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Welche Taten als Inlandstaten einzuordnen sind, richtet sich nach deren Begehungsort. § 9 StGB greift hierbei auf das Ubiquitätsprinzip zurück und zieht als Begehungsort sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort heran. In Anlehnung an die deutsche Beteiligungsdogmatik enthält § 9 Abs. 1 StGB eine Regelung für Täter (Rn. 43 ff.) und § 9 Abs. 2 StGB eine ähnlich aufgebaute Regelung für Teilnehmer (Rn. 46 ff.). Für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts genügt es, dass nur einer der ggf. zahlreichen Tatorte sich im Inland befindet.[88]
bb) Begehungsort der Tat (§ 9 Abs. 1 StGB)
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Nach § 9 Abs. 1 StGB ist eine Tat zunächst „an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen.“ Mit diesen beiden ersten Varianten wird das Tätigkeitsprinzip aufgegriffen und zugleich die deutsche Unterscheidung zwischen den beiden Begehungsmodalitäten des aktiven Tuns und des Unterlassens (zum Begehungsort bei Unterlassungstaten Rn. 73) berücksichtigt. Zur Zurechnung von Begehungsorten bei Mittäterschaft und bei mittelbarer Täterschaft Rn. 81 f.
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Ein weiterer Begehungsort liegt gemäß § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB an jedem Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Diese Regelung greift das Erfolgsprinzip auf, aus dessen Zusammenspiel mit dem Tätigkeitsprinzip das Ubiquitätsprinzip erwächst. Umstritten ist nicht zuletzt die Anwendbarkeit der Vorschrift bei abstrakten Gefährdungsdelikten (Rn. 74 f.).
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§ 9 Abs. 1 Var. 4 StGB bestimmt einen Begehungsort der Tat schließlich an jedem Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg „nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte“. Diese Regelung erscheint allerdings dann als kritikwürdig, wenn der Täter einem Irrtum über den Erfolgsort unterliegt und sein Verhalten entgegen seiner Vorstellung überhaupt keine Auswirkungen auf dem Territorium des betreffenden Staates entfalten kann. Allein die Absicht, einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg im Inland zu bewirken, erscheint nicht als ausreichender Anknüpfungspunkt.[89]
cc) Begehungsort der Teilnahme (§ 9 Abs. 2 StGB)
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§ 9 Abs. 2 StGB bestimmt den Begehungsort für die Teilnahme. Die eigenständige Regelung lehnt sich in ihrem Satz 1 an § 9 Abs. 1 StGB an, indem ebenso diejenigen Orte herangezogen werden, an denen der Teilnehmer gehandelt hat (vgl. § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB) oder im Fall des Unterlassens hätte handeln müssen (vgl. § 9 Abs. 1 Var. 2 StGB) oder an denen nach der Vorstellung des Teilnehmers die Tat begangen werden sollte (vgl. § 9 Abs. 1 Var. 4 StGB). An die Stelle des Erfolgsorts gemäß § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB tritt der – in § 9 Abs. 2 StGB zuerst genannte – Ort, an dem die Tat begangen ist; der Begehungsort der Tat bildet somit gewissermaßen den Erfolgsort der Teilnahme.[90] Dies hat jedoch zur Folge, sämtliche vier möglichen Begehungsorte des § 9 Abs. 1 StGB ebenso als Begehungsorte der Teilnahme anzusehen. Mitunter werden daher bis zu zehn verschiedene Begehungsorte der Teilnahme gezählt.[91]
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Die nicht unerhebliche Vielzahl von Begehungsorten des Teilnehmers und die damit einhergehende Reichweite der nationalen Strafgewalt erfährt keine weitere Einschränkung. Dies wäre vor allem dann zu erwägen, wenn die Begehungsorte in verschiedenen Staaten liegen und daher mehrere nationale Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen und ggf. sogar Strafbarkeiten anwendbar sind. Stattdessen sieht § 9 Abs. 2 S. 2 StGB ausdrücklich vor, dass das Tatortrecht selbst bei Straflosigkeit der Tat keine Berücksichtigung findet, wenn der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt hat. Für diese weite Regelung werden unter anderem generalpräventive Gesichtspunkte und der Gedanke der Gleichbehandlung angeführt; schließlich sollen sämtliche Teilnahmehandlungen im Inland dieselben strafrechtlichen Folgen nach sich ziehen.[92] Ob solche Überlegungen es indessen rechtfertigen, die Teilnahme an einem im Ausland straflosen Verhalten unter Strafe zu stellen, erscheint fraglich, wird die strafrechtliche Beurteilung des Tatortstaats dadurch jedenfalls bewusst nicht beachtet.[93]
a) § 4 StGB: Flaggenprinzip
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§ 4 StGB setzt das Flaggenprinzip in deutsches Recht um. Danach gilt auch für Taten, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, deutsches Strafrecht, sofern das jeweilige Fortbewegungsmittel berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Wer sich auf ein solches Fahrzeug begibt, soll durch das deutsche Strafrecht geschützt werden, unabhängig sowohl von dem Standort des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Tat als auch von dem Verfolgungswillen des Territorialstaats.[94] Unerheblich ist, ob sich das Fahrzeug bereits fortbewegt oder noch bzw. schon wieder zum Halt gekommen ist.[95] Ebenso wenig kommt es auf die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer an.
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Dass mit § 4 StGB keine Erweiterung des Staatsgebiets einhergeht, sondern lediglich ein inländischer Tatort fingiert wird („gilt“),[96] verdeutlicht der Verweis auf die Unbeachtlichkeit des Tatortrechts. Befindet sich der Tatort ohnehin nach den §§ 3, 9 StGB im Inland, kommt § 4 StGB keine gesonderte Bedeutung zu und wird überwiegend § 3 StGB als vorrangige Regelung angesehen.[97]
b) § 5 StGB: Realprinzip und sonstige legitimierende Anknüpfungspunkte
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§ 5 StGB nennt in einem abschließenden Katalog zahlreiche Straftatbestände, die – zum Teil unter bestimmten Voraussetzungen – auch bei Auslandstaten gelten sollen. Als Zweck der Vorschrift wird angesehen, eine Bestrafung als strafwürdig angesehener Verhaltensweisen auch dann zu gewährleisten, wenn diese nach dem – ausdrücklich unbeachtlichen – Recht des Tatortes entweder nicht strafbar sind oder eine Verfolgung im Tatortstaat aus sonstigen Gründen nicht gesichert ist.[98]
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Die meisten Nummern aus dem Katalog des § 5 StGB sind zumindest in erster Linie dem Realprinzip (Rn. 26 f.) geschuldet und postulieren somit ein besonderes Schutzbedürfnis der jeweiligen inländischen Rechtsgüter.[99] Allerdings rekurriert § 5 StGB – wie die durch das 49. StrÄndG vom 21. Januar 2015[100] geänderte Überschrift („Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug“) seitdem klarstellt – darüber hinaus auf weitere Prinzipien.[101] So wird unter anderem vorausgesetzt, dass „der Täter [zur Zeit der Tat] Deutscher ist“ (so Nr. 3 lit. a, Nr. 5 lit. b, Nr. 6 lit. c, Nr. 8, Nr. 9 lit. a und lit. b, Nr. 9a lit. a und lit. b, Nr. 11a, Nr. 15 lit. a und Nr. 16 lit. a; aktives Personalitätsprinzip) oder „seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat“ (so Nr. 3 lit. a, Nr. 5 lit. b und Nr. 9 lit. b; Domizilprinzip). Mitunter werden auch verschiedene Prinzipien kombiniert. So muss sich exemplarisch nach Nr. 6 lit. a die Tat „gegen eine Person richten, die zur Zeit der Tat Deutsche ist“ (passives Personalitätsprinzip; vgl. auch Nr. 15 lit. d und Nr. 16 lit. b)[102] und muss diese Person darüber hinaus „ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland“ haben (Wohnsitzprinzip;