Und er ballte bei dem bloßen Gedanken, daß einer sich unterfangen könnte, ihr nahe zu kommen, seine Hände, knirschte mit den Zähnen und stöhnte laut auf.
»Wladimir! Wladimir!«
Ihr angstvoller Ruf brachte ihn zur Besinnung.
»Kurz und gut,« bedeutete er ihr mit rauher Stimme, »du sollst einen Monat lang jeden Abend in einem großen Saal, darin sich viele Menschen befinden, eine Viertelstunde singen; Volkslieder und was du sonst weißt. Es ist das wenigste, was du für die Sache tun kannst; das mußt du doch einsehen. Genug; ich befehle es dir und du wirst gehorchen.«
Er stampfte mit dem Fuße auf, drehte sich um nach ihr und sah sie mit rollenden Augen an. Sie war sehr bleich und zitterte, sagte aber, daß sie es ganz gut einsähe, daß es in der Tat wenig von ihr verlangt sei, daß sie es gern tun würde; jeden Abend, einen Monat lang und noch länger.
Mit einer schüchternen Bewegung legte sie ihre Hand auf seine Schulter und lächelte ihn an.
Herr Sassinow machte es anders als andere; andere machten Reklame, stießen gewaltig in die Posaune, rührten nach Kräften die Trommel. Herr Sassinow tat nichts dergleichen. Alles, was am nächsten Tag in dem Programme der Spezialitätenbühne Herrn Sassinows über Tanias Debüt zu lesen stand, beschränkte sich auf die einfache Konstatierung der Tatsache, daß vor der ersten großen Pause die Bäuerin Tania aus Eskowo Volkslieder singen würde. Das war alles! Herr Sassinow verschmähte es, die Bäuerin Tania und sein Etablissement an die große Glocke zu hängen.
In aller Frühe stieg Wladimir zu Natalia hinauf, die noch im Bette lag und eine schlechte Nacht verbracht hatte.
»Sie haben etwas,« rief Natalia dem Eintretenden zu und fuhr in die Höhe.
»Nichts, das der Rede wert ist,« erwiderte Wladimir mürrisch. »Seien Sie nicht so aufgeregt, das schadet Ihnen. Sie sind ja fast so ängstlich und nervös wie Tania Nikolajewna. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie den Tag über liegenbleiben und erst am Abend aufstehen möchten. Ruhen Sie sich also.«
»Was geschieht heute abend?«
»Eine Lächerlichkeit; aber ich möchte, daß Sie mit mir zugegen wären.«
»Sie wollen mit mir ausgehen?«
»Werden Sie kräftig genug sein?«
»Sicher! Das wissen Sie ja.«
»Das weiß ich. Übrigens, was sagen Sie dazu? Ich werde noch heute jene Summe erhalten, die ganze Summe.«
»Wie mich das freut! Ich hegte indessen gar keinen Zweifel daran, daß Sie das Geld auftreiben würden; Sie können alles, was Sie wollen. Ich bewundere Sie.«
»Diesmal bin nicht ich es, sondern Tania, welche das Geld schafft.«
»Tania?!«
»Sie wird heute abend in dem Tingeltangel des Herrn Sassinow Volkslieder singen. Sie sollen mich begleiten und Tania singen hören. Herr Sassinow zahlt mir heute die ganze Summe aus; wir haben ein festes Abkommen für einen Monat getroffen.«
»Wladimir!« schrie Natalia auf. »Was haben Sie sich angetan! Und ich vermag Ihnen in nichts beizustehen, ich habe keinen Balsam für Ihr blutendes Herz; Sie geben Ihr Heiligtum hin und alles, was ich tun kann, ist, daß ich hier liege und mit dem Tode ringe und den Tod bezwingen werde, bis ich Sie als den Helden des russischen Volles anerkannt weiß.«
Und sie wälzte sich auf ihrem Lager, ächzend und in Qualen sich windend.
Tania wich den ganzen Tag keinen Augenblick von ihrem Kinde; auch während sie für Natalia Sorge trug, hatte sie ihren Knaben bei sich. Wenn sie mit dem Kleinen in das Krankenzimmer trat, war ihr's jedesmal, als müßte der Anblick des Kindes Natalia gesund machen, als brachte sie ein Heiligtum zu der Schwerkranken. Aber Natalia kümmerte sich nicht um den Wunderknaben, welcher die Augen seiner Mutter hatte, und alles, was sie mit Wladimirs Geliebten über deren Sohn sprach, war, daß sie ihr glühende Reden hielt, das Kind zu einem leidenschaftlichen Anarchisten, zu einem echten Sohn seines Vaters zu erziehen. Sie pries Tania, daß sie der Sache des Volkes einen Sohn Wladimirs schenken konnte, daß sie auserwählt und gewürdigt worden, die Mutter eines zukünftigen Helden zu sein. Tania hörte ihr stumm zu, mit leiser Hand ihr Kind fester an die Brust drückend; und hatte sie die Kranke verlassen, so saß sie wohl eine Stunde, zu dem Knaben raunend und ihn anlächelnd, damit die wilden Worte der Nihilistin seiner jungen Seele keinen Schaden zufügen sollten. Als Tania heute mit dem Kinde zu Natalia kam, sagte diese nichts, gönnte Tania keinen Blick, sondern wandte sich von ihr ab, der Wand zu. Zum erstenmal war sie eifersüchtig auf das Weib des von ihr geliebten Mannes.
Colja erfuhr an diesem Tage noch nichts. Wladimir würdigte den »viehischen Burschen« überhaupt selten eines Wortes und Tania nahm sich vor, es ihrem Freunde möglichst lange zu verhehlen. Sie mußte aber immerfort an ihn denken und was er wohl dazu sagen würde. Um Coljas willen schmerzte es sie und um Coljas willen schämte sie sich; denn sie wußte, daß Colja darüber heftigen Schmerz und glühende Scham empfinden würde. Es war nicht ganz recht von ihm.
Am Nachmittage rief sie ihn endlich und sagte mit ihrem leuchtendsten Lächeln: »Wladimir Wassilitsch wünscht, daß ich ihn heute abend in die Stadt begleite. Natürlich muß ich mit ihm gehen. Es ist sehr freundlich von ihm, Weißt du. Nun würde ich zu Hause bleiben müssen, wenn ich dich nicht hätte, wegen des Kindes; du verstehst. Da du aber hier bist, kann ich ruhig fortgehen, denn bei dir ist das Kind ebensogut aufgehoben wie bei mir. Überdies gehe ich erst, wenn es eingeschlafen ist, und nach einer Stunde bin ich wieder da.«
Keine Worte nennen Coljas Wonne, Stolz und Glückseligkeit. Hätte man ihm die Krone des Zaren zu bewahren gegeben, es würde keinen Eindruck auf ihn gemacht haben. Aber Tanias Kind, den Wunderknaben behüten zu dürfen – Colja wunderte sich nur, daß er nicht plötzlich um einen Kopf größer ward. Später kleidete Tania sich sorgfältig an, wählte ihren besten Putz und wand blaues und rotes Band durch ihre Flechten. Auch tat sie alle ihre Ketten und ihren sonstigen Schmuck um. Dann säugte sie das Kind, brachte es zu Bette, sang es in Schlaf, rief Colja herbei (der sich vor Ungeduld und Erregung nicht zu lassen wußte) und begab sich hinauf, wo Wladimir mit der zum Ausgehen gerüsteten Natalia bereits auf sie wartete. Dann gingen sie alle drei. Wladimir, der heute für den Liebreiz seiner Geliebten tausend Augen hatte, führte Natalia. Draußen stand eine Droschke bereit und sie fuhren nach dem Etablissement des Herrn Dimitri Sassinow.
Die arme Tania! Wie ward ihr, als sie jenen Tempel betrat, durch einen besonderen Eingang, der nur für die »Künstler« und die »Künstlerinnen« bestimmt war; als sie durch die trüb erleuchteten, feuchten Gänge schritt, treppauf, treppab; als sie die heiße, schlechte Luft des Bühnenraumes einatmete. Welch ein Augenblick für sie, als Herr Dimitri Sassinow sie mit frecher Vertraulichkeit begrüßte; als sie diesen Herrn ihrem Geliebten Geld auszahlen sah; als dieser Herr sie in ein großes, kahles, überheiztes Zimmer führte und mit den »Künstlern« und »Künstlerinnen« seines Kunstinstituts bekannt machte, mit verschiedentlichen Damen und Herren in Trikot, den Akrobaten und Akrobatinnen, den Trapezkünstlern und Künstlerinnen, den Frosch- und Schlangenmenschen beiderlei Geschlechts und einem ganzen Heer anderer Spezialitäten ersten Ranges. Was waren das für Männer, was für Weiber! Da war eine spanische Tänzerin und eine französische Sängerin, da waren deutsche, italienische und griechische Schönen in langen, seidenen und samtnen Schleppkleidern oder kurzen Gazeröckchen, Wesen aus einer andern Welt, von der das Bauernmädchen aus Eskowo nichts wußte.
Und alle blickten auf sie, alle tuschelten miteinander über sie, allen war auch sie eine neue Menschenart.
Wladimir führte die Zitternde in eine Ecke, wo er sich mit ihr und Natalia niedersetzte. Sie hörten die Unterhaltungen der Künstler und Künstlerinnen, Gespräche, die Wladimir das Blut ins Gesicht trieben, Natalia dagegen vollständig gleichgültig ließen. Dann begann die Vorstellung. Sie vernahmen gedämpfte Musik und Beifallsgetöse. Die Herren und Damen, die an die Reihe kamen, verließen das Zimmer, vom Saale her drangen einige Exemplare der Moskauer