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Für die praktische Fallentscheidung macht es einen erheblichen Unterschied, ob Anknüpfungspunkt der rechtlichen Prüfung ein „positives Tun“ oder „Unterlassen“ ist. Dies gilt nicht nur deshalb, weil der Gesetzgeber für das Unterlassen eine fakultative und der Praxis grundsätzlich auch abzuverlangende Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB eröffnet.[293] Vielmehr müssen im Fall der Unterlassung insbesondere mit der Garantenstellung Sonderanforderungen nachgewiesen werden, die bei aktivem Tun unerheblich sind (siehe Rn. 150 ff. und Rn. 431 ff.). Die Quasikausalität lässt sich, wie schon Eb. Schmidt[294] zutreffend hervorgehoben hat, nicht mit einer oft wenig anspruchsvollen Anwendung auf die allgemeine Conditio-Formel belegen. Vielmehr kommt dem beim aktiven Tun geforderten Pflichtwidrigkeitszusammenhang eine besondere Bedeutung zu, da stets zu fragen ist, ob eine gänzlich hypothetisch gebliebene gebotene Handlung, z.B. die rechtzeitige Einweisung des Patienten in ein Krankenhaus, den Erfolg (Tod oder Körperverletzung) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden hätte.[295] Gerade in arztstrafrechtlichen Fällen ist diese Gewissheit im Sinne eines Ausschlusses „vernünftiger Zweifel“ oft nicht zu gewinnen, da es hier um eine hypothetische Feststellung geht, bei der alle Unsicherheiten und Risiken des Geschehensablaufs, insbesondere die sich aus der weitgehenden Undurchschaubarkeit des menschlichen Organismus ergebenden Unwägbarkeiten mitberücksichtigt werden müssen. Schließlich bestehen Unterschiede zwischen Begehungs- und unechtem (unbewusst) fahrlässigen Unterlassungsdelikt auch bezüglich der Verjährung (s. Rn. 621).
a) Der Tatbestand der unechten Unterlassungsdelikte
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Wegen eines sog. unechten Unterlassens haftet der Arzt nur dann aus dem Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung, wenn er „rechtlich dafür einzustehen“ hatte, dass die Gesundheitsschädigung oder der Tod des Patienten „nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun entspricht“ (siehe jeweils § 13 Abs. 1 StGB). Es muss also ein „besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise“ für ein Unterlassen „verantwortlich gemacht werden soll“.[296] Daraus folgt: Der Arzt muss eine besondere, deutlich über die Pflicht aus § 323c Abs. 1 StGB hinausgehende Garantenposition innehaben, die ihm auferlegt, „einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“ (§ 13 Abs. 1 StGB).
Zusätzliche Voraussetzungen für die Strafbarkeit wegen eines fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikts sind im Einzelnen[297] neben der rechtswidrigen und schuldhaften Tatverwirklichung die folgenden Anforderungen:
1. | Eintritt des tatbestandlichen Erfolges (z.B. des Todes bei § 222 StGB). |
2. | Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv erforderlichen Handlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit – die gebotene Rettungshandlung muss dem individuellen Arzt zunächst einmal tatsächlich möglich gewesen sein.[298] |
3. | Ein quasi-ursächlicher Zusammenhang zwischen Untätigbleiben und Erfolgseintritt (sog. Quasi-Kausalität). Danach ist das Unterlassen im Rechtssinne ursächlich für den Erfolg, „wenn die gebotene Handlung den schädlichen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert hätte (hypothetische Erwägung, bei der der Grundsatz in dubio pro reo gilt).[299] „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ lautet die „überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes“.[300] Verlangt wird keine „absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende Gewissheit“, sondern ein „Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt“.[301] „Vernünftige Zweifel“ sind auf sachbezogenen Tatsachen beruhende, nicht bloß theoretisch-abstrakte Zweifel. Für das Zivilrecht formuliert der BGH[302] etwas konkreter: „Ausreichend ist ein Grad von Gewissheit, der Zweifeln eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers Schweigen gebietet. Zweifel, die sich auf lediglich theoretische Möglichkeiten“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte gründen, „sind nicht von Bedeutung“. Für die Kausalitätsfeststellung wird kein „medizinisch-naturwissenschaftlicher Nachweis“, keine „von niemandem anzweifelbare Gewissheit“[303] verlangt. In der Sache liegt dem genau die Betrachtung zugrunde, die zur Ermittlung des im Arztstrafrecht besonders bedeutsamen Pflichtwidrigkeitszusammenhangs notwendig ist (dazu siehe näher Rn. 504 ff.).[304] Auf die entsprechenden Maßstäbe ist insoweit zu verweisen. |
4. | Außerachtlassung der im Verkehr entsprechend der Übernahme der Garantenstellung erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges (objektive Sorgfaltspflichtverletzung). |
Hinweis
Der Sorgfaltsmangel kann einen Verhaltensfehler bei Vornahme der deshalb unzureichenden Rettungshandlung, die fehlende Kenntnis vom Bevorstehen des Erfolgseintritts, von den vorhandenen Rettungsmöglichkeiten, von der bestehenden Garantenstellung oder sonstigen Merkmalen des objektiven Tatbestandes betreffen.
5. | Objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter Berücksichtigung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zwischen dem Sorgfaltsmangel und dem Eintritt des Erfolges sowie des Schutzzwecks der einschlägigen Sorgfaltsnorm. |
6. | Zumutbarkeit der gebotenen Rettungshandlung nach den konkreten Umständen. Für das Unterlassungsdelikt hat die je nach Auffassung schon dem Tatbestand oder der Schuld zuzuweisende Zumutbarkeitsschwelle eine vergleichsweise große Bedeutung.[305] |
aa) Das Unterlassungsmoment der Fahrlässigkeit
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Die wichtige Frage, ob für die weitere Fallprüfung auf eine fehlerhafte Tätigkeit oder eine pflichtwidrige Unterlassung abzustellen ist, erscheint nach dem äußeren Geschehen leicht zu beantworten,[306] kann aber gerade in Fahrlässigkeitsfällen häufig zu Schwierigkeiten führen, „weil Aktivität und Passivität vielfach gemischt erscheinen“.[307] Dies ist keineswegs zufällig, sondern hat seinen Grund darin, dass nach der herrschenden Lehre im Wesen der Fahrlässigkeit ein Unterlassungsmoment enthalten ist.[308] Die Nichteinhaltung der gebotenen Sorgfalt allein darf jedoch nicht zur Grundlage für die Annahme eines Unterlassungsdelikts gemacht werden, denn theoretisch ließe sich jeder Sorgfaltsverstoß, gleichgültig, ob das Sorgfaltsgebot auf die sachgerechte Durchführung einer Handlung geht oder ein Unterlassen betrifft, in ein Unterlassungsdelikt umformen, wodurch aus allen Fahrlässigkeitstaten Unterlassungsdelikte würden. Diese – extreme – Schlussfolgerung wird zu Recht nicht gezogen, denn zwischen dem aktiven Tun und dem passiven Unterlassen sieht schon der Gesetzgeber