„Du weißt, dass ihr meiner Kraft nicht lange standhalten könnt, Lignum“, entgegnete der Poltergeist.
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, widersprach der Baum, dessen Name Lignum war, „denn du hast unser Abkommen gebrochen und einige meiner Brüder und Schwestern getötet. Dafür sollst du büßen.“
Der Baum drehte sich zu uns um:
„Ihr könnt gehen“, sprach er, „und beeilt euch, bevor meine Brüder und Schwestern vergessen haben, euch nicht anzugreifen.“
Wir machten uns auf, so schnell wir konnten. Ich hatte dennoch das Gefühl, wie eine Leibspeise von jedem Baum, an dem wir vorbeischritten, angeschaut zu werden.
„Die werden dir schon nichts antun“, versuchte Peter mich zu beruhigen, aber es funktionierte nicht so recht.
Da Peter den Weg kannte, erreichten wir die Tür zum Dachboden in der Geisterwelt sehr zügig. Von da an war es nicht mehr weit bis zum Spiegel.
„Halt!“ brüllte von hinten eine Stimme, die wir als Larvaster identifizierten.
Wie konnte er nur entkommen?
„Tjalf, öffne das Tor“, flehte Peter, der in Panik geriet.
Ich konnte mir nicht merken, was genau dazu führte, dass sich der Spiegel zum Öffnen kriegen ließ und schaute Peter fragend an.
„Was?“ fragte Peter mit enttäuschter, aber auch wütender Stimme, „willst du mir jetzt sagen, du weißt nicht wie? Das ist der unpassendste Zeitpunkt, den du wählen konntest.“
„Glaub‘ mir, ich habe es mir nicht ausgesucht“, sagte ich und es tat mir leid, denn Larvaster hatte sich schon vor uns aufgebäumt.
„Ich habe euch doch versprochen, euch zu erwischen“, sprach er, „wer hätte gedacht, dass es so schnell gehen würde?“
„Wie konntest du nur entkommen?“ wollte Peter wissen und stellte sich vor mich.
Er drehte sich zu mir und flüsterte:
„Versuche das Tor aufzubekommen, ich lenke ihn solange ab.“
„Aber…“, versuchte ich entgegen zu bringen.
„Nein, diskutiere jetzt nicht mit mir“, sagte er und wandte sich wieder dem Poltergeist zu.
„Ich habe mich befreit“, verriet Larvaster, „so ein paar dumme Bäume können mich doch nicht aufhalten.“
Während Larvaster mit Peter sprach, stellte ich mir innerlich vor, wie ich den Spiegel öffnete, aber ich spürte rein gar nichts, anders als bei der Magica. Wie sollte es mir demzufolge gelingen, hier wegzukommen?
Larvaster formte einen Feuerball. Peter wich nicht von der Stelle weg, um mich zu schützen. Wenn ich gegen den Poltergeist kämpfen würde, würde ich verlieren, ebenso wie Peter, aber ich war die einzige Person neben dem Poltergeist, die in der Lage war, das Tor zu öffnen- aber was hätte ich machen sollen? Ich entschied, Peter zur Seite zu schubsen, denn ich war nicht hergekommen, um ohne ihn zu gehen. Während meiner Grübelei hatte ich ganz unbemerkt ein Lichtschild geschaffen. Es diente mir nun, um den Angriff des Poltergeistes abzuwehren. Die Feuerkugel verpuffte.
„Du glaubst doch nicht, dass du mich aufhalten wirst?“ fragte Larvaster und ich spürte das allererste Mal, dass ihm bange war.
„Ich glaube es nicht, ich weiß es“, entgegnete ich schlagfertig.
Peter richtete sich indes auf. Er schaute zu mit, als hätte ich den Verstand verloren. Er begriff nicht, was ich bezweckte. Es erklärte mir aber, weshalb er zu einem Gegenstand hinter sich griff und es gezielt an den rauchigen Kopf des Poltergeistes warf. Der Rauch war also nicht durchlässig. Larvaster wandte sich Peter zu.
„Du Verräter, jetzt mach‘ ich dich kalt und dann lasse ich dich im Fegefeuer leiden“, drohte er.
Doch bevor er eine weitere Attacke ausführen konnte, kreierte ich meinerseits einen Feuerball, der ihn sehr hart traf. Es überraschte ihn sichtlich, denn er wich zurück und wurde wahrscheinlich verletzt, auch wenn wir nichts sahen.
„Wie?“ fragte er nur und seine feuerroten Augen riss er dabei weit auf.
Ich hingegen drehte mich zum Tor. Ich spürte die verzweifelte Wut in mir, die wieder anstieg, denn der Angriff hätte nichts genützt, wenn wir in diesem Augenblick nicht entkommen würden.
„Jetzt geh‘ doch endlich auf, um uns herauszulassen!“ brüllte ich.
Und tatsächlich, der Spiegel leuchtete wieder und öffnete sich.
„Schnell, lass‘ uns fliehen“, rief ich Peter zu.
Peter rannte zu mir und wir schritten durch das Portal. Kurz darauf schloss es sich wieder und es wurde auf einmal mucksmäuschenstill.
„Alles Okay?“ fragte ich Peter.
Er strahlte von einem Ohr zum anderen und wirkte sehr glücklich.
„Danke“, sagte er zu mir und umarmte mich, wenngleich er mich nicht berühren konnte.
Seine Freude hatte nur eine kurze Verweildauer.
„Was ist mit Larvaster?“ wollte er wissen.
„Was soll mit ihm sein?“ stellte ich als Gegenfrage.
„Er lebt und befindet sich auf der anderen Seite“, antwortete Peter, „er hat die Macht, durch das Portal zu gehen und du wirst ihn nicht aufhalten können.“
In diesem Moment sah ich Larvaster im Spiegel. Peter drehte sich um und konnte ihn ebenso erblicken. Der Poltergeist sprach kein Wort. Es schaute so aus, als meditiere er.
„Siehst du, er bereitet seinen Gang aus der Geisterwelt vor“, warnte Peter, „und wenn er das geschafft hat, dann werden wir uns warm anziehen müssen.“
„Dann werde ich dafür sorgen, dass er nicht zu uns kommen kann“, sagte ich entschlossen.
„Und wie willst du das anstellen?“ wollte Peter von mir wissen.
Ich antwortete nicht, sondern nahm eine alte Lampe, die auf dem Dachboden herumstand. Peters Fragezeichen, das sich in seinem Gesicht gebildet hatte, wurde mit jedem Augenblick größer, denn er wusste nicht, was ich vorhatte. Ich genoss es ein wenig, ihn auf die Folter zu spannen. Ich holte aus und warf die Lampe mit voller Wucht gegen den Spiegel, der im nächsten Moment in tausend Stücke zerbrach. Peter hatte es verfolgt. Er war fassungslos.
„Jetzt kommt er nicht mehr hier her“, sagte ich.
„Ja, aber…“, versuchte Peter entgegenzubringen.
„Was ist denn?“ wollte ich nun in Erfahrung bringen.
„…er wird einen anderen Weg finden“, warnte Peter.
„Heute?“ fragte ich.
„Nein, nicht heute, aber vielleicht in ein paar Tagen oder in einigen Wochen“, antwortete der Geisterjunge.
„Dann werde ich trainieren müssen“, entgegnete ich.
Ich war der festen Überzeugung, es mit dem Poltergeist bei genügend Übung, aufnehmen zu können. Peter gefielen meine Antworten offenbar nicht. Er war ja auch jahrelang Gefangener von Larvaster. Möglicherweise konnte er noch immer nicht glauben, dass es einer mit ihm aufnehmen konnte. Wir konnten es in diesem Moment nicht lösen, daher beschloss ich, zu meinen Eltern zu gehen.
Peter folgte mir. Als ich nach unten kletterte, nahm ich wahr, dass meine Eltern noch immer schliefen. Ich beeilte mich zu ihnen zu kommen, als mein Vater aufwachte. Es schien als sei er sehr schlapp, denn er konnte kaum seine Augen öffnen.
„Tjalf?“ fragte er mit heiserer Stimme, „alles in Ordnung?“
„Ja, Paps, alles okay“, antwortete ich.
Peter stand still neben mir. Mein Vater konnte ihn ja nicht sehen, daher