Aber ich sollte dadurch jawohl eine große Künstlerin werden? Wenigstens war das seine Meinung. Wie gleichgültig mir das war!
Acht Tage vergingen. Jeden Abend las ich in dem Manuskript und, wenn es menschlichen Kräften überhaupt möglich gewesen, hätte ich hintreten können, die Heldin zu spielen. Trotz meiner wilden Nächte war ich am Tage ruhig, ja gleichmütig. Die Mutter blieb ahnungslos, selbst Fernow zu täuschen gelang mir.
Auch das verwirrte mir fast den Verstand: da ist er und liebt dich und gibt dich dem andern.
Wenn er nur fortgegangen wäre!
Da erfuhr die Mutter, daß Fernow einen Freund erwartete. Auch sie war erstaunt, nie etwas von diesem Freunde gehört zu haben, sie, die doch so vieles von ihm wußte. Sie schien mir betroffen zu sein, gedankenvoll zu werden. Vielleicht verbindet sie, so dachte ich mir, irgendeinen Vorgang aus seinem Leben mit diesem Freunde. Dann aber freute sie sich herzlich auf den Gast und ordnete selbst dessen Zimmer. Fernow und ich sahen uns scheu an. Beinahe wäre es damals um der Mutter willen doch noch unterblieben.
Fernow war ihm entgegengefahren; am Abend wurden beide erwartet. Ich schob Kopfschmerz vor und verbrachte den ganzen Tag auf meinem Zimmer. Am Morgen hatte mich die Mutter liebreich gescholten, daß ich mich gegen die große Freude, den einzigen Freund unseres Freundes bei uns zu sehen, so ablehnend verhalte.
Als gegen Abend die Mutter kam, um sich besorgt nach meinem Befinden zu erkundigen, behauptete ich, mich besser zu fühlen, begab mich auch mit ihr hinunter. Natürlich kam das Gespräch auf den Erwarteten. Ich erklärte der Mutter, daß ich Mißtrauen gegen seinen Charakter hege: er sei eine problematische Natur. Von neuem glaubte ich bei der Mutter eine Betroffenheit zu bemerken. Von mir darüber befragt, geriet sie in Verwirrung, so daß der alte Verdacht in mir wach wurde: gewiß stand der Fremde mit einem Ereignis aus Fernows Leben im Zusammenhang, von dem sie wußte.
Obgleich ich mich heftig nach Einsamkeit sehnte, gab ich meinem Verlangen nicht nach und blieb bei der Mutter. Als sie mich fragte, ob ich nicht den Herren entgegengehen wolle, wies ich dies fast unfreundlich zurück. Es war kühl geworden. Da ich ein leichtes Sommerkleid trug, ging ich hinauf, ein wärmeres anzulegen. Mit einem Trotz, über den ich selbst lächeln mußte, wählte ich ein Kleid, dessen stumpfes Grau mir möglichst unvorteilhaft stand. Damit noch nicht zufrieden, zog ich mir auch die Blumen aus dem Haar, mit denen ich mich täglich schmückte.
Das getan, wollte ich mich wieder hinunterbegeben, blieb aber oben. Ich setzte mich, ergriff ein Buch, las aber kein Wort. Ich warf den Band fort, holte meinen Stickrahmen, tat aber keinen Stich. Dann ging ich auf und ab und als mich das von neuem unruhig zu machen drohte, fing ich an, eine Rolle zu memorieren. Darüber vergaß ich mich so, daß ich zusammenschreckte, als draußen plötzlich der Wagen vorfuhr.
Vom Fenster aus sah ich ihn aussteigen. Er ging mit Fernow ins Schloß. Ich aber blieb stehen, blickte in das Abendrot, bis dieses erlosch und der Diener mich zur Tafel rief.
Fünftes Kapitel
Dämonen
Die Türen wurden vor mir geöffnet; ich trat in die hell erleuchtete Halle.
Bereits im Vorzimmer hatte ich die fremde tiefe Stimme vernommen und einen Augenblick auf ihren Wohlklang gelauscht. Er stand am Kamin bei der Mutter, blickte, als ich eintrat, herüber und verstummte. Dann kam er mir entgegen.
Fernow stellte mir ihn vor. Wir wechselten einige Worte über die Reise, gleich darauf meldete der Diener, daß serviert sei. Ich ließ mich von Fernow in den Speisesaal führen.
An der Tafel saß er neben mir.
Die Unterhaltung wurde fast ausschließlich von ihm geführt, wir hörten zu. Niemals vorher hatte ich so sprechen hören! Wie ein Zauber umfing mich seine Stimme. Aber er sollte mich nicht gleich zu seinem Geschöpf machen! Mit einer Art von verachtenden Groll gegen mein Geschlecht, dachte er daran, wie es solch einer tyrannischen Persönlichkeit eine Macht über sich einräumt, deren Despotie das Weib zur Sklavin stempelt. Noch einmal beschloß ich, wenn auch nicht größer, so doch jedenfalls stärker zu sein.
Er erzählte von seinem Leben in seinen Weltteilen: Fremdes in einer mir vollständig fremdartigen Auffassung, Großartiges großartig angesehen, in ebensolcher Gesinnung vorgetragen und mit einem wahren Genie der Rede geschildert. Niemals Phrase, war darin eine, die mich wie ein Sturm mit sich fortriß.
Er hatte Gewaltiges erfahren, hatte Meere durchschifft und Wüsten durchwandert, in der Wildnis gelebt und die Menschen kennen gelernt in den ungeheuerlichen Zuständen völliger Unkultur, aber von einer Kraft durchdrungen, wie sie nur den Völkern einer mächtigen Natur innewohnen kann. Zuletzt war er in Südaustralien gewesen, wo er deutschen Auswanderern eine Kolonie hatte gründen helfen. Das Land sei köstlich: jungfräulicher Boden, der Wildnis abgerungen; aber das Klima ein wahrer Würgegeist und die Menschen im Kampf mit diesem Todfeind unglaublich unwissend und hilflos. Wenn die junge Kolonie keinen Arzt bekomme, der freilich ein starker und todesmutiger Mann sein müsse, würden bald nur noch ihre Gräber von den Ansiedlern Kunde geben.
Hier rissen sich meine Blicke von dem Erzähler los zu Fernow hinüber. Dieser hörte mit einer wahrhaft unheimlichen Aufmerksamkeit zu. Da durchzuckte mich ein Gedanke so heftig, daß ich davon mein Herz schmerzen fühlte: Willst du etwa dieser starke, todmutige Mann sein?
Ich saß wie betäubt, bis er mein Hinstarren bemerkte und mir ein Scherzwort zurief. Aber während ich noch gegen den tollen Gedanken rang, ward meine Seele bereits wieder von der Stimme seines Freundes in Banden geschlagen. Er berichtete von einigen Frauen, denen er drüben begegnet; großen, kühnen, freien Naturen, die sich im Denken und Handeln den Männern als ebenbürtige Menschen zur Seite stellten. Er setzte uns seine Ideen über die Stellung der Frau zur Gesellschaft auseinander. O, er dachte groß von meinem Geschlecht! Er sprach ihm die mächtigsten Empfindungen zu, die kühnste Initiative, eine gewaltige Willenskraft und vor allem Leidenschaft, diesen Lebenspuls der Menschheit.
Während seiner Rede mußte ich darüber nachgrübeln, wie seltsam es sei, derartigen Ansichten bei einem Manne zu begegnen, der uns Frauen jedenfalls stets nur von unserer schwächsten Seite kennen gelernt.
Das Gespräch lenkte sich auf die moderne Ehe. Welcher Entrüstung begegnete ich da, welcher Empörung! Er sprach mit mächtigen Worten die Entwürdigung der Frau aus, ihre tiefste Erniedrigung! Als einziges Motiv der Ehe ließ er die Liebe gelten. Die Konventionsheirat, von der Gesellschaft für höchst sittlich gehalten, sei sittenloser als das Konkubinat. Er schilderte das Wesen der modernen Ehe und bewies, wie sich die Korruption in die heiligsten Institutionen der Gesellschaft einschleiche, bis in das Herz der Familie hinein. Er sprach von der Dumpfheit der meisten Ehen und davon, wie viele, die in ihrem innersten Wesen durch und durch angefault und zerstört seien, nur deshalb nicht getrennt würden, weil eine Ehescheidung im Sinn der Menge ein Skandal sei. Lieber lebe man zeitlebens unglücklich miteinander fort, aneinandergeschmiedet gleich Galeerensklaven, als frei den Irrtum zu bekennen.
In derartigen unsittlichen Ehen die Initiative zu ergreifen, sei vor allem Aufgabe der Frau, als des am meisten entwürdigten Teils.
Ein Mann, der mit einer solchen fast weiblichen Zartheit zu empfinden vermochte, konnte kein unedler Mensch sein.
Die Mutter hatte sich entfernt; es war längst Nacht und die Lichter hereingebracht worden. Ich weiß nicht mehr, wie es gekommen war – aber plötzlich hörte ich mich reden, nur mich.
Ich stutzte, ich erschrak über mich selbst. Ich gab aus meinem geheimsten Innern heraus und das mit einer Lebhaftigkeit, einer Begeisterung. – – Ich schwieg und wollte mich sogleich entfernen. Da setzte sich Fernows Freund ans Harmonium und begann zu phantasieren. Die Töne brausten zu den Wölbungen auf und erfüllten für mich die dämmervolle Halle mit Schatten und Geistern. Die Türen, die zur Terrasse führten, standen geöffnet. Von meinem Platz aus sah ich hinaus, wo am dunklen Himmel die Sterne ihre stillen Bahnen dahinzogen.