3. (Aktives und passives) Personalitätsprinzip
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Die Personalitätsprinzipien ziehen Täter bzw. Opfer einer Tat heran, um nationale Strafgewalt zu beanspruchen. Begründet wird dies mit der Zugehörigkeit der Person zu einem völkerrechtlichen Souverän, die in der verliehenen Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommt (Grundsatz der Personalhoheit über die eigenen Staatsbürger).[41]
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Das aktive Personalitätsprinzip knüpft an die Staatsangehörigkeit des Täters. Da einem Bürger nicht nur Rechte, sondern auch Treuepflichten gegenüber dem Heimatstaat obliegen, sei die Ausübung seiner Strafgewalt bei Straftaten der eigenen Bürger im Ausland legitim.[42] Ein solcher Ansatz wird indessen zu Recht zunehmend als kritisch angesehen, unter anderem weil er autoritäres Staatsdenken zu fördern vermag.[43]
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Zunehmend wird stattdessen die Nähe des aktiven Personalitätsprinzips zum Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege (Rn. 30 f.) betont.[44] Von Bedeutung ist das aktive Personalitätsprinzip schließlich vor allem dann, wenn ein Staat seine Bürger zwar nicht an den Tatortstaat ausliefert, deren Taten dann aber gleichwohl selbst aburteilt.[45] Daher wird es mittlerweile in erster Linie als Zeichen internationaler Solidarität angesehen, bei Straftaten der eigenen Staatsbürger im Ausland seine Strafgewalt zu beanspruchen.[46]
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Das sog. passive Personalitätsprinzip (oder auch Individualschutzprinzip) greift auf die Staatsangehörigkeit des Opfers einer Straftat zurück, um die nationale Strafgewalt zu beanspruchen. Schließlich übernehme der Staat eine Schutzfunktion zugunsten seiner Bürger.[47] Dem wird unter anderem entgegengehalten, dass der Täter häufig um die Staatsangehörigkeit des Opfers nicht wisse und daher unerkannt der Strafgewalt dessen Heimatstaates unterliege.[48] Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass Adressat des passiven Personalitätsprinzips in der Regel kein eigener Staatsangehöriger, sondern ein ausländischer Bürger im Ausland ist.[49]
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Im Vergleich zum Staatsgebiet erscheint die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer jedenfalls als schwächerer „genuine link“. Dies gilt vor allem für das passive Personalitätsprinzip.[50] Es wird daher diskutiert, ob die Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer allein ausreicht, um die nationale Strafgewalt auch bei Auslandstaten zu beanspruchen, ein absolutes aktives bzw. passives Personalitätsprinzip folglich überhaupt mit dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzip vereinbar ist.[51] In der Tat stellt sich etwa die Frage, weshalb beim aktiven Personalitätsprinzip ein Staat seinen Staatsangehörigen für seine (nach seiner Rechtsordnung strafbaren) Handlungen in einem anderen Staat strafrechtlich zur Verantwortung ziehen soll, wenn er sich dort im Einklang mit geltendem Recht verhalten hat bzw. vielleicht sogar auf diese Art und Weise verhalten musste. Um solchen Bedenken Rechnung zu tragen, wird ein eingeschränktes aktives Personalitätsprinzip vorgeschlagen, wonach z.B. die Tat auch nach dem Recht des Tatorts (lex loci) strafbar sein[52] oder der Täter seinen Wohnort oder zumindest seine Lebensgrundlage in seinem Heimatstaat haben muss (sog. Domizilprinzip).[53] Ähnliche Überlegungen werden im Hinblick auf ein eingeschränktes passives Personalitätsprinzip geäußert.[54]
4. Realprinzip
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Ist nicht der einzelne Bürger, sondern der Staat selbst in eigenen schützenswerten Belangen betroffen, gestattet ihm das sog. Realprinzip (oder auch Staatsschutzprinzip) in Abgrenzung zum passiven Personalitätsprinzip (oder auch Individualschutzprinzip), die Strafgewalt zur Verteidigung nationaler Interessen auch auf Auslandstaten zu erstrecken.[55] In diesem Fall muss sich der beeinträchtigte Staat nicht mit einer etwaigen Verfolgung der Tat durch den Territorialstaat begnügen, auf dessen Gebiet die Tat begangen wird. Ohnehin dürfte diese Aussicht nicht selten nur eine vage sein, da dies sowohl die Strafbarkeit der Tat am Tatort als auch den Willen zur Strafverfolgung voraussetzt.[56]
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Bedenken stehen dem Realprinzip nicht entgegen. Vielmehr ist es völkerrechtlich anerkannt, dass sich ein Staat gegen Angriffe auf wesentliche Rechtsgüter, insbesondere auf seine Sicherheit, territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit selbst dann zur Wehr setzen darf, wenn diese im Ausland unternommen werden.[57] Ebenso wenig bedarf es in diesen Fällen einer Berücksichtigung des Tatortrechts.[58] Fraglich erscheint „lediglich“ die Abgrenzung zwischen wesentlichen und nicht dem Realprinzip unterfallenden Rechtsgütern eines Staates.[59]
5. Weltrechtsprinzip
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Das sog. Weltrechtsprinzip (oder auch Universalitätsprinzip) ermöglicht es, Straftaten unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort und von der Staatsangehörigkeit des Täters bzw. Opfers weltweit zu verfolgen.[60] Dazu bedarf es entweder eines gemeinsamen Sicherheitsinteresses oder der Beeinträchtigung eines universell anerkannten Rechtsgutes. Anders als beim Realprinzip verficht ein Staat dann nicht ein ihm eigenes, sondern ein gemeinsames Interesse der Völkergemeinschaft.[61] Daher muss auch das Tatortrecht nicht berücksichtigt werden. Der Verfolgerstaat übt seine Strafgewalt zudem originär und nicht etwa nur stellvertretend für den Tatortstaat aus. Allenfalls kann die Rede von einer stellvertretenden oder treuhänderischen Tätigkeit für die gesamte Staatengemeinschaft sein.[62]
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Zwar bestehen wegen des gemeinsamen Verfolgungsinteresses der Staatengemeinschaft grundsätzlich keine Bedenken im Hinblick auf den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz.[63] Jedoch lässt sich nur schwer feststellen, welche Sicherheitsinteressen bzw. welche Rechtsgüter universell anerkannt sind und von jedem völkerrechtlichen Souverän als verteidigungswürdig bzw. schützenswert erachtet werden.[64] Zu den gemeinsamen Sicherheitsinteressen zählen etwa die Verfolgung der Piraterie[65] und der Kampf gegen den Terrorismus (siehe insoweit etwa die Sonderregelung in § 129b Abs. 1 S. 2 StGB), zu den schützenswerten Rechtsgütern die fundamentalen Menschenrechte, die durch die Straftatbestände des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen geschützt werden.[66] Es obliegt jedenfalls nicht der politischen Entscheidung des einzelnen Staates, eine Straftat einseitig dem Weltrechtsprinzip zu unterstellen.[67]
6. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege
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Sollte es einem Staat nicht möglich sein, seine Strafgewalt auszuüben, darf nach dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege der Ergreifungsstaat jenes Strafverfolgungsinteresse wahrnehmen.[68] Dies gilt vor allem dann, wenn der mutmaßliche Täter aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht an den Tatortstaat ausgeliefert werden kann. Daher wird das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege auch auf die völkerrechtliche Regel „aut dedere aut iudicare“ zurückgeführt, wonach der Beschuldigte entweder ausgeliefert oder strafrechtlich verfolgt werden muss.[69]
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Anders als beim Weltrechtsprinzip übt der Ergreifungsstaat keine originäre, sondern eine