6. Vorgehen des Sachverständigen
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Der Sachverständige ist verpflichtet, den Betroffenen über das Nichtbestehen der ärztlichen Schweigepflicht aufzuklären. Es liegt kein Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff. BGB vor. Der Sachverständige kann Auskunftspersonen anhören, aber keine Zeugen vernehmen. Die Untersuchung und Befragung ist zeitnah vor der Gutachtenerstellung vorzunehmen.[1] Ansonsten ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht mehr gewahrt. Teilweise wird sogar vertreten, der zeitliche Abstand zwischen Untersuchung und Gutachtenerstattung solle allenfalls zwei bis drei Wochen betragen. Für die letztere Auffassung spricht der zu wahrende Grundrechtsschutz des Betroffenen. Bereits in den Gesetzesmotiven wird die Notwendigkeit einer zeitnahen Begutachtung nach der stattgehabten Untersuchung und Befragung des Betroffenen betont.[2] Eine Begutachtung nach Aktenlage, auf Grund lediglich telefonischer Befragung bzw. nach Inaugenscheinnahme des Betroffenen am Fenster genügt nicht.[3]
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Der Gutachter ist ferner zu einer persönlichen Gutachtenerstellung verpflichtet. Eine Delegation von Tätigkeiten im Rahmen der Gutachtenerstellung ist nur in begrenztem Rahmen möglich. Nimmt der Sachverständige ein Gutachten prägende und zum unverzichtbaren Kern selbst zu erbringende Zentralaufgaben nicht selbst wahr, ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit anderer sachkundiger Personen mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens überschritten.[4] In jedem Fall ist der Sachverständige verpflichtet, den Betroffenen persönlich zu untersuchen und zu befragen.[5] Gibt der Gutachter lediglich seinen Eindruck aufgrund eines Gespräches wieder, das er in völlig anderem Zusammenhang mit dem Betroffenen z.B. bei dessen Besuch im Gesundheitsamt führte, liegt keine ordnungsgemäße Begutachtung vor.[6] Der Sachverständige muss den Umfang der Mithilfe anderer Ärzte sowie deren Qualifikation kenntlich zu machen und deren Mithilfe durch das Gericht genehmigen lassen.[7] Der Sachverständige muss sein Gutachten zeitnah erstatten.
Anmerkungen
OLG Köln FamRZ 2006, 1875 bezeichnet einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten nicht mehr als zeitnah; OLG Brandenburg FamRZ 2001, 40; KG FamRZ 1995, 1379, 1381; BayObLG FamRZ 1999, 1595.
BT-Drs. 11/4528, 174.
OLG Hamm BtPrax 1999, 238; OLG Köln FamRZ 1999, 873; OLG Köln FamRZ 2001, 310; OLG Brandenburg BtPrax 2000, 224; BGH BtPrax 2014, 274 = FamRZ 2014, 1917 = FGPrax 2014, 252.
BSG Beschl. v. 15.7.2004, B 9V 24/03 B; NZS 2005, 444; Beschl. v. 30.1.2006, B2 U 358/05B, Praxis Report extra 2006, 161; BVerwG NJW 1984, 2645.
OLG Brandenburg FamRZ 2000, 40; FamRZ 2001, 40.
OLG Köln FamRZ 1999, 87.
BSG Beschl. v. 15.7.2004, B 9 V 24/03 B, S. 3; NZS 2005, 444 = JurionRS 2004, 17334.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › VII. Das Sachverständigengutachten › 7. Aufbau eines Sachverständigengutachtens
7. Aufbau eines Sachverständigengutachtens
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Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften für den Aufbau eines Sachverständigengutachtens, die wesentlichen Mindestinhalte ergeben sich aber seit dem 1.9.2009 aus § 280 Abs. 3 FamFG. In jedem Fall muss das Gutachten objektiv und ausgewogen, von der Fachkunde seines Verfassers getragen sowie in sich schlüssig und verständlich abgefasst sein. In der Praxis[1] bewährte es sich, nach folgendem Schema zu verfahren:
1. | Auftrag (Auftraggeber, Auftragsdatum, Aktenzeichen) a) Prüfung der Unbefangenheit und Kompetenz b) Wiedergabe der Beweisfragen c) Kennzeichnung des Sachverhaltes (Anknüpfungstatsachen) |
2. | Grundlagen der Begutachtung a) Gerichtsakten, Krankenunterlagen (mit Röntgenbildner, technischen Aufzeichnungen, Laborbefunden, etc.) b) Durchgeführte Untersuchungen, Tests c) Sonstige Erkenntnisquellen d) Angaben des Betroffenen e) Biographie und soziale Anamnese (bei Fehlen eines Sozialberichts) f) Angaben von Bezugspersonen des Betroffenen |
3. | Sachverhalt a) Beschreibung von Krankengeschichte und Behandlungsverlauf b) Psychischer Befund c) Labor, EEG, CT bzw. andere Bildgebung d) Testpsychologischer Befund |
4. | Beurteilung a) Zusammenfassung von Aktenlage, Exploration und Befund b) Antwort auf die Beweisfragen in gestraffter Form c) Diagnostische Einordnung (nach ICD – 10) d) Zuordnung zu juristischen Kriterien (Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB, freie Willensbildungsfähigkeit nach § 1896 Abs. 1a BGB, Einwilligungsfähigkeit nach § 1901a BGB bei Gutachten zu §§ 1904 oder 1905 BGB, natürlicher Wille bei Gutachten nach § 1906 Abs. 3 BGB)[2]. Es sind die Tatsachen darzulegen, die gegen die Fähigkeit zur freien Willensbildung sprechen.[3] Pauschal wertende Äußerungen sind unzureichend,[4] ebenso Feststellungen zu Beeinträchtigungen, die noch im Bereich der Altersnorm liegen. Angaben Dritter sind kenntlich zu machen. e) Rehabilitationsmöglichkeiten |
5. | Unterschrift a) Übernahme der vollen Verantwortung für das Gutachten b) Namentliche Bezeichnung von Hilfspersonen unter Angaben von Art und Umfang der Mitarbeit.[5] |
Anmerkungen
AWMF-Leitlinie Nr. 015/026; Hoffmann-Richter Die psychiatrische Begutachtung, 2005, S. 101.
BGH BtPrax 2014, 276
BT-Drs. 15/2494, 28.