Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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entrissen habt? Wer seid ihr, daß mir vor euch graut und ich euch dennoch gehorchen muß?«

      »Der wahre Priester des Herrn.«

      Ich stand auf, verließ die Kirche und ging in das Pfarrhaus hinüber. Es war kaum besser als die andern Häuser. Pfarrer Andreas empfing mich und führte mich in das kleine Gärtchen, das hinter dem Hause, dicht unter dem Felsen lag. Einige Büsche Rosmarin und rote Nelken waren das einzige, was darin blühte. Sie wuchsen vor einem verblaßten Muttergottesbild, das in den Fels eingefügt worden.

      Veronika war nicht da; ihr Bruder schien nicht zu wissen wo sie sei. Ich hätte es ihm sagen können.

      Ich wollte eben wieder gehen, da kam sie. Auch die Schwester war geradeso, wie ich mir sie vorgestellt: schön und stolz. Auf dieses Düstere, beinah Großartige in ihrem Wesen hatte ich mich indessen nicht gefaßt gemacht.

      Ich fühlte mich von der Erscheinung des Mädchens im höchsten Grade gefesselt und angezogen. Sie behandelte mich gelassen und kalt. Bereits auf der Hausflur kehrte ich noch einmal in den Garten zurück, um wenigstens die ersten Versuche einer Annäherung zu machen. Sie ließ jedoch nur mich und ihren Bruder sprechen. Da wurde Pfarrer Andreas von der Magd in das Haus gerufen. Veronika ging, pflückte einige Nelken und etwas Rosmarin und kam damit zurück.

      »Sie sind eine Schauspielerin, eine Künstlerin, das muß«- – – Sie atmete so schwer, daß sie nicht weiterreden konnte und wurde ganz bleich. »Das muß groß sein!« schloß sie leidenschaftlich mit leuchtenden Augen. Darauf reichte sie mir mit einer fast demütigen Gebärde ihren Strauß.

      Zwölftes Kapitel

       Ich mache Entdeckungen

       Inhaltsverzeichnis

      Die fremden Arbeiter sind angekommen, alles befindet sich in voller Tätigkeit. Fernow hat sich im Schloß ein Bureau eingerichtet, darin es ganz kanzleimäßig zugeht. Das Vorzimmer wird nie von Beamten und Anfragenden leer. Es ist eine Lust – nein, es ist ein Glück, ihn so tätig zu sehen. Ich habe es mir denn auch nicht nehmen lassen und es durchgesetzt, daß sein Arbeitszimmer nur durch einen Vorhang von dem meinen getrennt ist. So kann ich jeden Augenblick jenes Glückes teilhaftig werden; auch fange ich an, mich als sein stiller Kompagnon zu betätigen.

      Das Dorf stellt sich dem Schlosse immer feindlicher gegenüber. Fernow kann für seine Zeichenschule, ich für meine Nähschule nur die geistig wie körperlich völlig verwahrlosten Kinder der übelst beleumdeten Familien bekommen: Menschen, die, während sie ihre Söhne und Töchter von uns nähren, kleiden und unterrichten lassen, nachts die jungen Pflanzungen ausreißen und in den Sümpfen die Drainierungen zerstören.

      Ich habe es mir nun folgendermaßen gedacht.

      Wenn wir uns nicht entmutigen lassen, so daß es uns gelingt, diese Allerschlimmsten allmählich zu einer geordneteren Arbeit und besseren Sitte zu erziehen, so wäre damit ein Anfang gemacht, der sich durch nichts wieder zerstören läßt. Wenn die Leute nur erst Erfolge sehen, so müssen ja die besseren unter ihnen unsere gute Absicht erkennen. Sie werden uns dann gewiß nicht länger ihre Kinder vorenthalten: Sind doch die Anfänge eines Geschlechtes nur aus der neuen Generation zu bilden.

      Mit schwerem Herzen mußte ich Fernow recht geben, daß wahrscheinlich das meiste Gute, was wir den Kindern anzuerziehen hoffen, zu Hause von den Eltern wieder vernichtet werden wird. Das Genie der katholischen Kirche beweist sich wiederum in diesen Prinzipien in fast furchtbarer Weise: Die Jugend, die sie für sich und ihre Zwecke heranbilden will, wird von ihr gänzlich den Eltern entzogen; sie wird vater- und mutterlos und darf fortan keine andere Heimat haben als die Kirche.

      Über diesen Gedanken kommt mir ein Zweifel, der viele meiner frohesten Hoffnungen erschüttert. – – Was vermag alle Erziehung gegen jene unheimliche geistige Vererbung, die von Mutter und Kind auf längst vergangene Generationen zurückführt und trotz alles Mühens dermaßen auf zukünftige Generationen wirken kann, daß der Urenkel mit dem Antlitz, den Bewegungen, dem hinkenden Fuß oder dem Muttermal seiner Vorfahren auch deren Laster und Leidenschaft ererbt, Laster, von denen seine Eltern rein geblieben waren. Das sind grauenvolle Mysterien der Schöpfung.

      Fernow sprach mit mir darüber, Veronika für meine Schule zu gewinnen. Ich kann mich jedoch nicht zu der Ansicht entschließen, daß dieses leidenschaftliche Geschöpf für einen solchen Wirkungskreis geeignet sei. Ich denke viel über sie nach und suche in das Geheimnis zu dringen, welches diese scheinbar so starke Natur nicht nur so unfrei macht, sondern sogar ihre Seele den bedenklichen Prinzipien eines fanatischen Jesuitenpaters überläßt.

      Bei dem nächsten Besuch des Pfarrers will ich mit ihm über seine Schwester reden.

      Pfarrer Andreas besucht uns oft. Wir fürchten, daß ihm jeder Gang ins Schloß in der Meinung seiner Gemeinde schadet. Daß er sich dadurch nicht von uns zurückhalten läßt, sieht ihm ganz ähnlich. Er ist eben ein Mensch, der seinen Überzeugungen folgt und sich stets selbst getreu bleiben wird. Dabei scheint mir der Kummer, der auf seiner Seele lastet, immer stärker zu werden. Seine Schwester, das einzige Wesen, das dieser Priester außer seinem Gott liebt, wird von einer dunklen Macht immer mehr und mehr von seiner Seele gerissen. Seine Gemeinde, dieses teure Schmerzenskind, versteht ihn nicht, verkennt ihn sogar! Sein Glauben und sein Priestertum, diese beiden großen Leidenschaften seines Lebens, werden ihm durch die Entartungen seiner Kirche und ihrer obersten Diener entheiligt. Das ist genug, um auch das stärkste Gemüt niederzudrücken. Dabei die täglich wachsende Macht des Jesuitenpaters, der das Land durchzieht, um die wilden Gemüter des Volks, das seine Arbeit verläßt, diesem falschen Priester zuzulaufen, noch mehr zu erregen. Fernow riet dem Pfarrer dringend, sich an die Behörde zu wenden.

      Gestern habe ich mit dem Pfarrer über seine Schwester gesprochen. Wir waren beide allein in meinem Zimmer, darin es bereits dunkelte, während über den Alpen noch die Glut des Sonnenunterganges lag. Als ich den Namen Veronika nannte, stand der Pfarrer auf, trat ans Fenster und sah hinaus.

      »Ich weiß es,« antwortete er fast leise. »Sie ist nicht glücklich, sie wird es nie werden. Es gibt Naturen, bei denen das wohl so sein muß, obgleich ich es nicht verstehen kann. Wie aber kommt sie dazu, sie, die Tochter armer Alpenbauern und meine Schwester?! Sie will immer über sich selbst hinaus, nichts genügt ihr, weder ihr Glaube noch ihre Liebe. Denn Sie müssen wissen,« wandte er sich plötzlich nach mir um, »daß Veronika so gut wie verlobt ist.«

      Ich war überrascht.

      »Mit wem?«

      »Natürlich mit einem Sohn unseres Landes, einem echten Kind dieser Berge. Es ist ein prächtiger Jüngling, der meine Schwester liebt, wie – nun, wie sie geliebt zu werden verdient; der Sohn eines unserer wohlhabendsten Bauern; dabei unser junger Meisterschnitzer. Die beiden haben schon als Kind zusammen Braut und Bräutigam gespielt. Aber jetzt – –«

      Er brach ab und fuhr nach einer Weile fort: »In ihrer Seele muß etwas krank sein, wofür kein Arzt ein Mittel schaffen kann, wofür es auch wohl keines gibt, wenigens kein solches, wie Apotheker und Pfarrer geben können. Sie soll aus dem Hause und der Kirche hinaus auf das Gebirge: wo Gott nicht hilft, hilft vielleicht Gottes Natur. Mir wenigstens hat sie noch immer geholfen. In der Einsamkeit findet der Mensch, wenn auch nicht den verlorenen Himmel wieder, so doch sich selbst zurück. Und sie hat sich selbst verloren,« schloß er mit einem tiefen Atemzuge.

      »Vielleicht hat Ihre Schwester sich noch niemals selbst besessen,« mußte ich ihm erwidern.

      Pfarrer Andreas sah mich groß an. Dann trat Fernow ein.

      Wie gewöhnlich wurde zwischen uns der Fortschritt der Arbeiten verhandelt. Das Thema war zu groß, um bald davon abzukommen. Als unser Freund gegangen war, erzählte Fernow: im Dorfe herrsche große Aufregung. Der Jesuit habe auf freiem Felde gegen den Pfarrer gepredigt und die Dorfleute es ruhig geschehen lassen.

      Ich kräftigte mich wunderbar. Da es mich immerwährend aus dem engen Tal hinaus auf die freie Höhe trieb, wurde ein Maultier angeschafft, das mich sicher hinaufträgt, tief in die erhabene