Handbuch Ius Publicum Europaeum. Adam Tomkins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Tomkins
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783811489028
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des nationalen Rechts oder die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität, zu lösen ist.[13] Das heißt nicht, dass die Umsetzungsgesetze (und ganz allgemein die internen Anpassungsnormen) Rechtsquellen mit verstärkter passiver Wirkungskraft sind, deren Vorrang vor späteren Gesetzen von jedem Richter festgestellt werden könnte: Wenn der Konflikt nicht im Wege der Auslegung ausgeräumt werden kann, muss der Richter das Verfahren aussetzen und dem Verfassungsgericht die Frage des Normenkonflikts zur Entscheidung vorlegen.[14]

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      Die Umsetzungsgesetze völkerrechtlicher Verträge haben jedoch unmittelbaren Vorrang vor bereits bestehenden Gesetzen in Anwendung des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori. Jeder Richter ist daher zuständig, die Aufhebung des früheren Gesetzes selbst festzustellen, ohne dass die Corte costituzionale zur Feststellung der inzwischen eingetretenen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes eingeschaltet werden müsste. Der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. bezweckt gerade eine Stärkung der Beachtung internationaler Verpflichtungen in der italienischen Rechtsordnung, so dass es widersprüchlich wäre, wenn der ordentliche Richter, der in der Vergangenheit die Aufhebung früherer Gesetze durch spätere Umsetzungsgesetze feststellen konnte, heute die Aufhebung nicht mehr feststellen könnte, nicht einmal, wenn der Normenkonflikt für ihn evident ist. Wenn jedoch der Konflikt zwischen einem Gesetz und dem Umsetzungsgesetz dem ordentlichen Richter nicht klar und eindeutig scheint, kann er sich heute – hier gilt das quid pluris im Vergleich zur früheren Regelung – an die Corte costituzionale wenden, um die Aufhebung des früheren Gesetzes zu erwirken.

      Erster Teil Offene Staatlichkeit§ 18 Offene Staatlichkeit: Italien › II. Die Mitgliedschaft Italiens in den Europäischen Gemeinschaften und in der Europäischen Union

II. Die Mitgliedschaft Italiens in den Europäischen Gemeinschaften und in der Europäischen Union 1. Die europäische Frage im Kontext der Verfassunggebung und die nachfolgende politische Entwicklung

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      Im Kontext der Ratifizierung der Verträge von Paris und Rom wurde von einigen Autoren und in der politischen Debatte die These vertreten, dass ein verfassungsänderndes Gesetz zur Ratifizierung bzw. zur Umsetzung dieser Verträge erforderlich sei, weil sie in der Tat eine Änderung der Verfassung darstellten, indem sie auf die europäischen Gemeinschaften Hoheitsrechte übertrugen, die die Verfassung ursprünglich staatlichen Organen zugewiesen hatte. Trotzdem folgte das Parlament der entgegengesetzten Auffassung, nämlich dass eine Ratifizierung und Umsetzung durch einfaches Gesetz ausreiche, weil die Übertragung von Hoheitsrechten schon in Art. 11 Cost. ihre Rechtfertigung finde. Diese Auffassung wurde auch von der Corte costituzionale in ihrem ersten „europäischen“ Urteil Costa gegen ENEL, Nr. 14 vom 7.3.1964, bestätigt. In dieser Entscheidung hat das Verfassungsgericht Art. 11 Cost. als „norma permissiva“ (Öffnungsklausel)