Priester unten im Tal offenbart hat. Ich bin ihr Verkünder auf Erden, ihr Apostel, ihr Prophet. Dieses Mädchen muß auf mich hören! denn was wissen Sie von ihr. Sie, die Fremde, die Gottlose, wo sie mir, ihren Freund und Beichtiger, ein Rätsel bleibt. Aber ich werde sie kennen lernen und dann – –«

      »Von Ihrer Gottheit zermalmen lassen. Welch einen Zweck Sie dabei haben, vermag ich noch nicht zu erkennen; aber ich kenne die Mittel, die Sie anwenden, um zu Ihrem Zweck zu gelangen. Hüten Sie sich! Ich habe bis jetzt keine Rechte auf dieses Mädchen gewonnen, aber ich werde mir diese gleich heute dadurch zu erwerben suchen, daß ich sie vor Ihnen warne, sie und ihren Bruder. – – Ich bitte, mir aus dem Weg zu gehen.«

      Ohne ihn anzusehen, schritt ich an ihm vorüber der Hütte zu. Ich hörte ihn etwas murmeln und mußte denken: ob er wohl jetzt noch lächelt?

      Vor der Tür des Blockhauses stand Veronika regungslos und totenblaß. Als ich zu ihr trat, ergriff sie meine beiden Hände, die sie leidenschaftlich an die Lippen drückte. Ein erstickter Ausruf entrang sich ihrer Brust, sie schien vor mir niedersinken zu wollen. Plötzlich, ehe ich ein Wort finden konnte, war sie aufgetaumelt und fortgestürzt in den Wald hinein.

      »Veronika!«

      Ein wilder Ruf war die Antwort. Dann blieb alles still.

      Als sie nach längerer Zeit nicht wiederkam, ward ich um das leidenschaftlich erregte Mädchen ernstlich besorgt. Der Jesuitenpater war in die Hütte gegangen; ich hörte ihn drinnen ein Gebet deklamieren. Ein Gefühl des Widerwillens ergriff mich, daß ich mich, um dieser Theaterszene zu entgehen, weit vom Hause entfernte. Im Walde begegnete ich Alois, den ich hastig fragte, ob er Veronika gesehen?

      »Ist sie denn fort?« stieß der Bursche hervor.

      Ich konnte meine Unruhe nicht verbergen und forschte ihn aus, wohin das Mädchen wohl gegangen sein könne.

      »Ich glaube es zu wissen.«

      Er schritt mir voraus, immer tiefer hinein in den Wald, der beinahe einem Urwald glich. Das Brausen des Wasserfalles tönte immer näher und stärker. Bald sah ich über den dunklen Tannenwipfeln die Staube Wolken aufsprühen; nun standen wir dicht davor. Ich begriff nicht, wo wir hier die Gesuchte finden sollten.

      An der einen Seite der Felswand zog sich ein Herdenpfad empor. Diesen klimmte Alois hinauf, unbekümmert darum, ob ich ihm folgen könne ober nicht. Es gehörte ein ruhiges Auge dazu, um schwindelfrei in den Abgrund sehen zu können, in den sich donnernd der Gischtstrom stürzte.

      In ziemlicher Höhe wandte sich der Zickzack gerade dem Wasserfall zu. Ich blieb stehen: weiter konnten mir nicht! Doch mein Fühler schritt noch immer vorwärts.

      Dicht am Fall führte der Pfad in den Felsen hinein. Der Eingang zur Höhle war halb verdeckt von Kräutern und herabfallendem Gerank, welches hier unter dem ewigen Sprühregen des Gießbaches ein gar gedeihliches Leben führte.

      Ich eilte vor und blieb dann plötzlich stehen, von Grausen gleichsam gebannt, mich mit beiden Händen an Ranken und Gesträuch anklammernd, unmittelbar über den wütenden Wassern.

      Ich schloß die Augen, ich wankte. Da fühlte ich mich von zwei starken Armen gefaßt und vorwärts gezogen. Allmählich erkannte ich, wo ich mich befand: in einer hohen Grotte, die tief in den Felsen hineinführte. Der Wasserfall mußte sich über meinem Haupte befinden; er erfüllte die Höhle mit dumpfem Dröhnen. Alois, der noch immer meine Hände gefaßt hielt, neigte sich zu mir herab: »Sie ist da!«

      »Wo?«

      Er deutete auf einen Felsenvorsprung, hinter dem ein anderer Ausgang zu liegen schien. Ich winkte ihm zurückzubleiben und schritt vor über den schlüpfrigen Grund. Dann sah ich sie.

      Die Öffnung, welche die Höhle an dieser Stelle hatte, füllte der Wasserfall, der in weitem Bogen darüber hinwegstürzte, eine Wolke feuchten Nebels in die Grotte stäubend. Wie durch ein Kristallgewölbe sah ich das Tageslicht. Der gedämpfte Glanz fiel gerade auf das Haupt des Mädchens, welches an einem rohen Holzkreuz niedergesunken war. Den Kopf auf die Brust geneigt, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, trug ihre ganze Gestalt den Ausdruck eines Seelenschmerzes, der mich an Maria Magdalena erinnerte.

      »Veronika!«

      Natürlich konnte sie mich des donnernden Geräusches wegen nicht hören. Ich ging also zu ihr, die nichts von meiner Anwesenheit ahnte, kniete neben ihr nieder, umschlang sie mit beiden Armen. Mit einer Gebärde des Entsetzens fuhr sie auf, machte, halb besinnungslos eine Bewegung dem Abgrund zu, fühlte sich von mir festgehalten, blieb zuerst regungslos, am ganzen Leibe zitternd, sank dann hilflos wie ein Kind an meine Brust.

      Eine ganze Weile blieben wir so, Haupt an Haupt gelehnt. Ihr Körper zuckte in meinen Armen, ich fühlte ihr heftig pochendes Herz.

      Endlich raffte ich mich auf, hob die Willenlose sanft empor und führte sie in die Tiefe der Höhle hinein. Hier setzte ich mich auf einen Felsen und wollte sie an meine Seite ziehen. Aber sie warf sich vor mir nieder und verbarg ihr Gesicht in meinen Schoß. Ich wartete bis sie reden würde. Sie begann dann auch flüsternd in kurzen Sätzen, die Worte mühsam hervorstoßend.

      »Ich habe gehört, was er Ihnen gesagt hat. O, Sie kennen ihn nicht! Er ist ein fürchterlicher Mensch, ein Dämon: über wessen Seele er einmal Gewalt genommen, der hat keine eigene Seele mehr. Wer ihm gehorcht, muß einen Mord tun, wenn er es befiehlt. Für jedes Wort, das ich Ihnen sage, wird er mich Buße tun lassen; aber ich kann nicht anders, ich kann nicht! Ich habe niemand, zu dem ich reden darf. Mein Bräutigam, mein Bruder, mein Gott – zu keinem läßt er mich hin. Ich soll nur zu ihm. Er will mich einer großen Sache weihen. Was ist das! Mich packt Grauen davor, mich verzehrt Sehnsucht danach. Können Sie mir's nicht sagen? Sie, die Sie so gut sind, so rein, so – unglücklich. Sie, die eine große Künstlerin waren, Sie, vor der ich hinknien, zu der ich beten möchte – sehen Sie, so!«

      Sie hob ihr todblasses Antlitz, ihre beiden Arme zu mir auf und sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Die Dämmerung um uns, der Donner des Wasserfalles über uns, die Beichte, die mir abgelegt wurde – es war eine Szene voll unheimlicher Feierlichkeit.

      Ich sprach zu ihr. Mit tief geneigtem Antlitz hörte sie mich ruhig an. Als ich alles gesagt, was ich zu sagen hatte und sie schließlich bat, mich mit ihrem Bruder reden zu lassen, fuhr sie leidenschaftlich auf.

      »Nein, nein, kein Wort zu ihm! Es würde ihn nur noch unglücklicher machen und retten kann er mich doch nicht. Retten kann mich niemand. Jeder, der mich liebt, soll sich von mir abwenden. Ich bin meinem Schicksale verfallen.«

      »Aber der wackere Jüngling, der dich liebt, mit dem du verlobt bist!?«

      Sie antwortete nicht sogleich. Ein heftiger Kampf schien in ihr vorzugehen; dann setzte sie ihre Beichte fort.

      »Ich bin ihm gut gewesen, solange ich denken kann. Er dauert mich, denn er liebt mich sehr und wird sehr unglücklich werden. Ich kann ihm nicht helfen. Wenn ich jenem Manne noch immer nicht dahin gefolgt bin, wohin er mich führen will und wo ich meine große Sache – meine Mission, wie er es nennt – finden soll, so habe ich nur des armen Menschen wegen so lange gezögert. Jener weiß das auch. Das ist's ja, was er mir nicht vergeben will, weshalb er mich immer und immer wieder mahnt. Ich soll mein Herz mit jeder Faser von der Welt losreißen, eher bin ich nicht vorbereitet, nicht würdig genug für jenes fürchterliche, unbekannte Große, das ich aus seinen Händen von Gott empfangen soll. Von meinem Bruder hat er mich gelöst, daß ich gar kein Recht mehr besitze, in seinem Hause zu bleiben. Von meinem Bräutigam wird er mich lösen, daß in mir kein Gedanke mehr