3. Bewaffnete Überfälle und Einbrüche mit Todesopfern
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Immer wieder sorgen mit Waffen verübte Raubdelikte für Aufsehen. Beispiel Taximorde[107]: Charakteristisch ist der Fall eines zur Tatzeit knapp 21-jährigen Angeklagten, der sich Anfang 2009 in finanziellen Schwierigkeiten befunden und in 2 Fällen, bewaffnet mit einem Teleskopschlagstock, am Zielort die Taxifahrer mit wuchtigen Schlägen schwer verletzt hatte, um mit einer lächerlichen Beute von 250,00 € bzw. 100,00 € zu entkommen[108]. Aus Verteidigersicht ist nicht selten das sichere „Wiedererkennen“ des Tatverdächtigen durch das Opfer problematisch. Die Verwendung eines „Totschlägers“[109] wirft die Frage auf, ob sogar (bedingter) Tötungsvorsatz vorlag und von einem Mordversuch auszugehen ist. Da die Opfer überlebt haben, wäre allerdings die Frage nach einem strafbefreienden Rücktritt[110] zu stellen. Die Beuteerwartung kann nicht hoch gewesen sein; also ist beim Täter von akuter Geldnot auszugehen. Womöglich handelt es sich um die Beschaffungstat eines Drogenabhängigen, was die Hinzuziehung eines Psychosachverständigen zur Beurteilung der Steuerungsfähigkeit erforderlich machen würde. Hier ist jeweils, fehlende Vorstrafen und ein reumütiges Geständnis vorausgesetzt, auch an einen minder schweren Fall[111] zu denken.
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Während tödlich verlaufende Überfälle auf Geldinstitute, wie etwa der spektakuläre Bankraub in Gladbeck im Jahre 1988, der mit dem Tod zweier Geiseln endete[112], dank vielfältiger Schutzvorkehrungen mittlerweile äußerst selten sind, machen immer noch brutale, tödlich endende Überfälle auf Tankstellen[113], Geldboten[114] oder Spielhallen[115] von sich reden. Auch Einbrüche in Wohn- und Geschäftsräume unter Mitnahme von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen enden mitunter tödlich, wenn die Täter durch Hausbewohner überrascht werden, in Panik geraten und spontan töten, um unerkannt zu bleiben[116]. Erstickt das Opfer, das mittels eines Knebels oder Klebebandes am Schreien gehindert werden sollte, liegt eine Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf vor[117]. Nicht selten sind die Täter drogen- oder alkoholabhängig und zur Tatzeit berauscht, sodass sich häufig genug die Frage der Schuldverminderung gem. § 21 StGB und der Unterbringung stellt[118].
4. Bluttaten im Namen der Ehre
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Weil Tötungen aus Blutrache und sog. Ehrenmorde[119] große Gemeinsamkeiten aufweisen und vielleicht auch mit denselben Klischees behaftet sind, werden sie nicht selten in einem Atemzug genannt und auch juristisch abgehandelt. Täter und Opfer sind zumeist nichtdeutscher Abstammung und kommen aus strenggläubigen Einwandererfamilien, die sich noch sehr stark an heimatlichen Wertvorstellungen und Gebräuchen orientieren oder sich, wie etwa die Yeziden, bedingungslos den ungeschriebenen Gesetzen ihrer Glaubensgemeinschaft unterwerfen. Die Beteiligten leben zumeist abgeschottet in Parallelwelten oder Parallelgesellschaften und haben kaum Kontakte zu deutschen Familien. Ehen oder Liebschaften mit Deutschen sind tabu. In der Kultur ihres jeweiligen Herkunftslandes haben Ehrenmorde und Blutrache seit Langem eine unheilvolle Tradition. In beiden Konstellationen spielt die verletzte Ehre eines Familienverbandes eine entscheidende Rolle[120]. Und hier wie dort stellt sich die Frage, ob die durch Herkunft, Erziehung, Glauben oder Tradition bewirkte „Verblendung“ des Täters der Annahme niedriger Beweggründe[121] entgegensteht.
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Aus Sicht eines Strafverteidigers in Schwurgerichtsverfahren ist allerdings dringend davor zu warnen, Tötungen aus Blutrache und Ehrenmorde in einen Topf zu werfen. Sie lassen sich, was die emotionale Ausgangslage des Täters anlangt, in vielen Fällen kaum miteinander vergleichen. Und sie werfen auch im Rahmen des Verteidigungskonzepts völlig unterschiedliche Fragen auf. Angesichts großer Übereinstimmungen hinsichtlich des kulturellen Hintergrunds und gängiger Denkschablonen kommt mitunter im Einzelfall die sorgfältige Prüfung zu kurz, ob es sich überhaupt um einen „klassischen Fall“ von Ehrenmord oder Blutrachetötung handelt, der die Annahme einer geplanten Bluttat aus niedrigen Beweggründen nahelegen könnte.
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Bluttaten im Namen der Ehre mögen zahlenmäßig nicht sonderlich groß sein, sind aber durchweg aufsehenerregend. Wenn die verblendeten Täter denn überhaupt gefasst und vor Gericht gestellt werden, steht ihnen die breite Öffentlichkeit in Deutschland zumeist mit völligem Unverständnis gegenüber. Entsprechend groß ist der mediale Druck, der auf dem SchwurG lastet. Die Gefahr, dass die Tat des Angeklagten vorschnell in das Raster der „Blutrache“ oder des „Ehrenmordes“ gepresst wird, ist nicht unbeträchtlich. Die Verteidigung in diesen Fällen erfordert Engagement und Unerschrockenheit, aber auch kritische Distanz. Gerade in Blutrachefällen gibt es kaum neutrale Zeugen, vielmehr stehen sich Zeugen zweier, seit jeher verfeindeter Lager unversöhnlich gegenüber. Das schlägt sich unter Umständen auch in der Bereitschaft nieder, für die „gute Sache“ des eigenen Lagers – wenn nötig – hemmungslos zu lügen. Und die Erwartungen an den Verteidiger, einen Freispruch, zumindest aber eine „milde Strafe“ zu erreichen, sind hoch. Auf der anderen Seite steht die Familie des Opfers, die zwar ebenfalls anwaltlich vertreten[122] ist, aber aus dem Verlangen, nun ihrerseits Rache zu üben, keinen Hehl macht. Geht es vor dem SchwurG um eine Tötung aus Blutrache, ist sonnenklar, dass auf der „Opferseite“ bereits Überlegungen oder Entscheidungen getroffen worden sind, an wem man Rache üben und welches Mitglied der Opferfamilie die Vollstreckung übernehmen wird. Der Verteidiger muss also von Anbeginn darauf drängen, den inhaftierten Mandanten von Mithäftlingen abzuschirmen, die mit der Opferfamilie – wenn auch nur weitläufig – verwandt sind.
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Für die Hauptverhandlung ist ein Höchstmaß an Sicherheit einzufordern[123], um der Gefahr einer Eskalation oder gar tätlicher Angriffe im Gerichtssaal und auf den Zugängen entgegenzuwirken. Nicht nur die Familie des Opfers stellt u.U. ein Sicherheitsrisiko dar. Im Februar 2009 kam es in Hamburg in dem vorerwähnten Prozess um die Tötung der 16-jährigen Morsal O. zu tumultartigen Szenen, als das LG die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verkündete. Die Mutter des Verurteilten drohte noch im Gerichtssaal, sich aus dem Fenster zu stürzen, wurde aber durch ein Familienmitglied vom Fensterbrett gezerrt. Der Vater wurde vor dem Gerichtsgebäude ausfallend und bedrohte dort anwesende Journalisten. Bereits im Sitzungssaal hatten die Familienmitglieder immer wieder gegen die schusssichere Glasabtrennung gepocht. Ein jüngerer Bruder des Angeklagten musste, weil er das Gericht anpöbelte, abgeführt werden, andere Familienmitglieder begleiteten die Urteilsbegründung mit lautem Schluchzen. Immer wieder gab es Zwischenrufe. Selbst der Angeklagte attackierte die Richter verbal und warf einen Papierstapel in ihre Richtung[124]. Auch das LG Hagen musste sich in dem oben dargestellten Fall nach der Urteilsverkündung unflätige Beschimpfungen durch den Vater des Angeklagten anhören, der ausgerastet war und wegen der Strafhöhe laut auf dem Gerichtsflur skandierte[125].
a) Ehrenmorde
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Ehrenmorde finden innerhalb der eigenen Familie statt. Das Grundschema des Ehrenmordes, wie er vorwiegend in türkischstämmigen Familien vorkommt, besteht in der Tötung eines zumeist weiblichen Familienmitgliedes durch ein männliches Mitglied ein und derselben Familie zur Wiederherstellung der Familienehre, die zuvor durch das Opfer beschmutzt bzw. beschädigt worden ist. Mit der Tötung des „Rechtsbrechers“ durch die Hand eines Familienmitglieds ist die verloren geglaubte Ehre der Familie wiederhergestellt und der Konflikt „bereinigt“[126]. Das landläufig verbreitete