Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
Скачать книгу
ich längst wieder Blumen im Haar trug und längst nicht mehr mein mißfarbiges graues Kleid. Eitel sind wir doch alle, töricht sind wir doch alle!

      Die Vormittage brachte ich meistens allein zu. Ich hatte viel zu studieren, denn es war nun entschieden, daß ich völlig in das Fach der Tragödin übergehen sollte. Ich wollte mit Sappho beginnen, und die Jungfrau und Medea folgen lassen. Auch Iphigenie hatte ich von neuem vorgenommen. Mit welcher Heftigkeit hielt ich mir das Glück fest, einen Schimmer der alten Zeiten heraufzubeschwören und mit dem Freund zusammen meine Gestalten zu bilden! Wie bemühte ich mich, ganz in seinem Sinne zu denken, wieder ganz seine Schülerin zu sein! Wie leidenschaftlich sehnte ich mich, ihm jeden Augenblick mein Vertrauen, meine Dankbarkeit und Verehrung, meine treue Schwesterliebe zu zeigen! Ob es ihn glücklich machte? Schlechte Herzenskündigerin, die ich damals war! Als ob ich nicht hätte wissen müssen, welch einen Schmerz es ihm gab; wie ich ihm dadurch gerade das verriet, was ich ihm verschweigen wollte.

      Ich hatte ihm das Manuskript seines Freundes nicht wieder zurückgegeben! er forderte es auch nicht. Brauche ich zu sagen, daß ich halbe Nächte mit jenem dämonischen Genius verbrachte? Aber die Schauer, die mich jetzt dabei überfielen, waren nur Schauer des Entzückens. Übrigens wußte er nicht, daß ich sein Werk kannte.

      Auch Nachmittags waren wir nicht immer beisammen. Die Herren ritten aus, wo ich dann entsagte und bei der Mutter zurückblieb. Ich mußte viel an die römische Campagna denken. Ach, einmal mit ihm zusammen die Steppen zu durchjagen! In rasendem Lauf weiter und weiter bis zum Meeresstrand und weiter, in die Fluten hinein, in das Meer hinein!

      Oft trieb er sich mutterseelenallein in den Waldbergen umher. Sie glichen beinahe Urwäldern und waren voll tiefster Einsamkeit. Er suchte die Köhler auf, an deren Feuer er manchmal übernachtete, schloß Bekanntschaft mit den einsamen Menschen, wie er denn überhaupt auch hier wiederum ein wahres Genie besaß, das Volk an sich zu ziehen. Er war auffallend ruhelos und ich hörte ihn davon reden, Europa wieder zu verlassen. Da er mich um meine Meinung fragte, riet auch ich ihm dazu. Er schien betroffen über mein entschiedenes Ja, warf mir einen seiner blitzenden Blicke zu, dankte für meine Teilnahme an seinem Geschick, setzte sich ans Instrument und tobte sich aus. – – Nein, es war kein Irrtum: in seinen Tönen sagte er es mir jeden Tag.

      Ich floh in mein Zimmer und sank dort nieder; wäre er jetzt gegangen – mit meinen Armen hätte ich ihn zurückgehalten. Was war es überhaupt für ein Komödienspiel, für eine Farce!

      Nun, er sprach nicht wieder davon; wie denn auch die australische Kolonie nicht wieder erwähnt wurde.

      Ich habe bis jetzt unterlassen, seinen Namen zu nennen. So oft ich es auch gewollt – immer von neuem wieder zuckte meine Hand zurück. Mir war's, als würde ich es nicht ertragen können, die Buchstaben vor mir zu sehen; mir war's, als müßte ich aufschreien, daß sein Name, meine Seele durchgellend mich von neuem wieder – – auch das Wort ist schrecklich! Ich will stark sein, ich will es hinschreiben. Doch was ist ein Name?

      Bereits bei der ersten Lektüre von Franks Tragödie war mir aufgefallen, daß ich mich bei aller Eigenart dieser Dichtung bald an Kleist, bald an Grabbe erinnert fühlte.

      Da die bedenkliche Neigung zu vergleichen, bei uns Frauen ganz besonders ausgebildet ist und ich darin durchaus keine Ausnahme mache, so brachte ich es denn auch glücklich heraus, daß er eine Vereinigung von Kleist und Grabbe sei. Allerdings war diese geistige Mixtur schlecht gemischt. Die Elemente, anstatt sich zu verbinden, verharrten in feindseliger Trennung voneinander, weshalb denn auch die Wirkung durchaus nicht die eines reinen Kunstwerks war. Daher auch der Sturm von Empfindungen, der meine Seele durchwühlte und den unverständlichen Zwiespalt verursacht hatte, den ich mir jetzt so verständig zu erklären suchte. Bei solcher Betrachtung konnte ich nie über den einen Gedanken hinwegkommen: Da ist das große Talent; aber – wie tragisch! – es fehlt ihm ein kleines Etwas, das ein Gott so leicht hätte geben können, um durch dasselbe Kunstwerke hervorgehen zu lassen, so frei und freudig wie im Lenz Blumen aufsprießen. Was ist nun dieses fehlende Etwas? Ist es Ruhe, Ordnung, Maß? Namen finden sich genug dafür, aber ausdrücken konnte ich es nicht. Es ist da und schuld dieser kleinen Unvollkommenheit ist, daß eine Welt von Schönheit, die aus einem solchen Haupt geboren werden könnte, wie aus der Stirn Jupiters Pallas Athene, erdrückt und erstickt wird. Ist das nicht ein Jammer!

      Als ich ihn dann kennen lernte, mußte ich dasselbe auf mich selbst anwenden. Wie herrlich hätte der Klang dieser Seele sein können, wenn ihn nicht fortwährend ein Mißton zerrissen!

      Diese unvermittelten Naturen, die sich in Extremen verzehren, sind wahrhaftig tragische Existenzen. Ebensowenig wie ihr Wesen jemals eine einheitliche Form annehmen kann, ist das mit ihren Werken der Fall. An und für sich eine ewige Dissonanz, vermögen sie nie harmonisch auszuklingen, also nie erquicklich zu wirken. Auch will mir scheinen, als trügen sie den Grund zu ihrem Untergang, der einmal, früher oder später, erfolgen wird, so tief in sich, daß sie sich trotz aller Kraft und aller Gegenwehr nicht zu retten vermöchten. In der Literatur und Kunst sind die Beispiele solcher Zerstörungen zahllos. Die meisten Toten bleiben eben nur namenlos; so daß man die Gräber nicht kennt, die jede Epoche der gefallenen Kämpfer und Ringer der Menschheit zurückläßt.

      Ich habe diese Worte niedergeschrieben und sie mögen stehenbleiben. Sie werden für mich zeugen, daß ich mir den geliebten Mann als echtes, schwaches Weib, das ich bin, vielleicht verherrlichte, mich aber zugleich über seinen und meinen Zustand in voller Klarheit befand, mehr als dies zum Beispiel bei Fernow der Fall war. Er, der sonst Illusionslose, trug sich entschieden mit einer schönen Täuschung, die ich zu kennen glaubte.

      Frank hatte mich noch nie vortragen hören oder spielen sehen, mich auch nie darum gebeten. Daher schlug ich denn auch trotzig aus, als Fernow mich bat, mit Frank zusammen, an dem ein großer Schauspieler verdorben sei, Kleists Penthesilea zu lesen. Ich war kleinlich genug, mich zu einer Notlüge herabzulassen und mein vieles Studieren vorzuschützen. Wie oft der Mensch sich doch selbst um die schönsten Stunden betrügt und das aus den erbärmlichsten Gründen! Auch in dieser Art von Selbstqual sind wir Frauen Meisterinnen. Aber daß man uns ja nicht bedaure!

      Doch konnte ich nicht unterlassen, Fernow zu bitten, uns eines Nachmittags in seiner bekannten novellistischen Art Penthesilea zu erzählen. Er sagte zu und es wurde die Stunde dafür gleich auf den nächsten Tag festgesetzt.

      Wie ich immer die Lieblingsplätze meines verstorbenen Gemahls aufsuchte, gerade als ob ich nötig hätte, daß der Geist jener Stätten mich schütze, so bestimmte ich auch für diese Zusammenkunft eine jener Stellen, wo mich alles an meinen edlen Toten erinnerte. Diesmal nicht daran denkend, Frank zu gefallen, wollte ich mich für den Dichter und die Dichtung schmücken; denn solche Augenblicke, wo wir ein Kunstwerk genießen, sind unsere wahren Feste.

      Aber so schwach sind wir: Nach Fernows Vortrag sagte ich von selbst zu, aus Penthesilea sprechen zu wollen. Ich hatte dafür eine herrliche Stelle im Walde erwählt, wo mich die Freunde erwarten sollten.

      Ich begab mich auf mein Zimmer, nahm mein griechisches Gewand heraus, legte es an, warf meinen Purpurmantel um und schmückte mich mit dem Diadem. Dann ließ ich mein Pferd satteln, bestieg es, jagte davon.

      Als das Gold des Abendrots durch den Wald leuchtete, kam ich in der Buchenschlucht an.

      Ich schwang mich von meinem dampfenden Tier, schlang den Zügel um einen Baumstamm und ging langsam zu der Wiese, wo sie, halb durch Gebüsch versteckt, am Rande des Waldes meiner harrend saßen – –

      Und ich war Penthesilea!

      Er naht – Wohlauf, ihr Jungfrauen, denn zur Schlacht!

       Reicht mir der Spieße treffendsten, o reicht

       Der Schwerter wetterflammendstes mir her!

       Die Lust, ihr Götter, müßt ihr mir gewähren,

       Den einen heißersehnten Jüngling siegreich

       Zum Staub mir noch der Füße hinzuwerfen.

       Das ganze Maß von Glück erlaß ich euch,

       Das meinem Leben zugemessen ist – –

       Asteria! Du wirst die Scharen führen,