7. Abschnitt: Geltungsbereich des Strafrechts › § 31 Räumlicher Geltungsbereich › C. Hauptteil
1. Überblick über die Regelung in Deutschland
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In Deutschland ist das Strafanwendungsrecht in den §§ 3 ff. StGB geregelt. Primärer Anknüpfungspunkt für die nationale Strafgewalt ist gemäß § 3 StGB der Begehungsort der Tat. Er muss grundsätzlich im Inland liegen, damit die nationalen Strafvorschriften anwendbar sind. In erster Linie wird in Deutschland somit das Territorialitätsprinzip zur Bestimmung wie Begrenzung der nationalen Strafgewalt herangezogen.
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Zuvörderst auf das Territorialitätsprinzip zurückzugreifen und die Staatsgewalt an das eigene Staatsgebiet anzuknüpfen, dürfte mittlerweile in den weitaus meisten Staaten üblich sein. In Deutschland war allerdings über dreißig Jahre lang das aktive Personalitätsprinzip der maßgebliche völkerrechtliche Grundsatz im Strafanwendungsrecht. Hintergrund der Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6. Mai 1940[74] war jedoch das Anliegen, die „völkischen Treuepflichten“ der Bürger gegenüber dem Staat zu betonen (zur Kritik an dem aktiven Personalitätsprinzip schon Rn. 22); das Territorialitätsprinzip galt allerdings gemäß § 4 StGB a.F. ergänzend für Ausländer. Trotz der offensichtlichen Prägung durch nationalsozialistische Vorstellungen[75] blieb diese Regelung bis zum 1. Januar 1975 in Kraft, bevor durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. Juli 1969[76] in (dem seitdem unveränderten) § 3 StGB wieder das Territorialitätsprinzip zum grundlegenden Prinzip des Strafanwendungsrechts erhoben wurde.
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Aus der Anknüpfung an das Territorialitätsprinzip ergibt sich eine wesentliche Systematik der §§ 3 ff. StGB: die Differenzierung zwischen Inlands- und Auslandstaten. Für Inlandstaten gilt gemäß § 3 StGB das deutsche Strafrecht ohne weitere Voraussetzungen. Wo eine Straftat begangen wird, bestimmt sich nach § 9 StGB, der als Begehungsorte sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort nennt und somit das Ubiquitätsprinzip (Rn. 19) übernimmt.
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Handelt es sich nach den vorstehenden Grundsätzen nicht um eine Inlandstat, liegt zwingend eine Auslandstat vor. Sämtliche Straftaten lassen sich demnach entweder als Inlands- oder Auslandstat einteilen. Eine dritte Kategorie existiert nicht. Auch Straftaten, die außerhalb jeglichen Staatsgebiets (z.B. auf hoher See) und somit an sich weder im Inland noch im Ausland begangen werden, sind als Auslandstaten zu verstehen.[77]
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Auf Auslandstaten ist das deutsche Strafrecht nur unter den Voraussetzungen der §§ 4 ff. StGB anwendbar. Zunächst gilt das deutsche Strafrecht nach § 4 StGB – unter Heranziehung des Flaggenprinzips (Rn. 20) – für Taten auf Schiffen oder Luftfahrzeugen unter deutscher Flagge bzw. deutschem Staatszugehörigkeitszeichen. Des Weiteren zählt § 5 StGB abschließend bestimmte Straftaten auf, in denen das deutsche Strafrecht gilt. Überwiegend greift der Gesetzgeber hierbei auf das Realprinzip (Rn. 26 f.) zurück, zum Teil werden aber auch Personalitätsprinzipien sowie das Wohnsitz- und das Domizilprinzip herangezogen. Gemeinsam ist sämtlichen Nummern des § 5 StGB, dass die Strafbarkeit am Tatort unbeachtlich bleibt. § 6 StGB zählt unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip (Rn. 28 f.) weitere Straftaten auf, bei denen – wiederum unabhängig vom Recht des Tatorts – das deutsche Strafrecht gilt.
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An das passive und aktive Personalitätsprinzip (Rn. 21 ff.) knüpfen § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB an. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB übernimmt schließlich den Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege (Rn. 30 f.) in das deutsche Recht. Insoweit wird jeweils die lex loci berücksichtigt und setzt die Erstreckung der nationalen Strafgewalt auf die Auslandstat daher voraus, dass „die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt“.
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Es lässt sich festhalten, dass nicht zuletzt wegen der stetig wachsenden Kataloge der §§ 5, 6 StGB das Territorialitäts- als Ausgangsprinzip des deutschen Strafanwendungsrechts zahlreiche Ergänzungen bei Auslandstaten erfährt. Sowohl die Entwicklung im Allgemeinen als auch einzelne Vorschriften sind im Hinblick auf den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz nicht unkritisch zu begleiten.[78]
a) § 3 StGB: Territorialitätsprinzip
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§ 3 StGB leitet den Normenkomplex zum Strafanwendungsrecht mit der Regelung ein, dass das deutsche Strafrecht für Taten gilt, die im Inland begangen werden. Damit wird das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip als maßgebliches Kriterium für die Reichweite der deutschen Strafgewalt herangezogen. Was zum „Inland“ im Sinne der Vorschrift gehört, wird ebenso unter Heranziehung der völkerrechtlichen Überlegungen zur Ausdehnung des Staatsgebiets ermittelt.[79] Inzwischen[80] ergeben sich somit keine Unterschiede zwischen der deutschen Rechtslage und dem völker- und staatsrechtlichen Inlandsbegriff.[81]
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Unter Tat im Sinne des § 3 StGB soll nach herrschender Meinung – ebenso wie bei § 4 und § 7 StGB – die Tat im prozessualen Sinne zu verstehen sein.[82] Ob es sich bei einer Tat um eine Auslands- oder um eine Inlandstat handelt, wird somit stets für das gesamte Verhalten des Täters entscheiden, das mit den in der Anklage umschriebenen Vorkommnissen nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt.[83] Schließlich gelte es gerade solche Lebenssachverhalte strafrechtlich (nach deutschem Recht) zu bewerten.[84] Dem wird entgegengehalten, dass die Bestimmung des Begehungsortes gemäß § 9 Abs. 1 StGB und somit auch die Einordnung eines Geschehens als Inlandstat stets den jeweiligen Straftatbestand in den Blick nehmen muss und demzufolge für jeden einzelnen Straftatbestand getrennt zu erfolgen hat.[85]
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Unstreitig bleibt hingegen im Rahmen der §§ 5, 6 StGB auf die Tat im materiellrechtlichen Sinne abzustellen. Bei diesen Vorschriften orientiert sich der Umfang des räumlichen Geltungsbereichs gerade an einzelnen Straftatbeständen.[86] Die Erstreckung der nationalen Strafgewalt knüpft hier an die jeweiligen Schutzgüter der einzelnen Vorschriften und nicht an einen Lebenssachverhalt in seiner Gesamtheit an.[87]