Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
Скачать книгу
Kapitel

       Sie rückt und weicht

       Inhaltsverzeichnis

      Mit meinem Gemahl ging es besser. Es war beschlossen worden, nach Neapel zu gehen, bis zum Juli in einem Landhause am Posilip zu bleiben und dann in Sorrent Villeggiatur zu nehmen. In einigen Wochen sollte gereist werden.

      Unser esquilinisches Landhaus erlebte jetzt sein Rosenmärchen. Es lag da, von einem Netz von Rosengewinden umsponnen. Hecken und Laubengänge bedeckte die schöne Glut. Sie umrankte die Stämme und schlug ihre schwankenden Gewinde von Zweig zu Zweig. Die Luft war eitel Wohlgeruch und die Nachtigallen flöteten Tag und Nacht. Es war ein Blühen und Singen ohne Ende.

      Mein Gemahl wünschte seinen römischen Aufenthalt mit einem Fest zu beschließen. Er hatte im Laufe des Winters viele liebenswürdige und ausgezeichnete Persönlichkeiten bei sich gesehen, welche er, ehe sie nach allen Himmelsgegenden auseinander gingen, noch einmal um sich vereinigen wollte. So entwarf er denn mit uns Frauen und einigen Künstlern, die sich uns besonders genähert hatten, das Festprogramm. Waren die geselligen Freuden meines Gemahles bereits in seiner nordischen Heimat im wahren Sinn des Wortes edle Freuden gewesen, so wollte er sich das Glück gönnen: in Rom sich und anderen eine Feier zu bereiten, die an die glücklichsten Zeiten der Stadt erinnern sollte.

      Unser Fest bildete das Gespräch der Gesellschaft; unter seinen Vorbereitungen verstrichen mehrere Wochen.

      An einem der letzten Tage des Mai schien vor der Porta Capena um Grotte und Hain der Egeria das alte Rom wieder auferstanden und ein Teil seines Volkes am Bach Almo versammelt zu sein, dort das Fest der großen Göttin Cybele zu begehen. – – Aus dem Eichenhain wallte der Zug die blumigen Hügel zum heiligen Bach hinunter. Priesterinnen trugen das verhüllte Bildnis der Göttin. Im Festgewand folgten viele edle römische Frauen, Kränze tragend, selbst das Haupt bekränzt. Sie zogen zur Grotte, wo sie das Bild niedersetzten und es mit ihren Gewinden schmückten. Unterdessen war ein zweiter Zug den Hügel herabgekommen: Jünglinge im phantastischen Aufputz, mit Fellen über den Togen, Eppichkränze in den Haaren, umwundene Stäbe schwingend. In ihrer Mitte wurde eine abgehauene Fichte getragen, die mit bunten Bändern und Blumen verziert war. Die lustige Schar umringte den heiligen Baum, ihn zum Feld hinuntergeleitend, wo sie ihn vor der Grotte aufpflanzte und davor ihre Tänze aufzuführen begann.

      Diese Zeremonie beendet, begaben sich Priesterinnen, Frauen und Corybanten wieder zum Hain hinauf, wo am Rand des düsteren Gehölzes Teppiche ausgebreitet und eine Anzahl von Triklinien aufgestellt waren. Nachdem man sich gelagert, ertönte feierliche Musik von Zimbeln und Flöten. Die Spieler traten aus dem Hain und schritten paarweise geordnet am Festplatz vorüber, über die Wiese den Abhang hinunter. Die Töne verklangen.

      Jetzt sah man zwischen den Bäumen langsam eine hohe Frauengestalt einherwandeln. Es war Roma selbst im weißen Festgewand, die Purpurtoga umgeschlagen, die Mauerkrone auf dem Haupt.

      Nachdem sie eine Ansprache gehalten, wandte sie sich und schritt langsam, feierlich davon, hinter dem Hain den Augen der staunenden und entzückten Versammlung entschwindend.

      Während man noch von der herrlichen Erscheinung ganz überwältigt, ihre rollende Stimme zu vernehmen glaubte, zogen die Spieler von neuem über die Wiese. Auch ließ sich jetzt ein ferner, getragener Gesang vernehmen. Die Stimmen schienen aus dem Wald zu kommen, aber man sah niemand. Noch dauerte Gesang und Spiel fort, als plötzlich ein von Rosen durchranktes Eichengebüsch sich teilte und Egeria, die junge Nymphe des Ortes, hervortrat. Sie unterhielt sich mit ihren unsichtbaren Genien, denen sie mit leiser Klage verkündete, daß sie zum letztenmal ihren sterblichen Gatten Numa erwarte, welcher von ihr fort, zu den Göttern erhoben werden solle, zu denen sie ihm nicht zu folgen vermöge.

      Dann kam der König. Er fuhr auf einer goldschimmernden Biga, die zwei weiße Rosse zogen, ein einziger Knabe begleitete ihn. Egeria ging ihm entgegen; darauf begannen Gatte und Gattin den Abschied zu feiern...

      Plötzlich hörte ich einen lauten Schrei seiner Mutter. Ich sah die Verwirrung der Gäste und stürzte hin. – – Der alte Leibarzt beugte sich über ihn, die Fürstin kniete neben ihm: er hatte einen Blutsturz bekommen.

      Weil wir ihn nicht aufheben und forttragen konnten, mußten alle den Platz verlassen. Nur die Ristori blieb zurück und hielt eine seiner Hände.

      Die Mutter hatte sich seinen Kopf in den Schoß gelegt.

      Ich ließ mich von seinem Blut überrieseln und schaute nur immer auf die geschlossenen Augen, ob sie sich noch einmal aufschlagen würden. Er tat es und sein erster Blick fiel auf mich – Gott im Himmel! – was hatte ich getan, daß er mich mit solchem Blick ansehen konnte, sterbend so ansehen konnte!

      Er hatte die Sprache verloren und schien nichts mehr vom Leben zu erkennen und zu empfinden als mich. Das Flehen seiner Mutter vernahm er nicht. Ich konnte kein Wort hervorbringen.

      Mit Almowasser reinigten wir ihn vom Blut. Die Ristori deckte ihn mit ihrem purpurfarbenen Mantel zu. Da der Arzt eine neue Blutung befürchtete, konnte er nicht transportiert werden. Nach Rom war um eine Sänfte geschickt worden.

      Er schien etwas sagen zu wollen; eine Schreibtafel ward ihm untergelegt. »Mit Rolla allein lassen«, schrieben seine zitternden Finger. Die anderen traten zurück. Ich kniete neben ihm und sagte: »Was soll ich tun, um dich am Leben zu erhalten? Was habe ich getan, daß dein Blick mit solchem Vorwurf auf mir ruht? Ich liebe dich ja so herzlich.«

      Er winkte, daß ich seine Hand leiten solle; von meiner Hand geleitet, schrieb er: Dein Spiel heute hat mir alles verraten; du hast mich nur aus Mitleid geliebt. Ich erhob meine Hände, ich wollte reden, da entrang sich seinen Lippen: »Du darfst nicht auch noch lügen aus Mitleid.«

      Ich wollte aufschreien.

      »Nein! Nein!« Da traf mich sein starrer, fast zorniger Blick. Ich verstummte, schlug die Hände vor das Gesicht.

      Ein schrecklicher Ton machte mich auffahren, ein Röcheln, ein Sterberöcheln. Ich sah ihn an, ich stieß einen Schrei aus. Seine Mutter kam herbeigestürzt, alle anderen. Ich jedoch wußte nichts mehr von mir. – – Mit seinem zornigen Blick auf mich war er gestorben.

      Es war Nacht, als wir seine Leiche im Wagen nach Rom brachten. Sie hatten alle ihre Kränze auf ihn gelegt. Seine Mutter wollte sein Haupt nicht aus ihrem Schoß lassen. Ich wagte nicht, ihn zu berühren. Mir war, als müsse er wieder zu bluten beginnen.

      Von den Tagen, die jetzt kamen, will ich schweigen. Als er einbalsamiert worden, sollte seine Leiche nach Deutschland übergeführt werben. Eines grauenden Morgens brach der Trauerzug auf. Der Sarkophag wurde von sechs Pferden gezogen; ein Baldachin war über ihn ausgespannt, Lorbeerkränze und Palmenzweige bedeckten ihn, Rosen und Veilchen waren darüber geschüttet. Eine päpstliche Ehrenwache schritt neben dem Trauerwagen her, dem sich ein langer Zug Wagen anschloß. Wir, unser Gesandter, die Trauerdeputation fremder Reiche, die Geistlichkeit, unsere Dienerschaft – die Sänger der Sistinischen Kapelle.

      Die Porta S. Pancrazio, durch welche wir Rom verließen, war schwarz verhängt. Eine lautlose Menge erwartete uns am Tor.

      Bald darauf empfing unsern Toten die feierliche Ruhe der Campagna, die wir bis Civitavecchia durchzogen.

      Wir hatten die Leiche meines Gemahls nach Deutschland übergeführt, wo sie in der Residenz beigesetzt werden sollte. Doch nur seine Mutter durfte den Toten bis zu seiner letzten Ruhestätte begleiten. Bereits an der Grenze, wo Prinzen des königlichen Hauses, Magistrate und Deputationen den Sarg empfingen, mußte ich, deren Gattinnenname plötzlich nichts als eine fürstliche Draperie war, mich von seinem Sarg trennen.

      In der Nacht nahm ich Abschied. Es geschah heimlich und verstohlen: schien man mir doch selbst das Recht abzusprechen, um ihn trauern zu dürfen. Sein Sarkophag stand noch in dem schwarzen Reisezelt; darauf lagen noch die römischen Palmenzweige und Lorbeerkränze – freilich längst verwelkt. Offiziere seines Regiments hielten Wache bei ihm. Sie kannten mich nicht und ich mußte erst meinen Namen nennen, ehe sie mir gestatteten, an seinen Sarg zu treten. Dann zogen sie sich jedoch vor den