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Nach einer weiteren Meinung stellt der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. mit den sich aus dem Europarecht ergebenden Grenzen (neben der Verfassung und den internationalen Verpflichtungen) ein „vereinendes Element“ in einer Rechtsordnung dar, die – wie die italienische – von einer starken Dezentralisierung geprägt ist:[50] Deshalb sei diese Norm im Rahmen einer Verfassungsreform eingefügt worden, die die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen der Regionen und der Gebietskörperschaften bemerkenswert ausgedehnt hat. Dieser Meinung kann man jedoch nur zum Teil zustimmen. Es ist richtig, dass der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. u.a. die europäische Rechtsordnung als vereinendes Element innerhalb der italienischen Rechtsordnung bezeichnet. Man muss aber davon ausgehen, dass sich eine derartige Funktion der aus dem Europarecht ergebenden Bindungen – auch wenn sie im Rahmen einer Rechtsordnung mit deutlich abgegrenzten Regional- und Lokalkompetenzen deutlicher wird als früher – schon vor der Verfassungsnovelle in einem System, das auch schon bedeutende Regional- und Lokalkompetenzen enthielt, durchgesetzt hatte und dass sie deshalb durch den neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. nur bestätigt und ausdrücklich anerkannt worden ist.[51]
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Einige Autoren interpretieren den neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. als eine Norm, die endlich die monistische Lehre des EuGH vom Verhältnis zwischen der nationalen und der europäischen Rechtsordnung übernimmt und die bisherige dualistische Auffassung des Verfassungsgerichts überwindet.[52] Nach dieser Meinung ist es inzwischen offensichtlich, dass das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht Teile eines einzigen Rechtssystems sind, in dem ersteres Vorrang genießt. Wenn man dieser Meinung folgt, würde damit aber auch die „controlimiti“-Lehre aufgegeben, die keine Grundlage mehr in einem System hätte, das ohne Grenzen den Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht akzeptiert. Jedoch findet sich kein eindeutiger Hinweis in der neuen Fassung des Art. 117 Abs. 1 Cost., aus dem die Aufgabe der dualistischen Lehre unmissverständlich abgeleitet werden könnte.[53] Darüber hinaus setzt die Annahme der monistischen Lehre, mit dem damit verbundenen Verzicht auf die „controlimiti“-Lehre, eine sehr weitgehende Homogenität in Bezug auf den Umfang des Grundrechtsschutzes und die Inhalte der Grundprinzipien der beiden Rechtsordnungen voraus, die noch nicht ganz erreicht sein dürfte.[54] Es ist daher wahrscheinlich, dass das Fehlen eindeutiger Anhaltspunkte im Verfassungstext, der, wie erwähnt, nur die Schranken für die nationale Gesetzgebung, aber nicht das Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander anspricht, der Corte costituzionale abermals die Möglichkeit gibt, in bewährter italienischer Weise die Rolle des Schiedsrichters bei der Festlegung der zukünftigen Beziehungen zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht zu spielen, was entweder in die monistische Richtung gehen kann, die einige Autoren schon vor der Verfassungsänderung angestrebt hatten, oder weiterhin im dualistischen System verbleibt. Wenn die dualistische Lehre also in Zukunft vom Verfassungsgericht aufgegeben werden sollte,[55] ist das nicht unbedingt als eine Folge der Verfassungsnovelle zu verstehen.
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Im Ergebnis sind die Funktionen von Art. 11 und 117 Abs. 1 Cost. unterschiedlich. Art. 11 Cost. hat die bisherigen Beschränkungen der nationalen Souveranität ermöglicht und erlaubt weitere zukünftige Beschränkungen (natürlich nur, wenn die dort vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt werden): Die Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht werden daher auch weiterhin Teil der nationalen Rechtsordnung auf der Grundlage von Art. 11 Cost. Art. 117 Abs. 1 Cost. spielt hingegen die Rolle des Hüters dieser Verpflichtungen gegenüber der staatlichen und regionalen Gesetzgebung. Die konkrete Folge der förmlichen Anerkennung und ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Garantie der sich aus dem Europarecht ergebenden Bindungen in Art. 117 Abs. 1 Cost. liegt darin, dass Fragen der Verfassungsmäßigkeit von mit Gemeinschaftsrecht in Widerspruch stehenden Gesetzen, die noch in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts fallen (vgl. oben, Rn. 31), nunmehr auf die Verletzung von Art. 117 Abs. 1 Cost. und nicht mehr die Verletzung von Art. 11 gestützt werden müssen.[56] Außerdem spielt der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. eine klärende Rolle in Bezug auf einige weitere Aspekte: 1) die Erforderlichkeit eines verfassungsändernden Gesetzes für den Austritt aus der EU und 2) die jetzt ausdrückliche Anerkennung der vereinenden Rolle der europäischen Verpflichtungen. Last but not least kommt dem neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. wesentliche politische Bedeutung zu, da mit ihm zum ersten Mal ausdrücklich die Anerkennung des europäischen Integrationsprozesses in der Verfassung niederlegt ist.
aa) Der Machtverlust des nationalen Parlaments
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Mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische Ebene ist ein beträchtlicher Machtverlust des nationalen Parlaments einhergegangen. Ein derartiges Phänomen hat erhebliche Auswirkungen auf die Demokratiestruktur innerhalb der nationalen Rechtsordnung, weil die nationale Regierung auf Grund der zentralen Rolle des Rats in der Architektur der europäischen Institutionen auf Kosten des Parlaments deutlich an Macht gewonnen hat. Das Parlament behält natürlich in einer parlamentarischen Demokratie – wie der italienischen – die Möglichkeit, die politische Verantwortung der Regierung in Bezug auf ihre Stellungnahmen in den europäischen Institutionen bzw. Organen geltend zu machen; die Frage ist aber zunächst, wie das Parlament in den europäischen Angelegenheiten ex ante – d.h. im Vorfeld des europäischen Entscheidungsprozesses – eine angemessene Rolle spielen kann.
(1) Beteiligung am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft („fase ascendente“)
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Die Antwort des Parlaments auf diese Frage war nicht – wie z.B. in Deutschland (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3 GG) – eine Verfassungsänderung, sondern der Erlass einfacher Gesetze, nämlich des Gesetzes Fabbri Nr. 183 vom 16.3.1987 und des Gesetzes La Pergola Nr. 86 vom 9.3.1989, die die Beteiligung des Parlaments am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft geregelt haben. Die gesamte Materie ist durch das Gesetz Buttiglione Nr. 11 vom 4.2.2005 neu geregelt worden.
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Nach der aktuellen Rechtslage hat die Regierung die Pflicht, die Kammern zu unterrichten über: 1) alle Entwürfe von Rechtsakten der Gemeinschaft und der Europäischen Union, 2) alle Maßnahmen zur Vorbereitung dieser Rechtsakte (einschließlich der Grün- bzw. Weißbücher und der Mitteilungen der EU-Kommission), 3) die Themen auf der Tagesordnung des Rats der Europäischen Union, 4) alle Stellungnahmen, die die Regierung im Europäischen Rat vertreten will, und 5), jedoch nur auf Anfrage der Kammern, die Stellungnahmen, die die Regierung im Rat der Europäischen Union abgeben will.[57] Auf dieser Grundlage haben die Kammern das Recht, Bemerkungen und politische Stellungnahmen zu allen Entwürfen europäischer Akte bzw. allen vorbereitenden Akten abzugeben.[58] In diesem Zusammenhang hat das Gesetz Buttiglione den „Vorbehalt der parlamentarischen Prüfung“ (riserva d’esame parlamentare), die dem britischen „scrutiny reserve“ ähnelt, eingeführt. Danach ist die Regierung verpflichtet, im Rat der Europäischen Union erst nach der Prüfung der entsprechenden Akte durch die Kammern Stellung zu nehmen.[59] Weiter haben die Kammern das Recht, 1) innerhalb von 15 Tagen über die Ergebnisse der einzelnen Sitzungen des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rats[60] und 2) alle 6 Monate über die wichtigsten Themen, die auf europäischer Ebene diskutiert worden sind oder gerade diskutiert werden, von der Regierung unterrichtet zu werden;[61] 3) die Regierung muss darüber hinaus den Kammern einen Jahresbericht vorlegen (bis zum 31. Januar jeden Jahres), der die Gemeinschaftspolitik des vergangenen Jahres und die Politik, die die Regierung im laufenden Jahr verfolgt, darlegt.[62]
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