Schnell lugte ich am Stein vorbei, um zu sehen, ob er uns bemerkt hatte. Es war zu spät. Der Geist war auf den Weg zu uns.
„Wir müssen weg hier“, machte ich den anderen beiden klar, „wenn der uns sieht, dann können wir unseren Plan vergessen.“
„Malit wäre vorbereitet“, ergänzte Hanna.
Wir traten den Rückzug an. Von weitem konnten wir sehen, dass der Schutzgeist zwar unseren Platz hinter dem Felsen untersuchte, aber außer einem Verdacht nichts weiter hatte. Er zog weiter.
„Wir gehen zurück“, sagte ich, „für heute ist Schluss. Wir werden uns besser vorbereiten als heute Nacht und du erzählst uns alles.“
Hanna nickte. Peter hatte ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ich wusste, dass er dachte, er hatte recht. Und gewissermaßen hatte er es auch. Ich schwang mich auf mein Fahrrad.
„Morgen Abend treffen wir uns erneut in meinem Zimmer“, orderte ich an, „dann besprechen wir, wie wir weiter vorgehen.“
Dann fuhr ich los. Peter folgte mir. Hanna blieb stehen. Als ich einmal zurückblickte, sah man ihr an, dass sie nachdachte. Ihr Gesicht war von Traurigkeit geprägt.
Am nächsten Tag wurde ich durch meine Mutter geweckt. Die Sonne strahlte derartig heftig in mein Zimmer, sodass ich die Augen zusammenkniff.
„Hast du gut geschlafen?“ fragte sie.
„Nein“, antwortete ich, „ich hätte gerne ein bisschen mehr davon gehabt.“
Ich stand auf, machte mich fertig und ging nach unten in die Küche, um zu frühstücken. Ich registrierte, dass einige Koffer im Hausflur standen. Zudem saß eine Frau mit am Tisch. Ich brauchte gar nicht zu Fragen, die Erklärung folgte prompt:
„Das ist Marie“, sagte meine Mutter und zeigte auf die Dame, „sie ist deine Babysitterin.“
Babysitterin? Ich bin doch kein Baby!
„Ich muss für einige Tage nach Berlin, deine Mutter begleitet mich“, fügte mein Vater hinzu, während er die Tageszeitung las.
„Hallo, Tjark“, begrüßte Marie mich und streckte mir die Hand entgegen.
Ich schlug aus und stand auf: „Zum einen benötige ich keinen Babysitter, da ich kein Baby bin und zum anderen heiße ich Tjalf.“
Dann nahm ich mir zwei Weißbrotscheiben, ein Käse, schmierte etwas Marmelade drauf, klappte es zusammen und verließ die Küche. Meine Eltern sagten nichts, sondern schauten sich fragend an. Marie war eingeschüchtert.
Warum nennt die mich auch Tjark? Vorbereitung ist die halbe Miete. Ebenso wie bei der Befreiungsaktion der Geister. Ich sah plötzlich eine riesige Chance, wenn meine Eltern nicht da waren. Ich hatte mehr Zeit. Sowas konnte auch ein Geschenk sein. Aber nach unten gehen und sich für mein Verhalten entschuldigen? Nope. Nicht jetzt und nicht auf diese Weise. Nach einiger Zeit kam meine Mutter, wie üblich, zu mir ins Zimmer und erklärte sich. Sie versicherte mir, dass Marie keine Babysitterin sei, sondern eine Elternersatzbetreuung. So nennt man das also jetzt. Gut, ich wollte nicht mehr eingeschnappt sein, da ich einen Vorteil darin sah und meine Mutter und vertrugen uns. Am Mittag fuhren sie weg und Marie machte jetzt die Ersatzbetreuung meiner Eltern.
„Hey“, sprach sie, nachdem sie klopfte und die Tür ohne eine Einladung öffnete, „ich wollte mich nur noch mal für meinen Fauxpas entschuldigen. Ich weiß, dass du Tjalf heißt, aber ich war vorhin so aufgeregt, da dies mein erster Job ist.“
„Ist schon gut“, machte ich ihr klar, denn ich verstand es, wenn man das erste Mal etwas macht- war es doch gerade mein Thema.
Bis zum Abend spielten wir Kartenspiele, schauten einen Film und sie machte mir sogar Senfeier! Mein absolutes Lieblingsessen. Sie wollte wohl unser erstes Zusammentreffen wiedergutmachen.
„Dann dir eine Gute Nacht“, sprach sie und schloss die Tür, nachdem ich mich am Abend hingelegt hatte.
„Ja, gute Nacht“, sagte ich und drehte mich um, um zu signalisieren, dass ich schlafen wollte.
Sie schloss die Tür, als Peter erschien.
„Wer ist das denn?“ fragte er gleich.
„Marie“, antwortete ich, „ich meine Baby… nein Ersatzbetreuung für meine Eltern.“
„Ersatz…was?“ fragte Peter, denn er verstand es nicht.
„Meine Eltern sind weggefahren und Marie passt auf mich auf“, erklärte ich.
„Eine Babysitterin“, sagte Peter.
„Eben nicht“, machte ich deutlich, „bin doch kein Baby.“
„Das sagt man so“, rechtfertigte Peter sich.
„Trotzdem!“
Dann hörte ich Schritte. Ich legte mich aus Reflex schnellstens hin. Es öffnete sich die Zimmertür. Dann war es wieder ruhig. Wer stand in meinem Zimmer? Für einen Moment war ich angespannt. Ich spürte, wie mein Herz heftiger schlug.
„Tjalf, schläfst du?“ fragte eine Stimme, die ich als Marias erkannte.
Mein Herz beruhigte sich wieder. Ich antwortete nicht, damit sie dachte, ich schlafe bereits. Mein Plan klappte und sie machte sie Tür wieder zu.
Hannas Geschichte
Wie verabredet erschien Hanna vor meinem Fenster. Erst nachdem ich sie hineinwinkte, schwebte sie durch die Scheibe.
„Hallo ihr beiden“, sagte sie, „ich habe nachgedacht und ihr habt recht. Es ist besser einen Plan zu haben und sich Zeit zu lassen, als blind hineinzustürmen und zu versagen… es hilft meinen Schwestern und Brüdern auch nicht.“
„Danke für dein Verständnis“, kam ich Hanna entgegen, „daher ist es wichtig, dass du uns alles erzählst, was du weißt.“
„Es wäre schön, wenn du uns mal erzählst, wie du zu Malit gekommen bist“, schlug Peter vor, denn er war wirklich neugierig, wie ihre Story war.
„Das werde ich tun“, antwortete sie und setzte sich auf mein Bett.
Wir schreiben das Jahr 1627 n. Chr. Neumonster glich eher einem großen Dorf aus heutiger Sicht, aber damalig galt es als Stadt. Karl und Theodora waren beide hier geboren. Karl war Bäckermeister und Theodora half stets im Betrieb mit, bis sie eines Tages mit Hanna schwanger war und sie eine Hilfe anstellen mussten, um die Arbeit zu verrichten.
Bäcker sein war nicht einfach und kein Beruf, indem man reich werden konnte. Karl tat es, da er zum einen selbst gerne Teigwaren naschte, aber auch, weil er ein sehr guter Bäckermeister war. Sein Vater hat es ihm beigebracht. Leider war er früh verstorben.
Hanna wuchs in dem familiären Betrieb am Kleinflecken auf. So hieß der Marktplatz zur damaligen Zeit und so nennt er sich heute noch. Sie spielte dort, half mit aus, wenn es um die Säuberung des Ladens ging oder sie unterhielt sich gerne mit den Kunden. Hanna war allseits beliebt und bekannt.
„Guten Morgen, Ludwig“, begrüßte Karl einen seiner Stammkunden, „was darf ich dir heute Gutes tun?“
„Guten Morgen auch dir, werter Freund“, grüßte Ludwig zurück.
Er war ein alter Mann und hatte seine besten Tage hinter sich, aber er war stets freundlich.
„Wo ist denn die kleine Hanna?“ fragte er und sein Blick suchte nach ihr.
Ludwig hatte über die Jahre seine gesamte Familie verloren, darunter seine Frau Gerlinde, seine beiden Töchter Erna und Anna, sowie seinen Sohn Gottfried. Die zahlreichen Krankheiten, die in ganz Europa grassierten, machten auch vor Neumonster nicht halt und ließen sie alle dahinraffen.
Daher trank Ludwig regelmäßig, um zu vergessen. Und er schnorrte sich seinen Lebensunterhalt zusammen, indem er mehr schlecht als recht Violine spielte. Die Leute