Was die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Straftat angeht, so wurde bereits angedeutet, dass das Erfolgsunrecht etwa bei den „klassischen Fahrlässigkeitsdelikten“ der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung (§§ 222, 229 StGB) zumindest mitkonstitutiv wirkt, während bei schlichten Tätigkeitsdelikten, deren fahrlässige Begehung pönalisiert wird (z.B. § 316 Abs. 2 StGB), darauf verzichtet wird. Was den Versuch angeht, so muss man davon ausgehen, dass im derzeitigen Konzept eines „gemischt subjektiv-objektiven“-Ansatzes, bei dem es für die Versuchsstrafbarkeit nicht auf die tatsächliche auch nur Gefährdung eines Rechtsguts ankommt, das Erfolgsunrecht nicht konstitutiv sein kann (vgl bereits Rn. 23).[80] Denn die unrechtsbegründende Manifestation des Tatentschlusses stellt das objektive Handlungsunrecht dar,[81] welches nicht durch ein Erfolgsunrecht in Form der „Erschütterung der Rechtsgemeinschaft“ ergänzt wird.[82]
IV. Handlungsunrecht
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Das Handlungsunrecht setzt sich, wie bereits angedeutet, grundsätzlich aus tatbezogenen und täterbezogenen (personalen) Elementen zusammen.[83] Der Gegenstand und das Beziehungsverhältnis dieser beiden Teilelemente zueinander gibt v.a. den Maßstab für die Reichweite der Vorsatz- und Fahrlässigkeitshaftung vor. Dabei stellt sich insb. die umstrittene Frage, inwiefern auf dieser Ebene wiederum beide Elemente kumulativ vorliegen müssen oder auch ein isoliertes Handlungsunrecht in Form des Intentionsunrechts genügen kann.
1. Vorsatz als Intentionsunrecht
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Als Kern des Handlungsunrechts beim Vorsatzdelikt bezeichnet die neuere Lehre den Vorsatz.[84] Dabei erscheint es im Ergebnis überzeugend, den Vorsatz auch als unrechtskonstituierend zu betrachten:[85] Zum einen wird ein Geschehen durch die unterschiedliche subjektive Einstellung des Täters wohl schon bei intuitivem Zugriff qualitativ abweichend geprägt; zum anderen besteht auch strafrechtstheoretisch eine Beziehung zwischen Rechtswidrigkeit und Willen des Täters:[86] Strafnormen sind – jedenfalls nach moderneren präventiven Strafzweckkonzeptionen – darauf ausgerichtet, den Willen des Täters in Richtung auf die Nichtverletzung von Rechtsgütern zu prägen. Wo dies nicht gelingt und eine Willensbetätigung stattfindet, die sich bewusst gegen diese Rechtsnormen entscheidet, muss das Rechtswidrigkeitsurteil als Bewertung des Geschehens auch die innere Tatseite erfassen.[87] Fehlt es am Vorsatz, kann der Handlungsunwert durch ein „Sorgfaltsmangelunrecht“[88] begründet werden, das ebenso wie das Intentionsunrecht in einem („Pflichtwidrigkeits“-)Zusammenhang zu dem, im Tatbestand beschriebenen Anforderungen an das täterschaftliche Verhalten liegenden, Erfolgsunrecht steht.[89]
2. Objektives Handlungsunrecht
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In beiden Fällen wird aber das Handlungsunrecht aber auch durch objektive Bestandteile geprägt bzw. sogar erst begründet. Dies sind zunächst und leicht einsehbar – soweit im Tatbestand enthalten – besondere Verhaltensformen, sei es bei den schlichten Tätigkeitsdelikten, sei es in Gestalt von besonderen Verhaltensmodalitäten zur Herbeiführung des Erfolges (vgl. bereits Rn. 3).[90] Darüber hinaus gibt es aber offenbar noch Merkmale, die auch bei reinen, nicht i.e.S. verhaltensgeprägten Erfolgsdelikten neben die verursachende Handlung und den Vorsatz treten müssen. Dies zeigt die Vielzahl von Fällen, in denen es zum Erfolg kommt und auch der Vorsatz in Form von „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ bejaht werden könnte, gleichwohl aber nach verbreiteter Ansicht kein tatbestandsmäßiges Verhalten angenommen wird. Rudolphi hebt in diesem Zusammenhang drei Aspekte hervor, die das objektive Handlungsunrecht begründeten: die Schutzbedürftigkeit des Opfers, die Pflichtenbindung des Täters und die Gefährlichkeit des Handelns des Angriffs für das Rechtsgut.[91] Dies abstrahiert er dann, indem er diese Handlungsfelder abgeleitet von konkretisierten Erfolgsdelikten auf allgemeine Erfolgsdelikte überträgt. Da bei diesen das Handlungsunrecht nicht konkretisiert scheint, verlangt er ein sozialschädliches Verhalten bzw. hebt umgekehrt hervor, dass ein Handlungsunrecht jedenfalls dann verneint werden müsse, wenn die Erfolgsherbeiführung auf ein sozialadäquates Verhalten zurückzuführen sei.[92] In Systematik und Terminologie der h.L. handelt es sich dabei vor allem Fälle, in denen die sog. objektive Zurechnung zu verneinen sein soll.[93]
a) Konkretisierung des objektiven Handlungsunrechts über die Dogmatik der objektiven Zurechnung
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Das terminologische Abstellen auf „objektive Zurechnung“ darf dabei für unsere Frage nach der Konturierung des Handlungsunrechts nicht etwa zu der Annahme verleiten, es handle sich in Wahrheit gar nicht um ein Problem des Handlungs-, sondern um eines des Erfolgsunrechts, da die „Zurechnung des Erfolges“ in Frage stehe. Insbesondere Frisch hat mit großer Klarheit und systembildender Kraft dargelegt,[94] dass wohl sogar in der größeren Zahl der Fallgruppen, die üblicherweise unter dem Stichwort der „objektiven Zurechnung“ diskutiert werden, gar nicht die Erfolgszurechnung i.e.S. (d.h. der Zusammenhang zwischen einem deliktischen Verhalten und dem Erfolgseintritt) betroffen ist, sondern dass die Lösung derartiger Fälle an sich bereits an einer präzisen „Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten“ ansetzen muss.[95]
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Das verdeutlicht ohne detaillierten Rekurs auf einzelne Fallgruppen und Beispiele[96] auch schon die bekannte „allgemeinen Grundformel“ zur objektiven Zurechnung, wonach ein Erfolg dann zurechenbar sein soll, wenn eine missbilligte Gefahr geschaffen worden ist und sich diese Gefahr im Erfolgseintritt realisiert (sowie der Erfolgseintritt auch in den Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm fällt):[97] Denn ob die Handlung eine Gefahr (die von dem Erfolg, in dem sich die Gefahr erst verwirklichen muss, zu unterscheiden ist) schafft oder erhöht und insbesondere ob diese Gefahrschaffung eine unerlaubte ist, hängt noch nicht mit dem Erfolg(sunrecht) und seiner Zurechnung i.e.S. zusammen, sondern betrifft noch die Frage nach einer Qualifizierung des Verhaltens als tatbestandsmäßiges und damit den Unwertgehalt der Handlung.[98] Das wird vielleicht sogar noch deutlicher, wenn man mit Schünemann für die Prüfung der objektiven Zurechnung danach fragt, ob die Einhaltung der tatbestandlichen Verhaltensnorm ex ante und ex post betrachtet zur Schadensverhütung sinnvoll gewesen wäre.[99] Denn die (insbesondere ex-ante‑) Eignung zur Schadensverhütung ist allein eine Eigenschaft des Verhaltens und damit der – im Falle der Nichteinhaltung – tatbestandsmäßigen (oder eben nicht tatbestandsmäßigen) Handlung, nicht des deliktischen Erfolges. Entscheidend zur Bestimmung des Handlungsunrechts ist dabei die Frage, ob der Täter ein pflichtwidriges Risiko für das geschützte Rechtsgut geschaffen hat.
b) Kritik
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Gegen die Figur der „objektiven Zurechnung“ sowie die damit zusammenhängende Betonung der Pflichtwidrigkeit und somit für eine stärkere Betonung des subjektiven Tatbestandes sprechen sich auch bis in die Gegenwart verschiedene Kritiker aus.[100] Die dabei insbesondere von Kindhäuser ebenso detailliert wie scharfsinnig geübte Kritik muss hier aus Gründen des Umfangs auf zwei zentrale Aspekte reduziert werden, die einer Stellungnahme bedürfen, wenn man die Berechtigung dieser Figur im Folgenden zugrunde legen will:
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Zum einen sieht Kindhäuser – explizit auch mit Auswirkung für die Bestimmung des Handlungsunrechts – für das Vorsatzdelikt „kein(en) Raum mehr (…), soll nicht auf Tatbestandsebene die Zurechnung kraft Täterwissen in einem überflüssigen Doppelschritt vollzogen werden.“[101] Eine der subjektiven Zurechnung vorgeschaltete „Zurechnung