Pfad des Feuers. Alexander Mosca Spatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Mosca Spatz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844260304
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am Leben …

      Die Hafenstadt war das Viertel mit der größten Kriminalitätsrate und täglich starben hier viele Menschen an nicht ganz gewöhnlichen Todesursachen. Hier nannte man das dann einen unkonventionellen Tod und die Personen, die von einem solchen erwischt wurden, erwähnte man am besten niemals wieder.

      Hier gab es keine Gardisten, keine Wachen und erst recht keine Paladine; Sirian hatte keinen Zweifel daran, dass er im Moment der einzige anwesende Vertreter des Staates im Hafenviertel war.

      Als er sich der alten Kräuterheilerin näherte, breitete sich auf ihren Lippen ein Lächeln aus und streckte ihm ihre knorrigen Hände entgegen. Er hatte nicht alle Ingredienzen in der Oberstadt bekommen können, doch hier konnte ihm immer geholfen werden.

      „Sirian, mein Junge!“, rief sie fröhlich aus und tastete nach ihrem Stock, um ihm entgegen zu humpeln.

      Sirian sprang ihr hastig entgegen, damit sie nicht fiel und bugsierte sie sanft aber bestimmt zurück an ihren Kräuterstand.

      „Übertreibe es nicht, Bruxa“, riet Sirian ihr leise und lehnte sich an ihren Stand.

      „Ich weiß zwar nicht, wie lange du noch hier arbeiten willst, bevor du einsiehst, dass dieses Viertel hier zu gefährlich ist, aber ich will nicht, dass du wegen mir auf die Docks fällst.“

      Bruxa verzog eine Miene und holte mit ihrem Stock aus, um ihm einen Schlag zu verpassen, verfehlte ihn jedoch und fluchte leise.

      „Du wirst mit jedem Mal frecher, Bengel!“, schimpfte sie, doch Sirian wusste, dass sie es nicht so meinte.

      Bruxa hatte schon seine Mutter behandelt, als es ihr zusehends schlechter gegangen war und hatte ihre Schmerzen dauerhaft senken können; am Ende hatte jedoch selbst ihre Hilfe nichts ändern können.

      Seine Mutter war gestorben, in den Armen seines Vaters.

      „Ich brauche blaues Myrium, Bruxa“, kam Sirian zum Thema und holte ein wenig Geld aus einem Beutel.

      „Melanie geht es nicht gut und ich bin hier, um mich um sie zu kümmern. Ich glaube, es ist ein Fieber, oder …“

      „Lüg' mich nicht an, Junge!“, bellte Bruxa plötzlich und Sirian zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Der freundliche Gesichtsausdruck war aus ihren runzeligen Zügen gewichen und sie kniff die blinden Augen zusammen, dachte kurz nach.

      „Sie hat die Eversia, richtig?“, zischte sie endlich und über Sirians Lippen fuhr ein trauriges Seufzen; es hatte keinen Sinn, es zu leugnen.

      Die Alte kennt sich einfach zu gut aus, als dass man sie in der Hinsicht überlisten könnte …

      „Letztes Stadium“, antwortete er niedergeschlagen.

      „Ihr Körper bereitet sich bereits auf die letzte Conciditionsperiode vor und daher hat sie die letzten Tage starkes Fieber gehabt und …“, er schaffte es nicht den Satz zu beenden und ließ niedergeschlagen den Kopf hängen.

      Die Eversia war eine erbliche Krankheit, die von Generation über Generation weitergegeben wurde. Sobald man einen Elternteil oder einen direkten Nachfahren hatte, der unter der Eversia litt, bestand die Gefahr, dass die Krankheit bei einem selbst auch ausbrach. Dabei verkümmerten Stück für Stück die körperlichen Fähigkeiten, wobei die geistigen eine Blütezeit erlebten; nach etwa fünf Jahren kehrte der Prozess sich um und nun wurde der Geist angegriffen. Schritt für Schritt wurde so aus einem Erwachsenen ein sabberndes, kleines Kind. Die erste Phase der körperlichen Verkümmerung nannte man die aecilibrische Phase, die zweite, während der der Geist litt, die infantile. Nach etwa weiteren fünf Jahren folgte Phase der Concidition, während der der Körper sich noch einmal vollkommen regenerierte; die meisten dachten während dieser Zeit, die Krankheit sei auf magische Weise verschwunden, aber Sirian kannte die Wahrheit, da er selbst immer noch gefährdet war. Die Krankheit verschwand nicht, niemals. Man hatte ab und an noch einen Krampf, spürte aber ansonsten davon nichts mehr … bis die Concidition schließlich begann und der Körper sich von innen heraus unter heftigen Krämpfen selbst auflöste. Die Gnadenzeit, die man nach der zweiten Phase hatte, war der Zeitraum, die die Krankheit brauchte, um im Körper die nötige Energie für den Selbstzerstörungsvorgang zu sammeln.

      Das erste Anzeichen für die Eversia war eine plötzliche Unfähigkeit, bestimmte Körperteile zu bewegen und kleinere Bewegungen auszuführen, gefolgt von Zittern und stechenden Schmerzen in den Gelenken und Nervenknoten.

      Er selbst war offenbar verschont geblieben, doch seine Schwester …

      Meine Schwester wurde mit einem Fluch geboren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es soweit kommen würde; sie ist nun sechzehn, ein ganzes Jahr über dem Durchschnitt. Sie weiß nicht, was auf sie zukommt, dafür hat unser Vater gesorgt. Und ich muss es ihr entweder sagen, oder schweigen und so tun, als wüsste ich es nicht. Wie soll ich das schaffen? Wie kann man vor jemanden treten und ihm ins Gesicht sagen, dass er sterben wird? Ich glaube, ich kann das nicht …

      „Ich brauche blaues Myrium“, wiederholte Sirian flüsternd und streckte zitternd eine Hand nach dem seltenen Kraut aus; es würde die Schmerzen lindern, wenn es soweit war … was bei Melanie jeder Tag sein konnte.

      Bruxa warf ihm einen mitleidigen Blick zu und band ihm geschickt ein Bündel blaues Myrium zusammen, reichte es ihm und winkte ab, als er ihr die goldene Krone geben wollte.

      „Lass das Geld bloß stecken, Junge. Ich werde deine Schwester heute Abend in meine Gebete an den Letzten Herrscher einschließen. Ich lebe lange genug, um zu wissen, dass Wunder vorkommen.“

      Ich glaube nicht an Wunder. Ich glaube an gar nichts mehr! Ich musste zusehen, wie meine Mutter sich in den Armen meines Vaters verflüssigt hat! Ich habe dabei zugesehen, wie meine kleine Schwester anfing, unter dem selben Fluch zu leiden! Es gibt keine Wunder!

      „Ich bin sicher, es wird ihr helfen“, sagte er jedoch stattdessen, neigte kurz sein Haupt und betrat mit einem leisen Schluchzen das Labyrinth der ewigen Nacht.

      „Stehe ihr bei, wenn es soweit ist!“, hörte er Bruxa noch, dann erstarben die Geräusche um ihn herum und das Licht erblasste.

      An den Seiten des Kopfsteinpflasters, dort, wo der Weg in das Fundament der Häuser überging, gluckste das stinkende Abwasser, warf sogar manchmal Blasen. Der penetrante Geruch von Abfall, verfaultem Fisch und Ausscheidungen war hier noch schlimmer als direkt an den Docks, wo man darauf hoffen durfte, dass eine gnädige Brise den Gestank für einen Moment vertrieb.

      Niemand sollte gezwungen sein, in solch einer Kloake zu leben. Kein Wunder, dass meine Schwester unter der selben verdammten Krankheit leidet wie meine Mutter! Wie sollte jemand hier drin auch gesund werden? Wieso tut der Letzte Herrscher nichts gegen die Zustände? Angeblich hat er doch die Macht, die ganze Welt mit einem Fingerschnippen zu beugen. Wieso sehe ich davon nichts?

      Hier war es absolut windstill. Zu dieser Zeit trieben sich nur wenige Leute in den Gassen herum und die, die es taten, gehörten mit Sicherheit zu irgendwelchen Banden. Doch während Sirian durch die finsteren Gassen lief, begegnete er niemandem. Fackeln waren verboten. Sollte auch nur eine irgendetwas entzünden, würde die gesamte Hafenstadt sich in Sekundenbruchteilen in ein höllisches Inferno verwandeln. Daher waren die Lichter in den Häusern die einzige Lichtquelle im 'Partus aeternae Noctis', dem Teil der ewigen Nacht. Tag und Nacht beleuchteten sie spärlich die Gassen und Schleichwege und es war gerade ausreichend, um den Weg in die Docks und wieder zurück zu finden, ohne sich zu verirren … wenn man sich auskannte. Müde lief er die dunklen Gassen entlang, monoton einen Fuß vor den anderen setzend, den Kopf gesenkt, den Blick auf den dreckigen Boden gerichtet. Es war noch nass vom letzten Regen und wenn es so weiterging, würde das Hafenviertel überflutet, wie es schon so oft geschehen war. Passierte dies, holte man Boote aus hoch gebauten Lagerhäusern und fuhr auf den Gassen entlang, bis die Straßen wieder zugänglich waren. Und es sah danach aus, dass es dieses Jahr wieder so sein würde.

      Das Haus seiner Schwester lag weit von den Docks entfernt, so ziemlich genau in der Mitte des Labyrinths. Den Weg dorthin kannte er in und auswendig, war er ihn in seiner Kindheit doch jeden Tag