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Parallelen sind dennoch zu erkennen, wenn die Rechtsprechung diesbezüglich betont, dass die „(personale) Handlungskomponente und die (tatbezogene) Erfolgskomponente der Strafzumessungsschuld (…) nicht getrennt betrachtet werden“ können, sondern „einer Gesamtwürdigung zu unterziehen“ sind, in der ein Weniger an Erfolgsunwert (im konkreten Fall: Beutewert) durch ein Mehr an Handlungsunwert (in concreto: die beharrliche Nichtbeachtung diverser einschlägiger Strafen, Tatbegehung in laufender Bewährungszeit kurz nach letzter Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Tat) kompensiert werden kann.[137]
6. Abschnitt: Die Straftat › § 29 Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie Gesinnungsunwert der Tat › E. Zusammenfassung
E. Zusammenfassung
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Kehrt man auf dieser Grundlage einmal zu der eingangs aufgeworfenen Frage zurück, wie „ein bestimmtes Verhalten eigentlich zu einer Straftat“ wird bzw. was das Unrecht einer Straftat ausmacht, so lässt sich darauf folgende abgestufte Antwort geben:[138]
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1. Wird durch eine Handlung ein Rechtsgut beeinträchtigt, so begründet dies das Erfolgsunrecht, wobei man die Eigenschaft des Erfolgsunrechts als „konstitutiv“ auch an der Frage messen muss, wie man den Begriff des Erfolgsunrechts versteht, insb. ob man ihn mit dem des Außenwelterfolgs gleichsetzt.
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2. Ist diesbezüglich Vorsatz des Handelnden zu bejahen, dann spricht auf Grund der großen Bedeutung der subjektiven Handlungsunrechtskomponente ein erster „Hinweis“[139] für das Vorliegen auch des Handlungsunrechts.[140] Dies beruht darauf, dass einige typischerweise unrechtsbegründende objektive Handlungsunrechtselemente des Fahrlässigkeitsdelikts beim Vorsatzdelikt verzichtbar sind, und es bestätigt auch die unrechtsindizierende Wirkung der Verletzung von Rechtsgütern auf grundsätzlich strafrechtlich relevanten Angriffswegen.
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3. Dieser vorläufige Hinweis kann aber durch bestimmte objektive Gesichtspunkte widerlegt werden, die auf Grund ihrer Existenz – unabhängig von der subjektiven Einstellung des Täters – einer Missbilligung des Verhaltens und damit dem Handlungsunrecht entgegenstehen. Diese Gesichtspunkte bilden die Fallgruppen der „objektiven Zurechnung“ bzw. des „nicht tatbestandsmäßigen Verhaltens“, soweit bei diesen (einhellig) die Kenntnisse des Täters für unbeachtlich gehalten werden.[141] Daneben gibt es aber auch Fälle, in denen das Handlungsunrecht ausgeschlossen ist, weil die objektiven und subjektiven Handlungsunwertkomponenten jeweils nur abgeschwächt vorliegen und daher entgegen dem ersten Hinweis zusammen nicht in der Lage sind, tatsächlich das Unrecht der Tat zu begründen.
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4. Ohne dass damit zu weitgehende Übereinstimmung in den Details behauptet werden soll, findet sich der Gedanke des „Zusammenwirkens“ von objektiven und subjektiven (Handlungs-)Unrechtskomponenten in ganz ähnlicher Weise bereits vor vielen Jahren bei Roxin, wenn er (mit Blick auf die Möglichkeit eines unterschiedlichen objektiven Zurechnungsmaßstabes bei vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten) ausführt: „Das hat nichts Befremdliches, wenn [man] sich einmal klarmacht, daß die einzelnen ‚Elemente‘ des äußeren oder inneren Geschehens (. . .) nicht gleich Bausteinen unverrückbar an eine bestimmte Stelle des Systems ‚gehören‘, sondern daß die Frage nur dahin gestellt werden darf, ob und inwieweit ein subjektives oder objektives Merkmal unter dem Gesichtspunkt der Handlungs-, Unrechts- oder Schuldzurechnung relevant ist. Dabei kann es durchaus so sein, daß z.B. ein Element (…) für die Handlungszurechnung hier bedeutsam und dort unerheblich ist, (. . .) Eben darin liegt der prinzipielle Unterschied zwischen einem (. . .) die Straftat aus Geschehenspartikeln zusammensetzenden und einem an Zurechnungsmaßstäben orientierten teleologischen System. Bei der letztgenannten Systembildung liegt die Einheit nicht in der Identität des (. . .) Materials, sondern in der teleologischen Zusammengehörigkeit von Zurechnungsprinzipien (. . .)“.[142]
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5. Die Verantwortlichkeit wegen eines vorsätzlichen Begehungsdelikts setzt Erfolgs- und Handlungsunrecht voraus. Das Handlungsunrecht besteht aus objektiven und subjektiven Elementen, die zwar beide unverzichtbar sind, sich in der erforderlichen Intensität aber teilweise kompensieren können. Konkret bedeutet dies u.a., dass nicht alle objektiven Voraussetzungen auch des Fahrlässigkeitsdelikts erforderlich sind, um den objektiven Tatbestand des Vorsatzdelikts zu begründen. Der Grund dafür liegt darin, dass bei vorsätzlichem Handeln die Gefahr einer „Überforderung“ des Bürgers weniger groß ist, so dass Begrenzungen der Sorgfaltspflicht, die beim Fahrlässigkeitsdelikt aus Rücksicht auf diese drohende Überforderung getroffen werden, nicht übertragbar sind. In der vorsätzlichen Herbeiführung des Erfolgsunrechts liegt daher ein erster Hinweis auch auf das Handlungsunrecht, der allerdings ausgeräumt werden kann.
6. Abschnitt: Die Straftat › § 29 Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie Gesinnungsunwert der Tat › Ausgewählte Literatur
Ausgewählte Literatur
Kudlich, Hans | Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004. |
Kühl, Kristian | Das Unrecht als Kern der Straftat, FS Kühne, S. 15 ff. |
Lüderssen, Klaus | Der „Erfolgsunwert“, FS Herzberg, S. 109 ff. |
Roxin, Claus | Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-FS, S. 133 ff. |
Rudolphi, Hans-Joachim | Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, FS Maurach, S. 51 ff. |
Schünemann, Bernd (Hrsg.) | Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984. |
Strächelin, Gregor | Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, 1998. |
Anmerkungen
Für die wichtige Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels danke ich meinem Mitarbeiter, Herrn Dr. Mustafa T. Oğlakcιoğlu.
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