Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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Der Jungfrau'n keine, wer sie immer sei,

       Trifft den Peliden selbst! Dem ist ein Pfeil

       Geschärft des Todes, der sein Haupt, was sag' ich!

       Der seiner Locken eine mir berührt!

       Ich nur, ich weiß den Göttersohn zu fällen.

       Hier dieses Eisen soll, Gefährtinnen,

       Soll mit der sanftesten Umarmung ihn

       (Weil ich mit Eisen ihn umarmen muß!)

       An meinen Busen schmerzlos niederziehn.

       Hebt euch, ihr Frühlingsblumen, seinem Fall.

       Daß seiner Glieder keines sich verletze,

       Blut meines Herzens mißt' ich eh'r als seines;

       Nicht eher ruh'n will ich, bis ich aus Lüften,

       Gleich einem schöngefärbten Vogel, ihn

       Zu mir herabgestürzt: doch liegt er jetzt

       Mit eingeknickten Fittichen, ihr Jungfrau'n, Zu Füßen mir, kein Purpurstäubchen missend:

       Nun denn, so mögen alle Seligen

       Daniedersteigen, unsern Sieg zu feiern,

       Zur Heimat geht der Jubelzug – dann bin ich

       Die Königin des Rosenfestes euch!

       Jetzt kommt!

      Es ward Nacht.

      Ich eilte fort, fand mein Pferd, führte es zu einem Felsblock, stieg auf, galoppierte in den dunklen Tann hinein. Einmal hörte ich einen Aufschrei. Wahrscheinlich war ich an einem Jäger oder Holzschläger vorübergesaust, der mich für die Waldfrau gehalten haben mochte. Mein Haar flatterte, mein Leib beugte sich tief auf den Hals des Pferdes herab. Ich jagte, als rase ich meinem Glück nach, das vor mir schwebte: dort, wo sich graue Klippen über einem schrecklichen Abgrund auftürmten.

      Da hörte ich hinter mir Hufschläge und Rossesschnauben. Bald war er dicht an meiner Seite, aber er sagte nichts. Er wußte, daß man dem Sturm nicht gebieten kann, stillzustehen, nicht der Flamme verbieten, zu lodern.

      Wir stoben dahin. Die düstern Tannen glitten an uns vorbei, durch ihre Wipfel glänzten die Sterne herab. Nachtvögel flatterten auf. Weil mir der rasende Ritt den Atem versetzte, stieß ich einmal einen Schrei aus, den das Echo fünffach zurückgellte.

      Ich wußte, daß er kein Auge von mir wandte.

      »Reiß dein Pferd zurück!« rief er mir plötzlich zu. Wir waren auf den Klippen – unter uns tat sich der Abgrund auf.

      Beide Pferde bäumten hoch auf.

      »Wollen wir zusammen hinüber?!«

      » Noch nicht.«

      Er griff mir in die Zügel und wandte mein Tier.

      »Also wieder ins Leben zurück.«

      Wir jagten den steilen Weg hinunter, kein Wort wurde weiter gesprochen.

      Als wir in den Schloßhof ritten, bat ich ihn.

      »Sag' es ihm noch nicht. Ich werde es auch noch der Mutter verschweigen. Der Schreck könnte sie töten,« setzte ich in Gedanken hinzu.

      Wir traten zusammen in die Halle, wo uns beide entgegen kamen.

      »Aber Kind! Wie habe ich mich um dich geängstigt.«

      »Das war wirklich nicht nötig, Mutter. Wir standen zwar beide an einem Abgrund, aber du siehst: wir sind nicht hinuntergestürzt. Im Gegenteil! Ich habe einen Gipfel erklommen und von hoch oben auf die Welt herabgeblickt.«

      Ich hatte auf meine Stimme gelauscht, in der es gewiß jeder Ton verraten mußte. Aber ich sprach ganz ruhig, ich war ganz ruhig. Der Mensch, der eben durch die Berührung eines Gottes geschaffen worden, gerät über das Wunder seines Lebens auch nicht außer sich.

      Dann wandte ich mich zu Fernow, zu dem ich ebenso gelassen sprach. Ich war gewiß, daß er wußte, wie groß es in meinem Innern aussah, wenn er auch nicht ahnte, was vorgefallen war.

      Der andere hatte sich ans Klavier gesetzt; in stiller Glückseligkeit hörte ich zu. – – Es war unser rasender Ritt durch den nächtlichen Tann. Die Pferde galoppierten, die Wipfel rauschten, alle Geister des Waldes lebten auf. Und die beiden Einsamen ritten und ritten. Mein Jubelschrei durchjauchzte die Töne und der seine antwortete mir. Dann wieder – welch Seufzen, welch Schluchzen, welch Aufruhr aller Klänge, welch Gebraus und Gegoge! Es war der Geisterritt unserer vereinigten Seelen. Sie jagten dem Glück nach. – War das der Stern, der über uns schimmerte? War das der Strom, der unter uns raste, im durchwühlten Felsenbett? War das Himmel oder Abgrund? Konnte nicht beides vereinigt werden? Der Stern in den Abgrund herabsinken? Er sank und sank! Unter Melodien sank er herab. Wie schön er drunten zerschmetterte und – siehe! Aus seinem strahlenden Tod wuchsen Blumen auf, Gärten, Paradiese, die trugen die leuchtenden Scheiben des zertrümmerten Sternbildes wieder zum Himmel empor.

      Ich durchwachte die Nacht. Hatte doch auch ich einen Gott, mit dem ich mich besprechen mußte. Ich weiß nicht, ob ich betete. Ich glaube nicht; aber eine einzige große Andacht war es gewiß.

      Oder bat ich im voraus um Vergebung für ein Verbrechen, das ich zu begehen gedachte? War es Sünde und Schuld, daß ich mein glückseliges Antlitz der Sonne zukehren wollte, um mich von dem Glanz bestrahlen zu lassen? Daß ich mir die heiligste Offenbarung des höchsten Gottes in das Herz gerissen, jene höchste aller Empfindungen, die das Weltall geschaffen und zusammenhält, das göttliche Gefühl, um dessentwillen der Gottessohn am Kreuze gestorben.

      Mir war zumute, baß ich allen hätte zurufen mögen: Berührt mich nicht, ich bin heilig. Am liebsten hätte ich mein eigenes Bild auf einen Altar gestellt und davor anbeten lassen. Trug ich nicht einen Gott in mir?

      Siebentes Kapitel

       Der neue Tag

       Inhaltsverzeichnis

      Wie sich meine Seele langsam den Banden des Schlafes und Traumes entwand, bat ich mich selbst, doch noch weiter zu schlafen. Denn ein Traum mußte es gewesen sein, daß ich weit offenen Auges in die Sonne geschaut. Sie schien mir auch jetzt ins Gesicht; aber als ich die Augen öffnete, mußte ich sie gleich wieder schließen: im Traum hatte ich ungeblendet hineinblicken können.

      Als dann allmählich Besinnung und Bewußtsein kamen, drang das Glück in mir ein, wie ein Strom mich durchglühend und durchflutend. Mit geschlossenen Augen blieb ich noch eine Weile liegen; mußte ich mich doch erst an den Gedanken meines neuen überherrlichen Daseins gewöhnen: ich war nicht tot – ich lebte!

      »Mein Schwan singt auch im Tod: Penthesilea!« flüsterte ich und tastete mit ersticktem Jubel nach meinem Herzen. Das schlug, als ob es mir die Brust zersprengen wollte.

      Nun stand ich auf. Als ich das Fenster öffnete, glaubte ich, daß die Welt über Nacht neu geschaffen worden: so schön war sie gestern gewiß nicht gewesen – so schön nicht! Mit unserem ganzen klingenden Wortschwall können wir es doch nicht nennen. Die Blume atmet sich selbst aus in Duft, die Leiche jubiliert sich in den Himmel hinauf, der Mensch kann nur sagen: ich bin glücklich!

      Es mochte bereits Mittag sein. Ich zog mich gleich fertig an und da ich mich in einer Stimmung befand, in der mir alles zum Symbol wurde, wählte ich ein lichtes, fast weißes Seidenkleid und steckte eine Rose an die Brust, die über Nacht in der Schale aufgeblüht war.

      Da klopfte die Mutter. Ich öffnete und stand ihr in meinem Schmuck gegenüber.

      »Was ist denn heut für ein Fest?« fragte sie verwundert.

      »Kein anderes, als daß solch ein Sonnentag ist.« Und ich küßte ihre liebe Hand.

      »Ich war schon zweimal an deiner Tür; aber du hörtest nicht. Wir fürchteten schon, dein Spiel und dein toller Ritt haben