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Da demnach nicht jede Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt eine Unterlassungstat darstellt, taucht die Frage auf, wie bei unvorsichtigen Handlungen Tun und Unterlassen zu unterscheiden sind. Die Rechtsprechung löst dieses Abgrenzungsproblem durch eine wertende Betrachtung des Geschehens, die jede „formale Überbetonung einer einzelnen Verhaltensweise“ ablehnt und stattdessen entscheidend auf den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“,[309] auf das „Schwergewicht der Pflichtwidrigkeit“[310] oder, wie es in einer anderen Entscheidung heißt, auf „die soziale Sinnbedeutung des Verhaltens“[311] abstellt. Es geht um eine „Wertungsfrage, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine normative Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt“.[312] Auch im Schrifttum ist diese Ansicht weit verbreitet. Vorzugswürdig ist sie dahingehend zu konkretisieren, dass zwar für sich genommen infolge von § 13 Abs. 2 StGB eine kausale Handlung prima facie unter dem Aspekt des aktiven Tuns zu prüfen ist; die aktive Handlung aus der Prüfung aber ausscheiden muss, wenn sie selbst kein rechtlich missbilligtes Risiko setzt.
Beispiel:
Der Schönheitschirurg, der pflichtwidrig die Verlegung des von schweren Komplikationen gezeichneten Patienten auf die Intensivstation eines Krankenhauses unterlässt, ist nicht etwa deshalb wegen aktiver Tötung zu verfolgen, weil er dem Patienten vor der verspäteten Verlegung kreislaufstabilisierende Mittel verabreicht hat. Diese Medikation mag zwar den konkreten Todeserfolg im Einzelfall kausal beeinflusst haben. In ihr gelangt aber keine rechtlich missbilligte Gefahrensteigerung zum Ausdruck.[313]
cc) Problematik der wertenden Betrachtung
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Das Abgrenzungsproblem ist somit nach herrschender Ansicht durch eine Bewertung zu beantworten, die „nicht immer ganz leicht, aber mit Hilfe des Kriteriums der „sozialen Sinnhaftigkeit“ des Verhaltens bzw. der Frage nach dem rechtlich missbilligten Risiko zu bewältigen ist.[314] Bleibt die Bewertung offen, d.h. wird in einem Fall, in dem „Elemente einer Begehungstat neben solchen einer Unterlassungstat“ stehen (Verhaltensanweisung an die Eltern, dem Kind kein Insulin zu spritzen, und Aussetzen der Insulininjektionen), vom Gericht keine „reflektierte Zuordnung vorgenommen“, so liegt darin ein „durchgreifender Rechtsfehler,“[315] der zur Aufhebung des Urteils zwingt.
Ein weiteres anschauliches Beispiel hierfür bietet die in Rn. 539 berichtete Entscheidung des BayObLG.[316] Als aktives Tun kam nur die Verordnung eines Schmerzmittels und allenfalls der Hinweis in Betracht, dass der Patient sich am nächsten Tag beim Hausarzt und Neurologen vorstellen solle. Da durch diese Handlungen aber die bei dem Patienten eingetretene massive Hirnblutung nicht verursacht worden war, das Landgericht vielmehr festgestellt hatte, dass diese bei sofortiger Einweisung in eine Klinik zur computertomographischen Untersuchung vermeidbar gewesen wäre, liegt „nicht nur der Schwerpunkt des Vorwurfs auf einer pflichtwidrigen Unterlassung, der als strafrechtlich relevant angesehene Vorwurf beschränkt sich vielmehr auf diese Unterlassung“. § 13 Abs. 1 StGB sei „weder zitiert noch inhaltlich angesprochen“ worden, so dass das landgerichtliche Urteil „schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben“ könne. Der BGH meint aber, das Revisionsgericht dürfe in den Fällen, in denen ein unterschiedliches Ergebnis der Abwägung „vertretbar wäre, eine vom Tatrichter unterlassene Würdigung nicht durch eine eigene ersetzen“.[317]
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Da es bei „doppelrelevantem“ bzw. „ambivalentem“ Täterverhalten um ein Wertungsproblem geht, sind die Antworten für einzelne Fälle nicht selten umstritten, zumal schon die genannten Entscheidungskriterien alles andere als präzise sind. Dies zeigt z.B. der nachstehend geschilderte „Hepatitis-Fall“ sehr deutlich:[318]
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Beispiel:
„Der angeklagte Klinikdirektor hatte sich mit Hepatitis B infiziert, ohne jemals Krankheitssymptome an sich festzustellen. Obwohl die Krankheit einen chronischen Verlauf nahm und von ihm eine extrem hohe Infektiosität ausging, ließ er sich weder impfen noch unterzog er sich den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, zu denen nahezu das gesamte Klinikpersonal herangezogen wurde. Die Strafkammer sah hierin einen Verstoß gegen seine ärztliche Sorgfaltspflicht, der dazu führte, dass er im Rahmen der von ihm durchgeführten zahlreichen Operationen fahrlässig bei 12 Patienten Gesundheitsschädigungen verursachte“.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten deshalb wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen; seine hiergegen gerichtete Revision blieb ohne Erfolg, obwohl die Strafkammer sich im Urteil weder ausdrücklich mit den Voraussetzungen noch mit den Rechtsfolgen einer Unterlassungsstrafbarkeit auseinandergesetzt hatte. Denn das Verhalten des Angeklagten sei hier nach den Gesamtumständen der Tatbegehung jedenfalls als aktives Tun zu qualifizieren, so dass sich eine andere Entscheidung des Tatrichters als unvertretbar darstellen würde. Im Revisionsurteil heißt es:
„Im vorliegenden Fall ist der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens in der Vornahme der Herzoperation zu sehen, welche unmittelbar und ohne weitere Zwischenschritte zur Infektion der Patienten führte. Die Argumentation der Revision, die Operationen als solche seien lege artis erfolgt und stellten daher keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit dar, beschränkt sich auf den rein operativ-handwerklichen Vorgang und greift insofern zu kurz. Geht man vielmehr davon aus, dass ein Chirurg mit hochgradig ansteckender HBV-Infektion nicht operieren darf, so stellt sich gerade die Durchführung der Operation im infektiösen Zustand als nicht ordnungsgemäß und damit strafrechtlich relevant dar. Die Ursache der Infektionen liegt in einem tätigen Handeln des Angeklagten begründet. Das Unterlassen der gebotenen Kontrolluntersuchungen – für sich genommen – vermag demgegenüber nicht ohne weiteres zu einer Strafbarkeit zu führen, da erst bei Vornahme der Operation die Infektion eintritt, die unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung der Gesundheitsschädigung führt. Bei bewusst fahrlässigem oder gar bedingt vorsätzlichem Verhalten des Angeklagten bestände auch kein Zweifel, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bei der Durchführung der Operation in infiziertem Zustand und nicht im Unterlassen der gebotenen Untersuchung liegt“.[319]
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In diesem Fall kommt es gedanklich in Betracht, einerseits schon an die pflichtwidrig erscheinende Auslassung der Kontrolluntersuchung anzuschließen, die ein entscheidender Schritt gegen die spätere Verletzungshandlung hätte sein können. Andererseits ist die Operation im infektiösen Zustand ein möglicher Anknüpfungspunkt. Da sie jedoch ihrerseits gerade infolge des unzureichend ausgeschlossenen Infektionsstatus eine nicht hinnehmbare und vermeidbare Gefahrsteigerung bedeutete, wurde der Fall zutreffend als aktives Tun eingeordnet. Ulsenheimer betont insoweit zu Recht, dass sich das Geschehen nur sinnwidrig in die Operation (Handlung) und in die unterlassene jährliche Kontrolluntersuchung aufspalten lasse; vielmehr sei der ärztliche Heileingriff durch einen ansteckend erkrankten Chirurgen als zusammengehöriges fahrlässiges Übernahmeverschulden und damit aktives Tun der Prüfung zugrunde zu legen.[320]
c) Die Garantenstellung des Arztes
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Zentral für die Unterlassungsdelikte ist das Gleichstellungserfordernis der Garantenstellung. Nur durch diese wird überhaupt erklärlich, wie ein „Nichtstun“ ein strafrechtliches Delikt verwirklichen kann. Hierbei ist als Ausgangspunkt zu betonen, dass ein Arzt gerade nicht schon von Berufs wegen automatisch der Garant eines Erkrankten ist; die Garantenstellung ist vielmehr bezüglich des konkreten Patienten erst herzuleiten.[321] Und ob eine solche besteht, „ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen, vielmehr hängt die Entscheidung letztlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab“.[322]
aa) Garantenstellung