Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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beinahe heiliges Instrument, das er mit so kühner Hand meisterte, geschaffen in Akkorden zu ertönen, deren feierliche Klänge das Gemüt zu offnen Himmeln emportragen sollten. Hier war nichts Himmlisches.

      Was war aus mir geworden! Welche dunkle Gewalten bemächtigten sich meiner, welche heiße Wallungen schnürten mir die Brust ein, welche Angst faßte mich, Angst vor jenen Tönen, vor der Seele, die darin aufbebte – Angst vor mir selbst.

      Luft, Licht!

      Nach einigen Stunden stand ich in meinem Schlafzimmer am offenen Fenster. Es ging auf die Terrasse hinaus, wo die beiden Freunde Arm in Arm auf und ab schritten. Da sie gedämpft sprachen, konnte ich bleiben, ohne sie zu belauschen. Nur dann und wann mußte ich ein Wort hören: Es betraf jedesmal die australische Kolonie, welcher der Arzt fehlte.

      »Du darfst nicht fort! Du mußt bleiben!« hätte ich laut hinunterrufen mögen.

      Ich grüßte stumm hinab – wenn er gewußt hätte, wie schmerzlich! Ach, daß ich dich lieben könnte! Warum kann ich's nur nicht? Warum kann man sein Herz nicht zwingen: Herz! Liebe! Die Frau sollte es doch können; denn was könnte die Frau nicht, wo es zu lieben gilt. So liebe doch, eigensinniges Herz! Wie, du willst nicht, du weigerst dich und weißt doch, daß du glücklich machen und glücklich gemacht würdest?! Dort schlägt das andere Herz für dich, das treueste und stärkste. Ihr zwei zusammen würdet so gute Gefährten geben, so treue Kameraden! Immer würdet ihr zusammen schlagen in Freud und in Leid. Und dann doch nicht! Für einen Schlag Seligkeit willst du unselig werden, sehnst du dich zu brechen? Nun, so geschieht dir recht! So brich denn, du verdienst es nicht besser!

      Da fingen die beiden drunten an lauter zu sprechen; sein Freund nannte meinen Namen – da riß ich mich vom Fenster zurück.

      Als ich mich umwandte, hätte ich fast einen Schrei ausgestoßen. Vor mir stand meine Mutter, die jetzt in stillem Jammer meine beiden Hände faßte und mich an ihre Brust zog. Obgleich ich recht gut wußte was ihr fehlte, fragte ich doch: »Was hast du, Mutter, was ist dir?«

      »Ich wollte dich bitten, morgen mit mir abzureisen.«

      »Warum?«

      Sie schwieg. Trotzdem sie mir bei der Dunkelheit nicht ins Gesicht sehen konnte, wandte ich meine Augen von ihr ab, löste auch meine Hand aus den ihren.

      »Rolla, mein Kind, laß uns morgen abreisen.«

      »Noch einmal, Mutter: ich verstehe dich nicht.«

      Sie seufzte und antwortete nichts.

      »Geh zu Bett, beste Mutter. Es ist schon so spät. Wie kannst du noch auf sein?«

      »Bist du es doch auch noch. O Tochter! Tochter!«

      »Was, beste Mutter?«

      »Hätte er uns doch das nicht angetan!«

      »Wen meinst du, und was meinst du?«

      »Rolla, Rolla! Es ist das erstemal, daß du deine Mutter täuschen willst.«

      »Ich glaube, du täuschest dich, Mutter.«

      »Wenn ich es dir nur sagen könnte!« rief die alte Frau verzweiflungsvoll.

      »Ich weiß, was du mir sagen willst. Du willst mir sagen, daß Fernow sehr unrecht getan, uns seinen Freund zu bringen, den du für einen gefährlichen Mann hältst. Wenn du dich erinnerst, hielt ich ihn dafür, noch bevor ich ihn kannte. Du willst mir sagen, daß er alle die Leidenschaften der Frauen, über die er heute sprach, wahrscheinlich selber an sich erfahren, daß jene Frauen wahrscheinlich seine Geliebten gewesen, daß er ein Mann ist, der trotz seiner schönen Worte über die Würde der Frauen mit deren Herzen spielt. Also muß er ein sittenloser Mensch sein. Du willst mir ferner sagen, gute Mutter, daß du fürchtest, ich könne diesen Mann lieben. Sei ruhig, Mutter, ich kenne mein Herz. Es wird nur das geschehen, von dem ich will, daß es geschehen soll. – – Also gute Nacht.«

      »Du wirst also bleiben?«

      »Sollte ich fliehen?«

      »Ich habe dich gewarnt.«

      »Das hast du.«

      »Gute Nacht.«

      Sie zog ihre zitternden Arme von mir ab, tat einige Schritte, blieb stehen, wandte sich noch einmal zu mir zurück.

      »Ich hoffe, immer eine gütige Mutter gegen dich gewesen zu sein. Solltest du mich heute getäuscht haben, so möge Gott dir verzeihen – ich tu' es nicht.«

      Sechstes Kapitel

       Vor dem Sturm

       Inhaltsverzeichnis

      Wir blieben und er blieb. Die Mutter zog sich scheu vor ihm zurück. Übrigens schien sie sich doch zu beruhigen. Ich hielt mich so fern von ihm, mein Ton und Benehmen gegen ihn waren so kühl, so ablehnend; ich reagierte gegen die Gewalt seines Wesens mit solcher Macht, daß es sie wohl verwirren und täuschen konnte. Ob dasselbe auch mit Fernow der Fall war? Mir sagte er es nicht und er war eine viel zu verschwiegene Natur, als daß ich ihn hätte erraten können. Jedenfalls hatte er anderes erwartet und jedenfalls beobachtete er mich. Verdächtig mußte ihm sein, daß ich nie mit ihm über seinen Freund sprach. Dies ängstliche Vermeiden eines vertraulichen Gespräches sah beinahe wie Furcht aus. Ich erkannte das auch völlig, tadelte mich heftig, vermochte aber trotzdem nicht, das erste Wort zu reden.

      So lebten wir denn in einem recht gespannten Zustand. Mir kam er vor wie die Stimmung des zweiten Altes eines Dramas: die Heldin war stark, aber das Verhängnis war noch stärker. Der dritte Akt brachte notwendigerweise die Katastrophe.

      Ich rede, als wäre es selbstverständlich gewesen, daß er mich lieben mußte. Gewiß zeigte er mir in seinem Benehmen nichts, was mich zu dieser Vermutung – zu diesem Argwohn berechtigt hatte. Er war immer er selbst, immer merkwürdig, zuweilen mehr als das: wahrhaft bedeutend. Von uns allen tat er allein sich keinen Zwang an.

      Ich wandelte in allen diesen seltsamen Tagen wie im Traum, mich dabei fortwährend in einem Zustand gespanntester Erwartung von etwas Mächtigem, Außerordentlichem, Wundersamstem befindend. Wann würde es kommen, was würde es sein? Es war so geheimnisvoll, so feierlich! Ich ging, bewegte, mich, sprach, dachte; zugleich mich darüber wundernd, daß ich das alles tat. Stundenlang konnte ich dasitzen, vor mich hinstarrend, sinnend: wie es komme, daß wir so höflich miteinander verkehrten, uns Sie nannten, uns gegenseitig als Fremde behandelten, als einander vollkommen fernstehende, gleichgültige Menschen. Wenn ich ihn kommen sah, begriff ich nicht, warum ich ihm nicht entgegeneilte – wenn er vor mir stand, warum ich mich nicht an seinen Arm hing, mich nicht an seine Brust warf. Wenn er sprach, mußte ich ihm oft starr auf die Lippen blicken, nicht fassend, daß diese mich nicht küßten. Ach, die Lippen vieler Frauen hatten daran gehangen! Was es sein muß, zu wissen: du bist die erste, die des Geliebten Lippen küßt. Ob das wohl oft vorkommt? O gewiß! Ich brauchte gar nicht weit zu suchen. Wenn ich den Mund des Mannes geküßt hätte, der neben ihm stand, so wäre ich wohl die erste gewesen. Aber ich würde nicht die erste sein, die er, von den Armen des andern umschlungen, einem Abgrund zuriß.

      »Sie ist die erste nicht! Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elends versank, daß nicht das erste genug tat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen; du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!«

      Hatte ich das nicht schon einmal zitierend gedacht? Bei welcher Gelegenheit war es doch gleich gewesen? Richtig! Da wir zur armen Anna gingen und ich ihre Geschichte hörte. Auch sie war die erste nicht gewesen, die es um den Verstand gebracht hatte.

      Die arme Anna! Sollte man glauben, daß ich an dem unseligen Geschöpf etwas zu beneiden fand. Und doch war's so. Sie hatte die schönsten blonden Haare, die ich jemals gesehen und blonde Haare waren sein Entzücken. Ich will bekennen, daß ich einmal vor meinem Spiegel stand, Glut der Scham im Gesicht,