Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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hattern fürn Kurs gegeben?… Hast dus beim Abwiegen gesehen?«

      »Achter Kurs… Dafür ists wirklich nicht schlecht… Der Weg zu ihm ist auch nicht so weit wie zu meinem Kollegen in der Stadt… Weißt ja, der wohnt da hinten die Holländische raus…« Ich war niemals mitgekommen. Jetzt konnte ich bei Bedarf auch ohne Hilfe Saschas das Kraut besorgen. Atze hatte mir seine Nummer gegeben… Wir schwiegen… Vor uns erstreckte sich der Weg hügelaufwärts in die Dunkelheit.

      Ich weiß nicht, wie viele Male ich diesen Weg in den folgenden Monaten des Frühlings und bis in den Herbst hinein hinter mich gebracht habe… Es dauerte meistens circa eine halbe bis zu einer Stunde, je nach dem gewählten Tempo, welches damit zusammenhing, wie verschallert man war… Zuletzt trennten sich Saschas und meine Wege vor seiner Tür, ich ging das letzte Stück bis zum dunklen, schlafenden Zuhause und legte mich zu Bett… Versank in einen wohligen, tiefen und traumlosen Schlaf… Und der Wecker wartete auf seinen Einsatz.

      …

      Gegen Abend an den Wochenenden, und zuweilen bis in die frühe Nacht unter der Woche, war das Geschäft, wie er es gegenüber anderen bezeichnete, für Atze erledigt… Er nahm dann nur noch Gespräche entgegen, die von denjenigen kamen, die er als seine Freunde bezeichnete… Und beantwortete Nachrichten nur, falls ihm gerade danach war… Schwalle, ein weiterer Bekannter aus Schultagen, und seitdem seines Zeichens Kumpan Atzes, hatte sich, neben mir und Sascha, die wir geschlossen und in Schweigsamkeit, über den Besuch unserer Parallelwelt gegenüber Dritten, den Fußmarsch angetreten waren, dort eingefunden. Die Musik bildete ein Hintergrundrauschen, aber wollte nicht so richtig zu mir durchdringen.

      Um mich herum mühte sich alles mit den eigenen Vorräten und den ausliegenden Utensilien ab, dann wurde die Bong aus ihrer Ecke neben dem Sofa hervorgeholt und man zündete sich einen Kopf an. Nachdem die Pfeife die Runde gemacht hatte, fiel auf, dass ich gerade das letzte Bier ausgetrunken hatte… Es war Sonntag. Man sah sich einem existenziellen Problem gegenüberstehen, zu dessen Lösung sich Atze breitmäulig ausließ.

      »Scheiße!… Wir gehen mal rüber in die Kneipe und trinken da was«… Und alles blickte ihn eine Weile fragend an.

      »Nein wir werden uns bestimmt nicht an dem Bier vom Vatter vergreifen…« Und nach einer Pause setzte er hinzu, wie um sich zu rechtfertigen… »Ich hab nur keinen Bock, dass der wieder patzig wird… Hab auch so schon genug Arbeit mit dem.«

      In den vergangenen Wochen, seit dem ersten Treffen bei ihm, hatte ich nie eine Regung im Haus bemerkt, die nicht von Atze selbst oder einem seiner Gäste und Kunden kam… Sein Vater schien ein Gespenst zu sein, dass, wenn überhaupt, erst sehr spät zum Leben erwachte… Atze ging stets sehr lakonisch und überlegen damit um… Sofern er sich überhaupt etwas anmerken ließ.

      »Is es voll da drüben?«, wollte Sascha wissen, der die argwöhnischen Blicke Schwalles auf den Vorschlag hin bemerkt hatte.

      »Nee, da sitzen immer nur die selben alten Suffköppe rum und merken eigentlich gar nicht was um sie herum geschieht… Bier kostet eins sechzig.«

      »Na das is doch mal nen Wort«, befand ich und wollte schon Anstalten machen loszugehen, als sich Schwalle zum ersten Mal seit zwanzig Minuten, die er wortlos vor sich hin oder in sein Handy starrend verbracht hatte, knarzend wieder zu Wort meldete.

      »Ich nehm mal noch was Ott mit… Wir können da auf dem Klo bauen und einen paffen.«

      Man hatte gerade die dritte Runde Bier bestellt, da warf Schwalle den Vorschlag in die Runde, doch endlich mal runter aufs Klo zu gehen und einen Dübel zu fabrizieren… Es wäre angebracht das allseitige Vorhaben in zwei Runden aufzuteilen. Atze, der die dafür nötigen Utensilien einstecken hatte, und Schwalle sollten die erste Runde machen. Man sah einen Augenblick ins Glas, verfolgte die im Gerstensaft aufsteigenden Kohlensäurebläschen… Dann hört man das schrille Geräusch eines abrückenden Stuhls und sah Atze nach, wie er Richtung Toilette ging, um alleine vorzudrehen, während Schwalle Sascha und ich weiter an unseren Bieren nuckelten… Nach ein paar Schlucken stand auch Schwalle auf, ließ ein leeres Glas zurück und zockelte Richtung Klo.

      Sascha und ich beobachteten das, sich auf gelegentlich nickende Köpfe und nach Biergläsern greifende Hände beschränkende, Geschehen in der Kneipe… Wir befanden uns in sicherer Position, saßen nahe am Eingangsbereich mit Blick nach draußen auf die Straße und den gegenüberliegenden Kirchhof, hatten die Bar im Blick und genug Abstand zum restlichen Volk, welches auf drei Tische weit in dem holzvertäfelten Raum verteilt saß… Bazillenträger mit breitgeschlagenen, grindigen Pranken und engstirnigen Klotzvisagen… Sieben oder acht bierselige Dörfler, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hatten und sich wahrscheinlich jeden Abend aufs Neue die selben alten Geschichten von vor zwanzig Jahren erzählten, nun aber ihrer eigenen Worte müde geworden waren, während ihre verhärmten Weiber daheim vor dem Fernseher saßen, die bebrillten Fratzen ausdruckslos an die Mattscheibe geklebt, sich an irgendwelchen durchgestylten, weichgesichtigen Soap-Sunnyboys aufgeilten und sich die trockene Pflaume rieben, bevor der jeweilige Alte besoffen nach Hause kam und sie sich wieder gegenseitig ertragen mussten… Bisweilen ertönte ein tuberkulöses Husten.

      Sascha machte Anstalten, die nächste Runde Bier zu bestellen, doch setzte sich wieder auf seinen Platz, von seinem Vorhaben abgehalten durch den Eindruck des hinter der Theke hervorkommenden Wirtes… Schnellen, entschlossenen Schrittes bewegte der sich durch den Saal und steuerte an unserem Tisch vorbei, auf die Türe zum Flur zu.

      »Der wird doch wohl jetzt nicht zu den Klos gehen?«, sagte ich zu ihm und nahm meinen letzten Schluck Bier.

      »Wir werdens als erste erfahren…« Da hatte er wohl recht… Etwa eine Minute später kam der Wirt wieder, stellte sich hinter seine schmierige Theke und zapfte ein paar Bier für die immerdurstige Stammkundschaft, stellte diese parat und blickte kritisch in die Runde… Er beobachtete seine Gäste… Stille beherrschte den Raum… Nur von draußen war Hundegebell, gedämpft, ebenso träge wie die Stille und jedes Reden über den Tischen unterschlagend, hörbar geworden… Die Überwachungsprozedur des Wirts dauerte keine zwei Minuten, da sah man ihn die letzten gezapften Gläser abstellen, stehen lassen und erneut durch die Türe zum Flur verschwinden… Und fing an sich zu fragen was er da machte.

      Atze und Schwalle kamen vom Klo zurück und setzten sich wieder an den Tisch. Das rot geäderte Weiß ihrer Augen, ein Stück weiter unten die dicken Tränensäcke und noch ein Stück weiter unten ihre gelblichen Zähne, grinsten aus den Gesichtern.

      »Was war denn los?«

      »Ja erzählt mal, hat er euch erwischt?«

      »Ach, von wegen erwischt«, blies Atze die Worte geringschätzig über den Tisch… »Mitgeraucht hatter!…« Und er lachte und erzählte die Abläufe aus seiner Perspektive… Sie hatten die Lunte gerade angezündet, als sie hörten wie die Tür aufging. Der Wirt, der ein bisschen aussah wie ein dicklicher Mexikaner, kam herein und schaute den Beiden verdutzt ins Gesicht. Sie gaben sich keine Blöße, begrüßten ihn freundlich und fragten wie es ihm gehe… »Wenn ihr hier schon kiffen müsst dann stellt euch wenigstens ans Fenster und blast den Qualm nach draußen…« War alles, was der korpulente, falsche Mexikaner zu sagen hatte. Dann machte er kehrt und kam wieder nach oben. Die Zwei taten wie ihnen geheißen und sogen bei geöffnetem Fenster weiter am Joint. Nachdem er nachgeschaut hatte, ob in der Wirtsstube niemand das Bedürfnis verspürte seinen Platz in näherer Zeit zu verlassen, begab er sich zurück aufs Klo, ging direkt auf die Beiden zu, gab ihnen die Hand, stellte sich vor und fragte, ob er ein paar Züge abhaben könne… Es wäre dumm gewesen, wenn sie ihm diesen Wunsch ausgeschlagen hätten… Und so rauchten sie den Dübel zusammen mit dem Wirt zu Ende.

      Selbst erfuhr ich, während meiner Zeit in der Parallelwelt, nichts von greifbarer oder vertrauenswürdiger Substanz von diesem Kerl, nichts über sein Alter, nichts über seine Herkunft oder dergleichen, einzig, dass er die Kneipe offenbar gepachtet hatte… Ein Experiment und nicht viel mehr sei das, sagte er bei der Gelegenheit zu mir… In der Zwischenzeit fand dieser, meiner Schätzung nach etwa dreißigjährige Typ, der Aufgrund seines Aussehens den Spitznamen Esé verpasst