2. Unrecht und Unwert
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Hingegen dürften die Begriffe des Handlungs- und Erfolgsunwerts keine autonome Kategorie außerhalb von Recht und Unrecht darstellen, sondern synonym zum Begriffspaar „Handlungs- und Erfolgsunrecht“ gebraucht werden[22] und somit keine eigenständige Bedeutung haben. Der „Unwert“ als kategorialer Begriff passt allenfalls sprachlich in Bezug auf Gesinnungsmerkmale besser, da es in einem Tatstrafrecht, in dem die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld anerkannt ist (vgl. bereits Rn. 2), kein „Gesinnungsunrecht“ geben kann. Eine andere Frage ist hingegen, inwiefern etwaige Gesinnungsmerkmale zugleich das Auslegungspotential mitbringen, um als das Unrecht erhöhende Merkmale zu fungieren (etwa eine grausame Tötung[23]).
3. Unrecht und Rechtswidrigkeit
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In Abgrenzung zur Rechtswidrigkeit hat der Begriff des Unrechts mehr „Tiefgang“,[24] d.h. er beschreibt erst Ausmaß und Qualität des rechtswidrigen Verhaltens (und ist insoweit auch quantifizierbar[25]). Auch wenn im Zusammenhang mit dem dreistufigen Deliktsaufbau meist gelehrt wird, dass auf der Ebene der „Rechtswidrigkeit“ das endgültige Unwerturteil über das im Raum stehende Verhalten gefällt werde, ändert dies nichts daran, dass damit letztlich nur der Widerspruch zwischen Norm und Handlung – also das „Missverhältnis zwischen zwei Beziehungsgliedern“ – gemeint ist. Während also ein Verhalten kategorisch[26] entweder rechtswidrig ist oder eben nicht,[27] kann der Unrechtsgehalt einer Tat quantitativ wie auch qualitativ näher konkretisiert werden.
6. Abschnitt: Die Straftat › § 29 Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie Gesinnungsunwert der Tat › B. Die (notwendigen) Komponenten des Unrechts
B. Die (notwendigen) Komponenten des Unrechts
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Der heutige Unrechtsbegriff und sein Gehalt (insb. seine Komponenten und deren Beziehungsverhältnis zueinander) sind mittlerweile weitgehend anerkannt; mag man über seine Bedeutung für verschiedene Verbrechenslehren im Detail diskutieren – die daraus gezogenen praktischen Konsequenzen (etwa im Bereich des umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtums) sind überwiegend anerkannt, können aber jedenfalls allgemein nachvollzogen werden.
I. Entwicklung der Unrechtslehre[28]
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Der Weg zu den Grundpfeilern des Erfolgs- und Handlungsunrechts war derjenige der Verbrechens- bzw. Handlungslehre[29] überhaupt, deren Fortentwicklung auch zu einer Evolution des Unrechtsbegriffs führte, die in → AT Bd. 2: Eric Hilgendorf, System- und Begriffsbildung im Strafrecht, § 27 insb. Rn. 40 ff. näher beschrieben wird und hier daher nur schlagwortartig nachvollzogen werden muss:[30] Nachdem noch im frühen 20. Jahrhundert die kausale Handlungslehre die Handlung als „rein äußeren Vorgang“ von den subjektiven Vorstellungen bzw. dem Willen des Täters als „reinem Internum“ trennte und Unrecht in diesem „Beling/von Liszt’schen“ System[31] demnach eine objektive Rechtsgutsverletzung bzw. eine Rechtsübertretung durch ursächliches Verhalten war,[32] wurde das Vorstellungsbild des Täters (nach vorsichtiger Anerkennung subjektiver Unrechtselemente[33] in der „Übergangsphase“ des neoklassischen Verbrechenssystems[34]) mit Welzels finaler Handlungslehre als „finale Überdetermination in Gestalt der Antizipation des Kausalverlaufs“[35] (oder als „Ausübung von Zwecktätigkeit“[36]) der bloßen Außenweltveränderung gegenübergestellt. Die besondere Schuldform des „Vorsatzes“ ging in jener Finalität auf und wurde nunmehr als Unrechtselement klassifiziert. Der Intentionsunwert[37] als subjektiver Teil des Handlungsunrechts sollte durch den Verhaltensunwert (als objektiver Teil des Handlungsunrechts) ergänzt werden. Obwohl sich der Finalismus als solcher nur zu einem Teil durchgesetzt hat,[38] blieben seine konkreten Ausprägungen im heutigen neoklassisch-finalen Verbrechensaufbau wie auch im Unrechtsbegriff als „Stichworte“ zu großen Teilen erhalten.
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Die Forderung nach einer Handlungsunrechtskomponente ist im Grundsatz auch überzeugend und berechtigt. Das zeigt sich schon bei der Vielzahl der Delikte, bei denen ausdrücklich nicht jede Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges unter Strafe gestellt ist, sondern nur Erfolgsverursachungen durch bestimmte, näher beschriebene Verhaltensweisen, die ihrerseits für die Missbilligung des Verhaltens bedeutsam sind. Bei anderen Tatbeständen begründen bestimmte Begehungsweisen (z.B. mit besonders gefährlichen Werkzeugen oder in bandenmäßiger Weise) zumindest einen Qualifikationstatbestand. Allgemeiner gesprochen: Der Gesetzgeber berücksichtigt bei der Konturierung des durch die Tatbestandsfassung vertypten Unrechts nicht nur die Verletzung des geschützten Rechtsguts als eingetretenen Erfolg, sondern auch den Angriffsweg[39] als spezielle Qualität der Verletzungshandlung. Dieser Umstand fügt sich in eine Entwicklung ein, die Schünemann für das Strafrecht auf seinem Weg von der archaischen zur modernen Gesellschaft anschaulich und überzeugend nachgezeichnet hat: Dieser ist dadurch geprägt, dass weg vom bloßen Abstellen auf ein rein äußeres Geschehen oder jedenfalls auf die Kasuierung eines Erfolges die subjektive Verantwortung immer stärker mitberücksichtigt wird.[40] Das bis heute herrschende Verständnis geht diesen Weg freilich nicht im Sinne eines monistisch-subjektiven Ansatzes Armin Kaufmann’scher Prägung[41] konsequent bis zu der Vorstellung zu Ende, dass etwa Verletzungs- bzw. Außenwelterfolge nur als objektive Bedingungen der Strafbarkeit verstanden würden; vielmehr werden i.S. einer „dualistischen Unrechtslehre“[42] schädliche Erfolge weiterhin als negative Faktoren bei der Bestimmung der Unrechtsqualität einbezogen.[43]
II. Unrechtslehre „de lege lata“?
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Freilich scheint der gesetzgeberische Trend, zunehmend auf Verletzungs- bzw. Gefährdungserfolge[44] zu verzichten (bzw. aufgrund einer Abkehr von einem klassischen, individualrechtsgutschützenden Strafrecht zu einem Präventionsstrafrecht verzichten zu müssen) der monistischen Lehre faktisch Recht zu geben:[45] Der rechtliche Außenwelterfolg bleibt zwar dogmatisch von der schlichten Tätigkeit bzw. der Handlung zu trennen.[46] Da aber der Erfolg nur noch die Tatbestandsausgestaltung betrifft und nicht mehr als „Synonym für Rechtsgutsverletzung“ fungiert,[47] scheint das Erfolgsunrecht, wie man es als Vertreter eines dualistischen Konzepts verstehen sollte, in diesen Fällen auf den ersten Blick keine Rolle mehr zu spielen.[48]
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Indes wäre ein solcher Schluss von modernen gesetzgeberischen Entwicklungen in (und seien es auch zahlreiche) Sonderbereichen auf ein allgemeines Unrechtsverständnis vorschnell. Zum einen liegt im tatbestandlichen Außenwelterfolg eine gesetzgeberische Wertentscheidung,[49] die den Aussagegehalt hat, dass ein überindividuelles Rechtsgut ab dem Eintritt des Erfolgs qualitativ in einem höhheren Maße betroffen ist als im Falle eines sonstigen Handlungsvollzugs;[50] das spiegelt sich etwa in den auf eine Rechtsgutsverletzung verzichtenden Betrugsderivaten der §§ 264a, 265b und 265c StGB auch in dem gegenüber § 263 StGB verringerten Strafrahmen wider. Daneben darf nicht