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Der Betroffenen muss in der Lage sein, die Bedeutung und die Folge der Verwertung des Gutachten intellektuell zu erfassen – ansonsten ist seine Einwilligung unwirksam. Das Erfordernis der Einwilligung des Betroffenen schützt den Betroffenen vor der gegen seinen Willen erfolgenden Verwendung von Daten, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Aus der nicht erteilten eindeutigen Einwilligung des Betroffenen folgt die Unverwertbarkeit des Gutachtens. Zwar ließ sich der Betroffene im Rahmen der Feststellung der Pflegebedürftigkeit begutachten. Hieraus kann jedoch noch lange nicht auf eine konkludente Einwilligung zur Weitergabe der Daten an das BetrG geschlossen werden.[3] Fehlt die erforderliche Einwilligung des Betroffenen bzw. des Verfahrenspflegers, sind die übermittelten Daten unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, § 122 Abs. 1 BGB, zu vernichten bzw. zu löschen, § 282 Abs. 3 S. 2 FamFG. Der Betroffene muss in der Lage sein, die Bedeutung und die Folge der Verwertung des MDK-Gutachtens intellektuell zu erfassen, andernfalls seine Einwilligung unwirksam ist.
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Checkliste
Das Gericht kann auf eine Begutachtung verzichten bei Vorliegen folgender Voraussetzungen:
– | Vorliegen eines bestehenden ärztlichen Gutachtens des MDK |
– | Zeitnähe des MDK-Gutachtens, § 293 Abs. 2 Nr. 1 FamFG |
– | persönliche Untersuchung durch den Gutachter im Wohnbereich, § 18 Abs. 2 SGB XI[4] |
– | Eignung des Gutachtens zur Verwertung, § 282 Abs. 3 S. 1 FamFG |
– | Einwilligung des Betroffenen oder Verfahrenspflegers, § 282 Abs. 3 FamFG. |
Anmerkungen
BT-Drs. 15/2494, 42 wegen der ähnlichen Voraussetzungen zur Feststellung der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit.
Brucker Vereinfacht das MDK-Gutachten das Verfahren?, BtMan 2006, 195, 198.
BT-Drs. 15/2494, 49.
Vgl. im Einzelnen Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach SGB XI, C 2.3.; Brucker Vereinfacht das MDK-Gutachten das Verfahren?, BtMan 2006, 195, 203.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › VII. Das Sachverständigengutachten › 12. Erzwingung der Untersuchung des Betroffenen
12. Erzwingung der Untersuchung des Betroffenen
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Nach § 283 FamFG kann das Gericht die Untersuchung des Betroffenen im Wege der Vorführung durch die zuständige Betreuungsbehörde anordnen. Dieser kann dabei durch Beschluss die Gewaltanwendung unter Hinzuziehung der Polizei als Vollzugsbehörde im Wege der Amtshilfe sowie der Wohnungszutritt (Art. 13 GG) gestattet werden. Dies wird dann erforderlich, wenn der Betroffene sich in seiner Wohnung einigelt und Aufforderungen, sich einer Begutachtung zu unterziehen, ignoriert und weiterhin nicht von der Begutachtung nach §§ 281, 282 FamFG abgesehen werden kann. Vor Erlass eines derartigen Gewaltbeschlusses ist der Betroffene entweder persönlich oder schriftlich anzuhören.[1] Seit der Neufassung des § 278 Abs. 5–7 FamFG zum 1.1.2013 kann auch eine separate zwangsweise Vorführung zur richterlichen Anhörung erfolgen. Wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs wird empfohlen, die richterliche Anhörung und die Vorführung zum Sachverständigen miteinander zu kombinieren.
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Muster Ermächtigungsbeschluss des Betreuungsgerichtes zur Vorführung des Betroffenen zwecks Begutachtung
Beschluss
In der Betreuungssache betreffend
Frau Agnes B.,
geb. (. . .), wohnhaft (. . .)
1. Zur Verfahrenspflegerin wird gem. § 276 FamFG Frau Rechtsanwältin Corinna P., (. . .)-Straße, (. . .), bestellt.
2. Gemäß § 283 Abs. 1 FamFG wird angeordnet, dass die Betroffene zur Erstattung des mit Verfügung vom (. . .) angeordneten Gutachtens durch einen Arzt des Sozialpsychiatrischen Dienstes (. . .) zu untersuchen ist.
Die Vorführung zur Untersuchung durch die zuständige Betreuungsbehörde wird angeordnet.
3. Zum Zwecke der Vorführung darf die genannte Behörde die oben bezeichnete Wohnung der Betroffenen öffnen, diese betreten und Widerstand der Betroffenen – ggf. unter Zuhilfenahme der Polizeivollzugsbeamten – mit Gewalt brechen § 283 Abs. 2 und 3 FamFG).
(Richterin am Amtsgericht)
Ausgefertigt
(Justizangestellter)
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Der gerichtliche Beschluss ist unanfechtbar, auch in dem vorbezeichneten Fall, der die Vorführung des Betroffenen unter Zuhilfenahme von Polizeibeamten und nach gewaltsamer Öffnung der Wohnung vorsieht.[2] Es handelt sich bei diesen Anordnungen um unselbstständige Modalitäten zum Vollzug der Vorführungsanordnung, die nach herrschender Meinung nicht anfechtbar sind.[3] Verlangt die gerichtliche Anordnung von dem Betroffenen ein bestimmtes Verhalten bzw. wird in erheblicher Weise in seine Rechte eingegriffen, ist ausnahmsweise einmal eine Beschwerdemöglichkeit gegeben.[4] Dagegen ist die Anordnung, der Betroffene müsse ohne rechtlichen Beistand zur Untersuchung erscheinen, anfechtbar.[5]
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Die zwangsweise Vorführung muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Die Vorführung des Betroffenen muss unumgänglich sein. Eine Alternative zur Vorführung stellt beispielsweise die Befragung des Betroffenen durch den Gutachter im Rahmen einer Anhörung dar.[6]
Anmerkungen
BVerfG Beschl. v. 12.1.2011, 1 BvR 2538/10 Rn. 27; NJW 2011, 1275; NJW 2010, 3360, 3361.
OLG Hamm FamRZ 1997, 440; KG FamRZ 1997, 442; BtPrax 1996, 195; OLG Hamm BtPrax 1996, 195.
BayObLG FamRZ 1994, S. 1190; BGH FamRZ 2008, 7 174, 775; BVerfG Beschl. v. 12.1.2011, 1 BvR 2538/10 Rn. 22.
BayObLG